Festvortrag von Naile Tanış anlässlich des Fünfjährigen Jubiläums der Beratungsstelle Theodora „Prostituierten- und Ausstiegsberatung für Mädchen und junge Frauen in Ost-Westfalen-Lippe"

Sehr geehrte Frau Schnittker, sehr geehrte Frau Weigt-Blätgen, sehr geehrte Frau Reiche, liebe Kolleginnen, geschätzte Interessierte und Unterstützer*innen,

ich freue mich sehr über die Einladung zu dieser Veranstaltung und über die Möglichkeit, heute zu Ihnen zu sprechen, und möchte mich hierfür herzlich bedanken.

Bevor ich jedoch fachlich einsteige und Ihnen einen Überblick über die aktuellen Diskussionen und rechtspolitischen Entwicklungen auf Bundesebene gebe, ist es mir ein besonderes Anliegen, mich bei meinen Kolleginnen von Theodora für ihre Arbeit in den vergangenen Jahren herzlich zu bedanken und ihnen meine vollste Anerkennung auszusprechen. Liebe Kolleginnen: Ihr seid unermüdlich in Eurem Einsatz für die Rechte der Prostituierten. Euer Engagement, eure fachliche Kompetenz ist von unschätzbarem Wert. Gleichzeitig gilt der Dank natürlich auch den bisherigen Geldgeber*innen und den zahlreichen Unterstützer*innen und Kooperationspartner*innen von Theodora. Eine Besonderheit der Beratungsstelle Theodora ist, dass diese eng mit der Beratungsstelle Nadeschda verbunden ist. Nadeschda ist seit vielen Jahren eine der Mitgliedsorganisation des Bundesweiten Koordinierungskreises gegen Menschenhandel, für den ich als Geschäftsführerin arbeite. Der KOK e.V. ist ein bundesweit einzigartiger Zusammenschluss aus 37 Organisationen und Fachberatungsstellen, die sich gegen Menschenhandel und Gewalt an Migrantinnen einsetzen. Wir verstehen uns in erster Linie als das Sprachrohr der Praxis und damit der spezialisierten Fachberatungsstellen für Betroffene von Menschenhandel in Deutschland.

Die Einrichtung einer Beratungsstelle für Prostituierte im ländlichen Raum war und ist ein notwendiger Schritt, um Prostituierte gezielt in der Wahrnehmung ihrer Rechte und Bedürfnisse zu unterstützen. Die Entscheidung, neben der bereits seit 19 Jahren existierenden Fachberatungsstelle für Betroffene von Menschenhandel Nadeschda, bewusst ein eigenes Projekt mit dem Namen „Hilfelotsinnen" für Prostituierte einzurichten, ist sehr zu begrüßen. Damit wird gewährleistet, dass die Themen Menschenhandel und Prostitution auch in der Außenwahrnehmung und in der sozialarbeiterischen Tätigkeit nicht automatisch vermischt werden. Durch die gemeinsame Trägerschaft wird gleichzeitig gesichert, dass eine enge Kooperation in der Praxis möglich ist. Ja, und sogar erfolgreich verlaufen kann.

Diese Erfahrung wurde zwischenzeitlich auch wissenschaftlich belegt. In dem Abschlussbericht der wissenschaftlichen Begleitung - durch Frau Steffan und Frau Prof. Dr. Kavemann - zu dem Bundesmodellprojekt Unterstützung des Ausstiegs aus der Prostitution wird in den Empfehlungen u.a. folgendes ausgesprochen (http://www.bmfsfj.de/BMFSFJ/Service/publikationen,did=219864.html):

„Der Aufbau von Angeboten unter dem Dach größerer sozialer Träger mit vielfältigen, auch für diese Zielgruppe nutzbaren Angeboten in den Bereichen Wohnen, Treffpunkte, Bildung und Arbeit scheint erfolgversprechend, insbesondere in ländlichen Regionen und Städten ohne zielgruppenspezifisches Angebot. (...) lm ländlichen Raum herrscht aber ein Mangel an spezifischen Beratungsangeboten und gleichzeitig in den existierenden sozialen, arbeitsmarkt- und bildungsorientierten Einrichtungen und Institutionen auch ein Defizit an Expertise zum Thema Sexarbeit. Insbesondere in ländlichen Regionen sollte ein Angebot vernetzt mit anderen unter dem Dach größerer sozialer Träger und Einrichtungen angesiedelt werden."

