Fünf Jahre Beratungsstelle Theodora, Neustart Hilfe-Lotsinnen
29. April 2016, Herford
Andacht von Pfarrerin Angelika Weigt-Blätgen

Liebe Mitarbeiterinnen von Theodora - Sie begrüße ich heute Morgen als erste. Bevor Menschen in Zusammenhang gebracht werden mit den Institutionen, die Sie vertreten; mit der Unterstützung, die wir so dringend brauchen; mit den inhaltlichen Impulsen, die uns weiter bringen; begrüße ich Sie und Ihre Kolleginnen, Freundinnen der Beratungsstelle Nadeschda. Die Nadeschdas und die Theodoras - sie gehören seit fünf Jahren zusammen. Herzlich willkommen, schön dass Sie da sind. Alle anderen grüße ich an dieser Stelle als diejenigen, die uns verbunden sind, die sich mit uns verbündet haben, die uns mittragen. Herzlich willkommen Ihnen allen. Schön, dass Sie da sind.

Ziemlich genau vor fünf Jahren am 8. April 2011 haben wir in einem Gottesdienst hier in Herford die Mitarbeiterinnen von Theodora in einem Gottesdienst eingeführt und  sie und ihre Arbeit und ihre Klientinnen unter den Segen Gottes gestellt.

Im Namen Gottes wollen wir auch heute den Tag beginnen. Im Namen Gottes, der die Stärke der Schwachen segnet; im Namen Jesu Christi, der die Macht der Ohnmächtigen unwiderruflich zu seiner Sache gemacht hat und im Namen der heiligen Geistkraft, die Mut und Hoffnung, Klugheit und Beharrlichkeit schenkt.

Wir wollen heute bekräftigen, was der Name „Theodora“ für uns an dauerhafter Verpflichtung, an immer neuer Herausforderung bedeutet und uns zugleich bewusst machen, dass er über das hinausweist, was wir mit noch so guten Konzepten und noch so großartigen Mitarbeiterinnen - und die haben und hatten wir - erreichen können.

Theodora heißt „Gottesgeschenk“, die von Gott Geschenkte. Wir möchten, dass jede Frau, die in der Prostitution arbeitet und die Beratungsstelle in Anspruch nimmt, um ihre Arbeits- und Lebenssituation zu verbessern, um ihre familiären oder gesundheitlichen Probleme zu besprechen; jede, die kommt, um ihre finanzielle oder aufenthaltsrechtliche Notlage zu beraten; jede, die Unterstützung beim Ausstieg aus der Prostitution sucht - wir möchten, dass jede Frau so angenommen und angesprochen wird, dass sie etwas von dem wahrnehmen kann, was wir mit dem Namen verbinden: Theodora heißt Gottesgeschenk. Als Frauenname für eine Beratungsstelle, die sich an Frauen wendet, bedeutet der Name für uns: Jede Frau, jeder Mensch, ist ein Gottesgeschenk, als Ebenbild Gottes geschaffen, das etwas abbildet von Gott selbst;  etwas abbildet von Gottes Absichten mit uns;  etwas abbildet jedoch zugleich von der Gebrochenheit und Zerbrechlichkeit, ja Gefährdung Gottes.
Gottes Absichten sind:

Gott will Gerechtigkeit und ein Leben in Fülle für alle Menschen, ein Leben in Würde und Selbstbestimmung - ein Leben aufrecht und frei und gesegnet. Die Wege, diese Gerechtigkeit durchzusetzen sind steinig, oft verschlungen. Davon erzählen die biblischen Geschichten der hebräischen Bibel und des Neuen Testaments. Sie lassen keine schnellen moralischen Urteile zu und sie passen in kein gesellschaftliches Klischee. Die Geschichten der Frauen in beiden Testamenten erzählen davon, dass Frauen oftmals den für sie vorgesehenen Weg verlassen haben, verlassen mussten, um ihre Würde zu bewahren, um ihr Recht durchzusetzen oder einfach um zu überleben. Einer dieser Wege, von denen die Bibel erzählt, ist die Prostitution. Und, ja, meine Aufzählung ist nicht zufällig: es ging auch auf diesem Weg um Recht und Überleben, aber auch um Würde.

