Predigt anlässlich der Einweihung des Hanse-Zentrums 6. Oktober 2012
Angelika Weigt-Blätgen, Leitende Pfarrerin

„Wenn der HERR nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst, die daran bauen.“ (Psalm 127.1)

 

Liebe Gemeinde, Schwestern und Brüder,

in Anwesenheit zahlreicher Baufachleute, Planer, Handwerker, Bauleiter, Eigenheimbesitzer und Bau-Finanz-Berater in einer Predigt über das Bauen zu sprechen ist ein reizvolles und zugleich gewagtes Unternehmen. Da können schnell Begriffe falsch gewählt, Bilder schief verwendet, Kompetenzen falsch eingeschätzt oder ungewürdigt bleiben.

„Wenn Gott nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst, die daran bauen“ - Der Dichter dieses Psalms meinte seinen Vers gewiss ganz wörtlich. Er wusste sehr wohl wovon er sprach, wenn es um das Bauen ging. Er war vermutlich Augenzeuge des Wiederaufbaus der Stadt Jerusalem und des Tempels dieser Stadt nach der großen Katastrophe des Krieges und des Exils vor etwa 2500 Jahren.
Die Stadt lag in Schutt und Asche - viele, die in dieses Haus einziehen werden, haben ebensolche Bilder deutscher Städte vor Augen. Wer in einer solchen Situation aufbauen wollte, der brauchte natürlich ein gutes Fundament, solide Steine, einen guten Bauplan und fähige Architekten. Wer aufbauen wollte, brauchte engagierte Menschen und einen schöpferischen Geist, damit der Bau gelingen konnte. Engagierte Menschen - in Deutschland sind die sogenannten Trümmerfrauen legendär.
Sie trotzten Schutt und Trümmern verwendbares Material für den Wiederaufbau ab. In Jerusalem damals waren es die gläubigen Jüdinnen und Juden für die der Tempel in Jerusalem in der Fremde der Sehnsuchtsort gewesen war, das Zeichen für Heimat und für die Nähe ihres Gottes. Der Wiederaufbau der Frauenkirche in Dresden mag von manchen empfunden worden sein.

Engagierte Menschen und einen schöpferischen Geist - darum wusste der Psalmschreiber - vor allem aber wusste er, dass nichts gelingt, worauf nicht Gottes Segen liegt. „An Gottes Segen ist alles gelegen“ lautet deshalb sachlich richtig die (nachträgliche) Überschrift, die in der Lutherbibel über dem Psalm steht.

Damit bekommt die Rede vom Hausbau einen weiteren symbolischen, bildhaften Sinn:
Wo Gottes Geist fehlt, da gelingt uns nicht, was wir anpacken und planen. Wo Gottes Segen fehlt, bleibt, was wir tun, bruchstückhaft und zerbrechlich.

Es braucht den Geist, den Spiritus, die Inspiration. Ohne Inspiration geht beim Bauen gar nichts. Geistlos kann man nicht bauen. Häuser ohne Fundament, die den Gesetzen der Statistik nicht entsprechen und die nicht mit angemessenem, ausreichendem und hochwertigem Material gebaut wurden, werden schnell zu baufälligen Ruinen. Doch neben Solidität, Fachlichkeit und Handwerkskunst braucht es - die Inspiration, den Geist. Es braucht die Inspiration, den Geist, derer, die über die Bauphase hinaus denken. Es brauchte in Jerusalem damals die Inspiration, den Geist derer, die sich angesichts des Schutts, den sie vorfanden, den Raum vorstellen konnten, in dem sie Gottesdienst feiern, Psalmen beten, als Gemeinde nahe bei ihrem Gott sein konnten. Es brauchte Menschen, die beim ersten Stein, den sie anfassten, den Tempel vor sich sahen. Nur mit dieser Inspiration lässt sich erklären, dass Generationen an Domen und Kathedralen gearbeitet haben, die sie niemals fertig gesehen haben.

Es brauchte in Deutschland nach dem Krieg die Inspiration derer, die die Sehnsucht nach einem zu Hause, nach einem Ort der Ruhe und Geborgenheit trieb, nach Frieden und wohl möglich nach der Heimkehr ihrer Lieben.

