Dringende Probleme in der Pflege endlich angehen (Dezember 2013)
Festgäste des Hammer Fachseminars für Altenpflege setzten sich mit den aktuellen Anforderungen an Gesellschaft und Politik auseinander


Aus Anlass des 25jährigen Bestehens des Hammer Fachseminars für Altenpflege freuten sich über die fast 80 Gäste Ulrike Ollinger (Festrednerin, Soest), Cormelia Albersmeier (Fachseminar für Altenpflege, Hamm) und Pfarrerin Angelika Weigt-Blätgen (Trägervertreterin) (v.l.n.r.).

Seit 25 Jahren bildet das Fachseminar für Altenpflege - Haus Caldenhof - in Hamm in Trägerschaft der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V. Menschen im Beruf der Altenpflege aus. Am 06. Dezember 2013 wurde dies in der Tagungsstätte Haus Caldenhof in Hamm gefeiert mit fast 80 Gästen - Auszubildende, Absolventinnen und Absolventen, Dozentinnen und Dozenten, Vertreterinnen und Vertreter der Kooperationspartner, Verantwortliche in den Kommunen, in Kirche und Diakonie.

In den zurückliegenden fünfundzwanzig Jahren wurden in 33 Klassen fast 700 Menschen für die Altenpflege ausgebildet. Ulrike Ollinger, Pflegewissenschaftlerin und langjährig tätig am Soester Fachseminar für Altenpflege der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V., hatte aus den Unterlagen von Renate Gamp einen eigenen Vortrag erarbeitet und brachte Forderungen und Bedarfe den Festgästen vor. 

Renate Gamp, Vorsitzende des Deutschen Evangelischen Verbandes für Altenarbeit und Pflege (DEVAP) e.V., konnte wegen des Unwetters in Norddeutschland den Festvortrag „Quo vadis Pflege? Anforderungen an Gesellschaft und Politik“ nicht selbst halten. Die 66jährige hatte Pflege-Anforderungen an Politik und Gesellschaft sowie den Reformbedarf in der Pflege aus Sicht der Beschäftigten, der Pflegebedürftigen und der pflegenden Angehörigen zusammengestellt. Diese Forderungen sind z.T. in den Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und der SPD eingeflossen. Die Moderation der Grußworte und der Diskussion führte Angelika Weigt-Blätgen, leitende Pfarrerin der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V., durch. 

Nicht alle dringenden Probleme in der Pflege angegangen
Die Rahmenbedingungen der Versorgung alter Menschen müssen in den Versorgungsstrukturen durchlässig gestaltet werden. Damit greife ambulant vor stationär, werde das Wunsch- und Wahlrecht der Menschen realisiert, bleibe die Pflege für Altenpflegerinnen und Altenpflegern ein interessantes weites Arbeitsfeld. Gute Pflege und Betreuung bedeuten ganzheitliches und professionelles Handeln, Menschenwürde, Zuwendung, Aufmerksamkeit und Begleitung. Dafür brauche es Zeit, Personal und Geld. Genau an diesen Ressourcen aber mangele es. Längst fällig sei eine Pflege-Reform, die weit über das Pflegeneuausrichtungsgesetz hinausgehe. Die Soester Pflegewissenschaftlerin, Ulrike Ollinger, fügte diesen Forderungen hinzu, dass eine gesellschaftliche Akzeptanz und Bewertung von Pflege sicherlich nur dann gewährleistet werde, wenn sich die in der Pflege Tätigen zu Wort melden und für diese gesellschaftlich notwendige Arbeit Partei ergreifen: fast eine Millionen Beschäftigte in der Pflege können auf Dauer nicht überhört oder übersehen werden.

Forderungen sind teilweise im Koalitionsvertrag wiederzufinden
Im Koalitionsvertrag heißt es: „Eine verbindliche und langfristige Regelung zur vollständigen Finanzierung der Ausbildungskosten bei Umschulungsmaßnahmen durch den Bund und die Länder sollte getroffen werden.“ Diakonie und der DEVAP fordern jedoch eine dauerhafte vollständige Förderung von Umschulungsmaßnahmen in der Pflege durch die Bundesagentur für Arbeit. Diakonie und DEVAP wollen eine generalistische Ausbildung; eine „gemeinsame Grundausbildung mit einer darauf aufbauenden Spezialisierung für die Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege“ wie sie die neue Bundesregierung laut Koalitionsvertrag etablieren will, ist ihrer Meinung nach nicht zielführend.
„Wir prüfen ein verbindliches Verfahren zur Refinanzierung der Ausbildungskosten, um die Kostenbeteiligung aller Einrichtungsträger zu gewährleisten“, so steht es im Koalitionsvertrag.