Wenn Frauen sich selbst sehen und verstehen lernen - das „O“ in unserem Logo ist Buchstabe, Frauenzeichen und Spiegel zugleich - können sie Entscheidungen treffen, die ihnen entsprechen, die um ihrer selbst und um ihrer Würde willen richtig sind. Und sie müssen nicht den guten Absichten der Mehrheitsgesellschaft oder einem wie auch immer beschriebenen modernen Frauenbild entsprechen.

Gottes Gebrochenheit und Verletzlichkeit steht uns vor Augen, wenn wir an Jesus, den Messias Gottes denken. Er hat Spott und Hohn ertragen müssen, Verrat und Folter erleiden müssen bis er schließlich auf grausame Weise ermordet wurde.

Jedes Gottesgeschenk bildet beides ab: Gottes gute Absichten und Gottes Gebrochenheit und Verletzlichkeit. Gott will segnen, was wir bewahren und schützen, Gott will Gerechtigkeit ins Werk setzen. Gott will Menschen aufrecht und frei, die ihre menschlichen Möglichkeiten voll ausschöpfen und dabei ihre eigene und die Würde der anderen achten. Zugleich ist Gott nicht auf der Seite der Starken, der Sieger, zu finden. Gott ist Partei der Verletzten, Geschundenen, Verratenen, Ausgebeuteten. Nur wenn wir Gott so verstehen können wir - so hat es D. Sölle konsequent formuliert - nach Auschwitz noch Theologie treiben. Was das in diesen Tagen bedeutet, haben wir bislang viel zu schwach, viel zu zaghaft, zu wenig konsequent beklagt, beweint, bebetet. Wenn das Mare Nostrum, das Mittelmeer, das einen Teil Europas umspült, zum Massengrab wird, wenn Kinderdörfer und Krankenhäuser zerbombt werden, wenn Menschen im Schlamm von Idomenie an Stacheldrahtzäunen verletzt werden, wenn Frauen auf ihren Fluchtwegen Opfer von Menschenhandel werden, wenn sie vergewaltigt und verschleppt werden, wenn sie in den Zielländern zur Prostitution gezwungen werden, wenn Jungen und Mädchen verschwinden, dann scheitern wir angesichts der Verletzlichkeit, der Verletztheit  Gottes und der Menschen. Wenn wir im Zusammenhang mit den Geflüchteten von „Strömen“ oder „Wellen“ oder gar „Tsunamis“ sprechen, so als wären wir in der Gefahr zu ertrinken, verraten wir Gotte selbst und die Menschen, die seine Ebenbilder sind.

In der Satzung der Evangelischen Frauenhilfe beschreiben wir als Ziel aller Frauenhilfearbeit, dass die Zuwendung Gottes zu den Menschen als Befreiungs- und Heilungsbotschaft verstanden und erfahrbar gemacht werden soll. In den diakonischen Arbeitsfeldern möchten wir dies abbilden: in der Alten- und Behindertenhilfe und in der Anti-Gewalt-Arbeit. Die Arbeit der Beratungsstellen Nadeschda und Theodora, der neuen Prostituierten- und Ausstiegsberatungsstelle Tamar, die in der Region Südwestfalen arbeitet, zählen wir zur Anti-Gewalt-Arbeit ebenso wie die älteste Einrichtung in diesem Bereich, das Frauenhaus in Soest. Derzeit versuchen wir daran zu arbeiten, wie unsere Befreiungs- und Heilungsbotschaft für die Geflüchteten und ihre Ohren und Herzen lauten könnte.

Fünf Jahre sind, wenn wir einen so großen Bogen spannen - von den Frauengeschichten der hebräischen Bibel bis heute - wirklich erst ein guter Anfang (die Dortmunder Frauenhilfe hat dies anlässlich ihres 100jährigen Jubiläums gesagt). Fünf Jahre unter dem Segen Gottes, begleitet von der Fürbitte, den Spenden, der solidarischen Unterstützung so vieler Frauen und Männer sind ein guter Grund, gestärkt und motiviert und vertrauensvoll die nächsten Jahren unter die Füße zu nehmen. Gott gebe dazu seinen Segen.

Als Symbol für den Segen, um den wir bitten und auf den wir vertrauen, haben ich Ihnen, liebe Nadeschdas und liebe Theodoras, eine Segenskette mitgebracht. Sie ist Zeichen für den Engel, der Sie begleiten und schützen möge. Zugleich können wir in ihr auch den gekreuzigten und / oder den segnenden Christus sehen. Bleiben Sie mutig und behütet.