Sie hören also, meine sehr geehrten Damen und Herren, das Projekt Theodora ist sowohl aus Sicht der Praxis als auch aus Sicht der Wissenschaft ein notwendiges Instrument, um Prostituierte/Sexarbeiter*innen zu unterstützen.
Es freut mich besonders, dass ich heute in Vertretung für den KOK den Fachvortrag halten kann. Denn auch wenn oder gerade weil wir in erster Linie eine Vernetzungsstelle der spezialisierten Fachberatungsstellen für Betroffene von Menschenhandel sind, legen wir besonderen Wert darauf, dass sorgsam zwischen Prostitution und Menschenhandel unterschieden wird. Für uns liegt Menschenhandel erst dann vor, wenn Betroffene sexuell ausgebeutet werden oder zum Zweck der Ausbeutung ihrer Arbeitskraft oder anderer Ausbeutungszwecke instrumentalisiert und missbraucht werden. Frauen, die sich freiwillig prostituieren, treten wir mit Respekt und Achtung entgegen, wir stigmatisieren sie nicht und wollen, dass die freiwillige Prostitution als persönliche Entscheidung einer jeden Prostituierten anerkannt wird. Prostituierten per se das Recht abzusprechen, freiwillig zu arbeiten, missachtet ihre Selbstbestimmung und eigene Verantwortung.

Warum sage ich das so bewusst? Diese Unterscheidung ist notwendig, damit genau das passieren kann, was hier vor Ort passiert ist. Es ist notwendig, für die jeweiligen Klient*innengruppen entsprechende professionelle Angebote zu erarbeiten und anzubieten. Der Bedarf der verschiedenen Zielgruppen ist einfach unterschiedlich.

Natürlich wird es immer wieder zu Überschneidungen in der Praxis kommen und daher auch in den notwendigen rechtlichen Maßnahmen: So ist es erforderlich, dass für Prostituierte Regelungen geschaffen werden, die nachhaltig und effektiv die Situation von Prostituierten verbessern, deren Rechtsposition stärken und gute Arbeitsbedingungen, z.B. durch die Schaffung von Mindeststandards, sicherstellen. Dies ist eines der Ziele des neuen geplanten Prostituiertenschutzgesetzes. Der aktuelle Stand hierzu ist, dass am 23.03.2016 das Bundeskabinett den entsprechenden Gesetzesentwurf beschlossen hat. Zu den Inhalten zählt u.a. die Einführung einer Erlaubnispflicht und Zulassungsprüfung für die Betreiber*innen von Prostitutionsstätten, deren Missachtung mit Bußgeldstrafen und Entziehung der Lizenz sanktioniert werden kann. Auch die Nichtbeachtung der geplanten Kondompflicht kann hohe Bußgeldstrafen für die Freier mit sich bringen. Für Prostituierte soll eine persönliche Anmeldepflicht und eine Pflicht zur gesundheitlichen Beratung eingeführt werden; beide müssen regelmäßig wiederholt werden. Der Gesetzesentwurf geht nun in das parlamentarische Verfahren und soll zum 1. Juni 2017 in Kraft treten. Aktuell ist der Entwurf dem Bundesrat zugeleitet worden, dieser ist allerdings laut dem Gesetzesentwurf nicht zustimmungspflichtig.

In der Gesamtbetrachtung des Gesetzes hat der KOK noch einen großen Diskussionsbedarf festgestellt. Unserer Meinung nach ist z.B. nicht ausreichend erklärt, wie die Erarbeitung von bundesweit einheitlichen Standards für die Umsetzung des Gesetzes erfolgen soll. Daher halten wir es für unumgänglich, die Umsetzung durch einen unabhängigen interdisziplinären Beirat zu begleiten. Den Ländern ist ausreichend Zeit für die Implementierung des Gesetzes zu gewähren.