Aus Sicht des DEVAP ist jedoch eine gesetzlich geregelte und vollständige Refinanzierung aller Ausbildungskosten, bei der alle, die von der Ausbildung profitieren - nämlich alle Einrichtungen im Gesundheits- und Pflegebereich -, beteiligt und mit dem gleichen Faktor belastet sind, dringend notwendig. Erfreulich sei jedoch, dass sich die Koalitionspartner im Vertrag endlich positionieren, dass die Ausbildung für jeden Auszubildenden kostenfrei sein müsse.

Leistungsgerechte tarifliche Bezahlung sichern
Zwar will sich die neue Bundesregierung „im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten für Personalmindeststandards im Pflegebereich einsetzen und die Pflegeberufe aufwerten“ - gute und würdevolle Pflege hat nach Ansicht des DEVAP aber ihren Preis. Pflegefachkräfte müssen Anerkennung auch durch eine angemessene Vergütung erfahren. Deshalb müssen die gesetzlichen Rahmenbedingungen geändert werden, um einen Tariflohn für Beschäftigte in der Pflege sicherzustellen.
Auch im Koalitionsvertrag sind sich die Koalitionspartner - wie von Diakonie und DEVAP gefordert - einig, dass „Dokumentationspflichten und Bürokratie auf das Nötigste begrenzt werden müssen“.

Pflegeleistung jährlich anpassen
Die zukünftige Bundesregierung will den Beitragssatz der Pflegeversicherung schrittweise um 0,5 Prozentpunkte anheben. Dass dies die soziale Pflegeversicherung dauerhaft auf eine solide finanzielle Grundlage stellt, bezweifelt der DEVAP.

Pflegebedürftigkeitsbegriff muss sich am tatsächlichen Bedarf des Menschen orientieren
Der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff muss nach Ansicht des DEVAP und der Diakonie zügig eingeführt werden. Und zwar nicht „so schnell wie möglich“, wie im Koalitionsvertrag formuliert, sondern am besten schon morgen.

Wahl zwischen verschiedenen Wohnformen und Pflegeleistungen ermöglichen
Niedrigschwellige lokale und Gemeinwesen orientierte Angebote, die generationenübergreifend zu kleinräumigen Unterstützungsstrukturen führen, und die die Eigenverantwortung und Solidarität der Menschen vor Ort stärken, sind zu fördern nach Ansicht des DEVAP und der Diakonie. Die neue Regierung will „in einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter Leitung des Bundesministeriums für Gesundheit klären, wie die Rolle der Kommunen bei der Pflege noch weiter gestärkt und ausgebaut werden kann. Insbesondere soll geklärt werden, wie die Steuerungs- und Planungskompetenz für die regionale Pflegestruktur gestärkt werden kann. Im Zusammenwirken mit städteplanerischen Instrumenten sollen Sozialräume so entwickelt werden, dass pflegebedürftige Menschen so lange wie möglich in ihrem gewohnten Umfeld verbleiben können. Außerdem sollen Kommunen stärker in die Strukturen der Pflege verantwortlich eingebunden werden.“ Allein, wo sie das Geld dafür hernehmen sollen, bleibt offen, merkt der DEVAP kritisch an.

Eigenständige Rechtsansprüche für pflegende Angehörige einführen
Zwar schreibt der Koalitionsvertrag: „Die zehntägige Auszeit für Angehörige, die kurzfristig Zeit für die Organisation einer neuen Pflegesituation benötigen, werden wir aufbauend auf der geltenden gesetzlichen Regelung mit einer Lohnersatzleistung analog Kinderkrankengeld koppeln.“ Lohnersatzleistungen für zehn Tage sind die richtige Richtung. Gleichzeitig müssen die Rentenbeiträge angehoben werden. Laut Koalitionsvertrag will die Bundesregierung „prüfen, ob die Anrechnung von Pflegezeiten in der Rentenversicherung verbessert werden kann“.

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