Ein Netzwerk feiert runden Geburtstag

„100 Jahre. Mit Menschen unterwegs. FRAUENHEIM WENGERN.“ lautet das Jubiläumsmotto. Das FRAUENHEIM WENGERN macht heute rund 200 Menschen mit geistigen und psychischen Behinderungen unterschiedliche Angebote in der Region Wetter. Als Unternehmen mit rund 200 Arbeitsplätzen, überwiegend für Frauen, stellt es sich seit Jahrzehnten seiner Verantwortung in der Region. Weitere 140 Arbeitsplätze stehen Schwerbehinderten in der „Werkstatt für Menschen mit Behinderungen“ (WfbM) des FRAUENHEIM WENGERN zur Verfügung.

Am Leben in der Gemeinschaft teilzuhaben und im Quartier selbstbestimmt und selbstständig zu leben und zu arbeiten - das sind Ziele der Einrichtungen und Dienste, die in Trägerschaft der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V. sind. Das FRAUENHEIM WENGERN versteht sich als ein Netzwerk für Menschen mit Behinderungen und psychischen Erkrankungen.

Manuela Schunk, Öffentlichkeitsreferentin der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V., spricht mit Edelgard Spiegelberg, Leiterin der Gesamteinrichtung, über die Entwicklung der Arbeit mit Menschen mit geistigen und psychischen Behinderungen im Ennepe-Ruhr-Kreis.

Schunk: FRAUENHEIM WENGERN – was verbirgt sich hinter diesem Namen?

Spiegelberg: Es ist der Name für ein Unternehmen in der Stadt Wetter (Ruhr), es ist nicht nur tätig im Stadtteil Wengern, sondern auch in Esborn und Alt-Wetter. FRAUENHEIM WENGERN ist heute der Name für ein Netzwerk unterschiedlicher Wohn-, Arbeits- und tagesstrukturierender Einrichtungen und Diensten. Es bietet Leistungen für Menschen mit Behinderungen an. Die Angebote sind so vielfältig, wie die einzelnen nachfragenden Personen sich individuell unterstützen lassen wollen.

Schunk: Was suchen die Menschen?

Spiegelberg: Sie haben das Ziel, selbstbestimmt und selbständig zu leben. Abgestimmt auf ihre Fähigkeiten und Neigungen, vereinbaren sie  Art und Umfang der Unterstützung mit uns und dem Kostenträger.

Schunk: In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich vieles verändert. Die rechtliche Situation und die Angebote sind verbessert geworden. Menschen mit Behinderungen bewegen sich mitten unter uns. Das klingt alles sehr positiv…

Spiegelberg: Ja, dem  könnte so sein…Im Alltag jedoch sind nicht alle Menschen gleich, können nicht alle ihre Rechte verwirklichen. Gewalt gegen Frauen und gegen Männer mit Behinderungen ist immer noch überdurchschnittlich hoch. Sie werden im Bus, in Geschäften wegen ihrer Behinderung beleidigt. Wünschenswerte Hilfsmittel, barrierefreier Wohnraum oder Arbeitsplätze sind nicht vorhanden oder nicht zu finanzieren. In einer Gesellschaft, in der es starke Tendenzen gibt, menschenverachtende Haltungen und Strukturen im Alltag zu leben, müssen die Grundregeln des Lebens in der Gemeinschaft -  das gewaltfreie miteinander Leben in gegenseitigem Respekt und  Achtung – von Menschen mit und ohne Behinderung beachtet werden.

Schunk: Vor allem Sozial- und Gesundheitspolitiker scheinen sich mehrheitlich darauf zu verständigen, dass es für jeden Menschen mit Behinderung besser ist, nicht in einer stationären Einrichtung untergebracht zu werden…

Spiegelberg: Die Verringerung bis hin zur Abschaffung von stationären Plätzen ist eine rein politische Entscheidung. Sie berücksichtigt weder die Bedarfe und Bedürfnisse, noch die Wunsch- und Wahlfreiheit der Menschen mit Behinderungen. Die Zuordnung der gewünschten Wohnumgebung zu stationär oder ambulant ist heute überholt. Ein „Heim“, ein Zuhause ist überall dort zu finden, wo Menschen sich wohl fühlen und  die Möglichkeiten zum selbstbestimmten und selbständigen Leben vorhanden sind.

Schunk:  Sind denn alle Behinderten in der Lage, alle sich ihnen bietenden Möglichkeiten zu ergreifen?

Spiegelberg: Ja und nein. Sie müssen sie wählen, wahrnehmen, über die notwendigen persönlichen Ressourcen verfügen; Hilfen durch Eltern, Familie, Kindergarten, Schule, Ausbildung, durch fremde Personen annehmen. Grenzen bilden meist die eigenen Fähigkeiten und immer noch auch das Geld.