Aufbruch und Rückschritt, Mangel und Fülle
- Mit generationenübergreifendem Blick auf den Karibikstaat Kuba

(Februar 2016)

Ganz rechts die WGT-Vorsitzende Ormara Nolla, die Malerin mit dem Bild und Vertreterinnen des WGT aus Havanna (Februar 2016)

Ganz rechts die WGT-Vorsitzende Ormara Nolla, die Malerin mit dem Bild und Vertreterinnen des WGT aus Havanna.

In der Mitte Ormara Nolla, WGT-Vorsitzende Kuba, und Vertreterinnen des WGT in der Region Camagüey. (Februar 2016)

In der Mitte Ormara Nolla, WGT-Vorsitzende Kuba, und Vertreterinnen des WGT in der Region Camagüey.

Das Motiv des Weltgebetstages aus Kuba<br>Bildtitel: Ruth Mariet Trueba Castro/Kuba<br>Bildrechte bei: Weltgebetstag der Frauen - Deutsches Komitee e.V. (Februar 2016)

Das Motiv des Weltgebetstages aus Kuba
Bildtitel: Ruth Mariet Trueba Castro/Kuba
Bildrechte bei: Weltgebetstag der Frauen - Deutsches Komitee e.V.

Von Samoa bis Chile beten Menschen am Freitag, den 4. März 2016, in ökumenischen Gottesdiensten zur Liturgie von Frauen aus Kuba. Die bevölkerungsreichste Karibikinsel steht im Zentrum, wenn rund um den Erdball Weltgebetstag gefeiert wird. Dessen Gottesdienstordnung „Nehmt Kinder auf und ihr nehmt mich auf“ haben über 20 kubanische Christinnen gemeinsam verfasst. Kubanerinnen feiern den Weltgebetstag schon seit den 1930ern. An der Liturgie 2016 waren u.a. baptistische, römisch-katholische, apostolische sowie Frauen der Heilsarmee und der Pfingstkirche Christi sowie Quäkerinnen beteiligt. In ihrem zentralen Lesungstext (Mk 10,13-16) lässt Jesus Kinder zu sich kommen und segnet sie. Der zweite Lesungstext, Jesaja 11,1-10, drückt für die Kubanerinnen die große Hoffnung einer neuen Wirklichkeit aus, die sich wie ein wieder geöffnetes Paradies für die ganze Schöpfung zeigen wird.

Pfarrerin Lindtraud Belthle-Drury und ihr Team verantwortete für die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen e.V. die Werkstätten zur Vorbereitung des diesjährigen Weltgebetstages. Sie interpretiert die Auswahl der Bibelstellen: „Mit beiden Lesungstexten drücken die Kubanerinnen ihre Hauptanliegen aus: das „Miteinander der Generationen“ und „Veränderung“.“ Und fügt hinzu: „Ein gutes Zusammenleben aller Generationen begreifen die kubanischen Weltgebetstagsfrauen als Herausforderung - hochaktuell in Kuba, denn viele junge Menschen kehren der Insel den Rücken zu auf der Suche nach neuen beruflichen und persönlichen Perspektiven.“

Weiße Strände, bunte Oldtimer, Altstädte mit morbidem Charme und schöne Menschen, die ihrem karibischen Lebensgefühl mit Salsa-Rhythmen in Musik und Tanz Ausdruck verleihen - so wird das angesagte Tourismusziel Kuba beworben. Von der „schönsten Insel, die Menschenaugen jemals erblickten“ soll Christopher Kolumbus geschwärmt haben, als er 1492 im heutigen Kuba an Land ging. Die Insel liegt am Eingang des Golfs von Mexiko, südlich von Florida und westlich von Haiti. Das Land hat eine Fläche etwa so groß wie Bayern und Baden-Württemberg zusammen. Mit subtropischem Klima, langen Stränden und ihren Tabak- und Zuckerrohrplantagen ist die bevölkerungsreichste Karibik-Insel ein Natur- und Urlaubsparadies.