Parallel sollte bei der Umsetzung auf Länderebene unbedingt eine aktive Einbeziehung von Fachwissen verschiedenster Akteure, wie bspw. der Fachberatungsstellen, der Datenschutzbeauftragen, der Gesundheitsämtern etc., stattfinden. Auch bestehende Runde Tische oder andere Gremien zu den Themen Prostitution und Menschenhandel müssen einbezogen werden bzw. sollten hier entsprechende Instrumente implementiert werden.
Bei der Auseinandersetzung mit den einzelnen Inhalten lässt sich festmachen, dass der Teil des Gesetzes, der die Maßnahmen für die Mindestanforderungen eines Prostitutionsgewerbes beschreibt, unserer Meinung nach in der Gesamtschau sicherlich zu begrüßen ist. Problematisch sind jedoch zum Teil einzelne rechtliche Bestimmungen, die für die Prostituierten entwickelt worden sind. Ich möchte hierfür nur ein Beispiel erwähnen: Die gesetzgeberischen Ziele können letztlich nur erreicht werden, wenn ein Rechtsanspruch auf Übersetzung in dem Gesetz aufgenommen wird. Dies ist jedoch bisher nicht der Fall. Wenn dieser Anspruch nicht in das Gesetz aufgenommen wird - so unsere Erfahrung - können letztlich nicht alle Prostituierten erreicht werden.

Ein weitere dringende Notwendigkeit für eine erfolgreiche Implementierung des Gesetzes ist es, dass die aufsuchende Arbeit, die direkt an den Arbeitsorten stattfindet und einen wichtigen Beitrag zur Informations- und Präventionsarbeit leistet, eingerichtet bzw. ausgebaut werden muss. Es muss sichergestellt werden, dass anonyme und kostenlose STI-Präventions-, Beratungs- und Untersuchungsangebote ausreichend und flächendeckend bereitgestellt werden und das Beratungsangebot für von Ausbeutung und Menschenhandel Betroffene ausgebaut wird. Gerade diese Forderung des KOK bringe ich immer wieder ein, egal wo ich bin. Leider gehen die Reaktionen inzwischen vielfach in die Richtung: „Euch geht es ja nur um das Geld, um die Finanzierung der Beratungsstellen. Es ist doch immer das gleiche." Meine Antwort hierzu ist, es geht selbstverständlich nicht nur darum. Aber die Finanzierung der Beratungsstellen ist eine ebenso notwendige und erforderliche Maßnahme. Ohne eine ausreichende und solide Finanzierung kann diese so wichtige Arbeit der Beratungsstellen in diesem Bereich nicht gewährleistet werden. Wenn uns das in den kommenden Jahren nicht zufriedenstellend gelingt, sehr geehrte Damen und Herren, werden wir bei allen Zielen, Maßnahmen etc. immer auf der Stelle treten und nicht vorankommen. Letztlich leiden aber die Betroffenen darunter, diejenigen, die Rat, Hilfe, Unterstützung und Schutz suchen. Das darf nicht sein.

Auch Theodora hatte in den letzten Jahren hart zu kämpfen, um die Finanzierung zu sichern. Nach einer ersten Förderung durch Aktion Mensch für die ersten drei Jahre, stand die Arbeit von Theodora faktisch seit März 2014 unter dem Damoklesschwert der Schließung des Projektes. Nur mit viel Mühe, sehr viel Engagement und etlichen Überstunden konnten Gelder aus dem EHAP Programm eingeworben werden. Die Suche nach neuen Geldgeber*innen erschwert die Arbeit der Beratungsstelle ungemein, letztlich werden damit wichtige Ressourcen gebunden, die notwendig wären für die Beratung der Klientinnen.
Daher ist es mehr als zu begrüßen, dass es jetzt gelungen ist, das neue Projekt für die kommenden drei Jahre finanziell einigermaßen zu sichern.

Notwendig wird es sicherlich sein, auch in den kommenden Jahren auf die bewährten Kooperationen und Partnerschaften zwischen Theodora und den anderen Akteuren, wie beispielsweise Gesundheitsämtern, Arbeitsagenturen, Finanzämtern und selbstverständlich auch anderen Beratungseinrichtungen, zurück zu greifen, diese auszubauen und zu verfestigen. Besonders hervorheben möchte ich dabei die Kooperation mit der Bildungslotsin der REGE (der Regionalen Personalentwicklungsgesellschaft).

Ich wünsche Ihnen eine gute Kooperation und gratuliere beiden Projekten noch einmal herzlich zur Förderung. Dies wird auch geleistet durch den Runden Tisch zu Menschenhandel und Prostitution in Ostwestfalen-Lippe, zu dem Theodor und Nadeschda einmal jährlich einladen. Der Mehrwert solcher Runden Tische ist unbestreitbar.

Ich wünsche Ihnen alles Gute für die kommenden Jahre. Wir freuen uns weiterhin auf den Austausch und stehen gerne als KOK immer mit unserem Fachwissen zur Verfügung.