Auch wenn die historischen Situationen des Wiederaufbaus Jerusalems und des Tempels und des Wiederaufbaus in Deutschland nicht ohne weiteres mit dem Bau des Hanse-Zentrums in Friedenszeiten zu vergleichen sind, so brauchte es auch für diesen Bau Inspiration und den Geist, den Spiritus Gottes.

Es brauchte die Inspiration derer, die eine Vorstellung vom Leben in diesem Hause hatten; die die Menschen vor sich sahen, die hier einziehen würden: zaghaft und ängstlich die einen; offen und neugierig die anderen.

Es brauchte die Inspiration derer, die die Menschen vor sich sahen, die hier leben würden: die, die hier die Gemeinschaft suchen würden und die Zurückgezogenen; die, die Pflege hier dankbar würden annehmen können und die, die mit ihrer Hilfebedürftigkeit hadern. Es brauchte die Inspiration derer, die die Menschen hier versammelt sahen: beim Essen, beim Feiern, beim Malen, beim Beten, beim Kartenspielen, beim Fernsehen; es brauchte die Inspiration derer, die sich das Haus von den ersten Planungsschritten an bewohnt vorstellen konnten. Es brauchte die Inspiration derer, die sich mit der Frage beschäftigen, welche verschiedenen Wohnmöglichkeiten wir brauchen, wenn wir älter werden und ein Teil von uns Hilfe und Pflege braucht.

„Wenn Gott nicht das Haus baut, so bauen umsonst, die daran bauen - an Gottes Segen ist alles gelegen.“

Umsonst, vergeblich - noch eine kleine Sprachlehre - heißt im Lateinischen übrigens „frustra“ - wenn uns die Inspiration fehlt, wenn uns der Geist Gottes fehlt, der uns treibt, dann sind wir schnell frustriert. Wir sind frustriert, weil wir in den Alltagsproblemen stecken bleiben, weil wir uns übereinander ärgern, weil wir uns gegenseitig unsere Versäumnisse vorwerfen. Die Kunst ist wohl, die Inspiration lebendig zu halten, den Geist Gottes immer wieder zu erbitten - nicht über Generationen wie beim Bau von Domen und Kathedralen, aber doch über die Monate von den ersten Planungsgesprächen über die Bauzeit bis zum Einzug und darüber hinaus. Denn wenn eigentlich an einem Tag wie heute der tiefe „Gott-sei-Dank-Seufzer“ zu hören ist, dann ist für einige von uns das Kapitel noch nicht ganz abgeschlossen - Nacharbeiten brauchen einen besonders langen Atem.

„Wenn Gott nicht das Haus baut, so bauen umsonst, die daran bauen“ - wenn „an Gottes Segen ist alles gelegen“.

So danken wir heute Gott für alle Inspiration und für alle Bewahrung vor Verletzungen und Unglücksfällen. Wir danken Gott für alle gelungene Verständigung und allen Teamgeist.
Wir danken Gott, dass Stress, Ungeduld oder eben Frustration nie die Oberhand gewonnen haben.

Wir danken Gott für seinen Geist, der uns treibt, ermutigt und tröstet. Gottes Geist treibt uns, nach Möglichkeiten guten Lebens für alle Menschen zu suchen; Gottes Geist treibt uns, achtsam und liebevoll miteinander umzugehen; die Würde jedes einzelnen zu schätzen.
Gottes Geist ermutigt uns, immer wieder Neues zu versuchen; nicht stecken zu bleiben. Gottes Geist ermutigt uns, frei und ohne Angst Herausforderungen anzunehmen. Gottes Geist tröstet uns, wenn wir das Gefühl haben, dass etwas umsonst war. Gottes Geist tröstet uns, wenn wir scheitern.

Wir bitten um Gottes Segen. Wir bitten um Gottes Segen für alle, die hier geplant und gearbeitet haben. Wir bitten um Gottes Segen für alle, die hier arbeiten und für alle, die hier wohnen werden.
Wir bitten um den Segen Gottes für alle, die in diesem Hause Liebe und Zuwendung und Zufriedenheit erfahren werden und für alle, die sich schwer tun werden. Gott segne Neuanfang und Alltag.

Mit Gottes Geist und Segen möge dieses Haus zu einem Gottes-Haus werden.

Amen.