Psychisch kranke Menschen kommen gerne in die Tagesstätte der Frauenhilfe

(Juli 2015)

Psychisch kranke Menschen kommen gerne in die Tagesstätte der Frauenhilfe (Juli 2015)
Tagesstättenleiterin Melanie Schnelle

In der Küche der Tagesstätte Frauenhilfe an der Bahnhofstraße 26 duftet es nach Mittagessen. Während eine Besucherin Hackfleisch zu Kugeln formt, ist ein anderer Besucher damit beschäftigt, Kartoffeln zu schälen. Es gibt Königsberger Klopse. Seit April ist die Tagesstätte Anlaufstelle für Menschen mit psychischen Erkrankungen. Kostenträger ist der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL).

Eigentlich werden die Menschen in der Tagesstätte Nutzer genannt. In Werdohl haben sich die Mitarbeiterinnen jedoch auf die Bezeichnung Besucher geeignet. „Das klingt schöner“, sagt Tagesstättenleiterin Melanie Schnelle. Derzeit besuchen sechs Frauen und zehn Männer regelmäßig die hell und einladend gestalteten Räume an der Bahnhofstraße. „Die Besucher leben in eigenen Wohnungen. Sie brauchen aber eine Tagesstruktur“, erklärt Schnelle.

Tagesstruktur mitten in der Stadt

Und so beginnt der Tag für die Männer und Frauen um 9 Uhr mit einem gemeinsamen Frühstück. Anschließend werde Zeitung gelesen und das Mittagessen geplant. Einige Besucher kümmern sich um den Einkauf. Dafür sei die Lage der Tagesstätte von Vorteil, erklärt Schnelle. Alle Geschäfte seien fußläufig erreichbar: „So können wir jeden Tag frisch einkaufen.“ Um 12 Uhr stehe das Essen auf dem Tisch. Anschließend könnten die Besucher Zeit im kreativen Bereich verbringen. „Dort wird gehäkelt, gestrickt, gemalt und gefilzt“, erklärt Schnelle. Zudem gibt es eine Nähecke. In einem Raum stehen afrikanische Djemben (Trommeln) für die Besucher bereit. Manch einer habe erst in der Tagesstätte seine Liebe zur Musik entdeckt, sagt die Tagesstättenleiterin.

Gesellschaft und vielleicht Freunde finden…

Ein weiterer wichtiger Grund für die Besucher, in die Tagesstätte zu gehen, sei die Gesellschaft. „Es ist mir Zuhause zu langweilig. Hier ist man unter Menschen“, sagt ein Besucher. Sich mit anderen zu unterhalten, sei viel besser, als fernzusehen oder „rumzugammeln“. Dieser Besucher ist von Montag bis Freitag in der Tagesstätte. Schon immer habe er gern handwerklich gearbeitet. Deshalb freue er sich sehr über den Holzarbeiten-Bereich. Dort arbeiten die Besucher Kleinmöbel auf oder stellen Figuren und Regale her. „Ich habe mir ein ganzes Schachspiel gebaut“, erzählt der 46-Jährige. In der Tagesstätte habe er richtige Freunde gefunden.

Einer von ihnen ist 52 Jahre und erinnert sich noch gut an seinen ersten Tag in der Tagesstätte: „Ich war sehr skeptisch. Ich kannte ja keinen hier. Aber schon am zweiten Tag war das Eis gebrochen.“ Anfangs war der 52-Jährige nur an drei Tagen in der Woche in der Tagesstätte. Schnell habe er jedoch auf vier und schließlich auf fünf wöchentliche Besuche erhöht. Und: „Wenn Samstag und Sonntag offen wäre, würde ich auch am Wochenende kommen“, sagt er und lacht.

Talente fördern…

Das Team um Melanie Schnelle herum ist immer bemüht, die Talente und die Fähigkeiten der Besucher zu fördern. Und so hat der 52-Jährige festgestellt, dass er ein Händchen fürs Nähen hat. Etwas, das ihm bislang nicht bewusst gewesen sei. „Ich habe schon fünf Kissen genäht“, berichtet er stolz. Ohnehin habe er in der Tagesstätte viele, für ihn neue, Dinge kennengelernt: „Ich habe hier Marmelade gekocht und Kräuteröle hergestellt. Talente, die im Verborgenen schlummern, werden hier freigelegt.“
Worüber sich der gelernte Bäcker besonders freut, ist die Möglichkeit, seinen Beruf in der Tagesstätte ausüben zu können. Regelmäßig backt er Brötchen für das Frühstück. Die fertigen Teile werden eingefroren und jeden Morgen frisch aufgebacken. Wenn keine mehr da sind, greift Manfred wieder zum Backwerkzeug. „Manchmal kann ich die anderen motivieren, mir zu helfen“, sagt er.

Berührungsängste und fehlende Übung…

Melanie Schnelle arbeitet schon viele Jahre mit psychisch kranken Menschen. Gerade der Versuch, Menschen mit verschiedenen Krankheiten - Psychosen, Depressionen, Persönlichkeitsstörungen - zusammen zu bringen, sei nicht einfach. Die Menschen hätten oft Berührungsängste und keine Übung mehr im Umgang mit anderen. In der Tagesstätte an der Bahnhofstraße sei die Zusammenführung sehr gut gelungen. „Ich bin wirklich begeistert. Die Besucher verstehen sich gut, helfen sich gegenseitig und arbeiten auch gern mit. Sie haben alle eine ähnliche Geschichte“, sagt Schneller.
Meist würden die Besucher durch Kliniken, Betreuer oder durch betreutes Wohnen auf die Tagesstätte aufmerksam gemacht. Sprechen würden die Besucher ungern über ihr Leben. „Es ist immer noch ein Tabu-Thema“, weiß Schnelle.

Zum Hintergrund:

Die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen e.V. ist ein Mitgliederverband, ein Trägerverein und eine zertifizierte Einrichtung der evangelischen Frauen- und Familienbildung. Als eingetragener Verein verantwortet sie die gemeindebezogene Frauenarbeit in Westfalen in Bindung an die Evangelische Kirche von Westfalen. Zum Mitgliederverband gehören 38 Bezirks-, Stadt- und Synodalverbände, in denen sich fast 45.000 Frauen in 1.100 Ortsgruppen zusammengeschlossen haben. Als sozial-diakonische Trägerin verantwortet die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen über 15 Einrichtungen in der Altenpflegeausbildung, Altenhilfe, Behindertenhilfe und Anti-Gewalt-Arbeit. Einzelheiten erfahren Sie unter www.frauenhilfe-westfalen.de.

Zu ihrer Arbeit in der Behindertenhilfe finden Sie weitere Informationen unter www.frauenheim-wengern.de und www.frauenhilfe-westfalen.de/behinderungen_maerkischer_kreis.php, zu den Akzenten zum Thema Inklusion finden Sie mehr unter www.frauenhilfe-westfalen.de/inklusion_teilhabe.php

 

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