Seine 500-jährige Zuwanderungsgeschichte hat eine kulturell und religiös vielfältige Bevölkerung geschaffen. Nach der Revolution von 1959 wurde Kuba ein sozialistischer Staat, es folgte eine jahrzehntelange Isolierung der Insel - samt von den USA verhängter Blockade. Anfang der 1990er Jahre brach die Sowjetunion zusammen, die Kuba durch Waren und Finanzhilfe unterstützt hatte. Der Karibikstaat erlebte eine tiefe wirtschaftliche und soziale Krise. Seitdem wächst die Ungleichheit unter den rund 11,2 Millionen Menschen, das lange Zeit vorbildliche Bildungs- und Gesundheitssystem ist gefährdet.
64,1% bezeichnen sich als „Weiße“, 26,6% als Mestizen sowie 9,3% als „Schwarze“. Da viele eher Dunkelhäutige Wert darauf legen, zu den „Weißen“ gerechnet zu werden, sind diese Angaben umstritten.

Offizielle Zahlen zur Religionszugehörigkeit gibt es nicht. Der Großteil der kubanischen Bevölkerung ist röm.-katholisch, daneben gibt es zahlreiche protestantische Konfessionen sowie jüdische und muslimische Gemeinden. Eine wichtige Rolle im spirituellen Leben vieler Menschen spielt die afrokubanische Santería. Nach Jahrzehnten der Unterdrückung und Isolation ist Kuba seit 1992 ein laizistischer Staat mit Religionsfreiheit und mehr Spielräumen für die Kirchen. Seit der Revolution sind Frauen und Männer rechtlich gleichgestellt, Kuba gilt hier international als Vorbild. Im privaten Alltag jedoch klaffen Ideal und Wirklichkeit oft himmelweit auseinander und es herrschen patriarchale Rollenbilder des Machismo vor. Die meist Vollzeit berufstätigen Kubanerinnen sind oft allein verantwortlich für Haushalt, Kinder und die Pflege Angehöriger. Die Folgen des gesellschaftlichen Umbruchs treffen sie besonders hart.

Vielen Menschen auf Kuba geht es schlecht, sie sind auf subventionierte Grundnahrungsmittel angewiesen, die rationiert auf Lebensmittelkarten ausgegeben werden und nicht für einen ganzen Monat reichen. Lange Schlangen vor den Geschäften sind die Folge und ein unglaublicher Erfindungsreichtum, wenn es darum geht, mit dem Mangel zu wirtschaften und vielleicht auch an die begehrten CUCs zu kommen. CUC ist die Zweitwährung im Land, mit der Touristen bezahlen. Mit CUCs lässt sich alles kaufen, wenn auch zu horrenden Preisen; mit CUP, der nationalen Währung, fast nichts.

Wodurch ist die Krise auf der eigentlich reichen Insel verursacht? Die Antwort auf diese Frage ist, wie fast alles auf Kuba, auch politische Positionierung. Durch die Blockadepolitik der USA und des Westens? Durch fehlgeleitete sozialistische Planwirtschaft? Wahrscheinlich durch eine Kombination von beidem und wenn man weiter in die Geschichte Kubas schaut, auch durch die Monokulturen von Zuckerrohr, die nur einige wenige Zuckerbarone und europäische Kolonialmächte reich gemacht haben.

Die Öffnung Kubas und das Ende des Embargos führen im Land zu Aufbruchsstimmung und Planungen für die Zukunft. „Wir sind auf dem Sprung“, so beschrieb die junge Pfarrerin der methodistischen Gemeinde von Sancti Spiritus die Stimmung, die der Reisegruppe der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen im Frühjahr 2015 beeindruckend die Stimmung im Lande schilderte. „Aber jetzt nicht mehr auf dem Sprung, das Land zu verlassen, sondern für Kuba eine bessere Zukunft zu gestalten.“ Die Santería-Religion hat ihren Ursprung in den afrikanischen Religionen der Sklavinnen und Sklaven, die für die Arbeit auf den riesigen Zuckerrohr-Plantagen nach Kuba verschleppt wurden. Die Ausübung ihrer religiösen Kulte war ihnen verboten. Sie verbanden daher ihre „Orishas“, Götter, mit katholischen Heiligen, um dem Verbot zu entgehen.

Und wie ist Kuba? Eine Frage, die am Ende der Vorbereitung auf den Weltgebetstag in diesem Jahr wahrscheinlich noch schwieriger zu beantworten war als zu Beginn. „Ja, Kuba ist Karibik und Lebensfreude, Salsa und Son. Kuba ist Armut und Reichtum. Kuba ist Aufbruch und Rückschritt. Kuba ist Mangel und Fülle. Und die Erkenntnis: Kuba ist ganz anders, Kuba widersteht jedem Klischee.“

Die Weltgebetstagsarbeit der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V.

Das ökumenisch zusammengesetzte Team des Weltgebetstages in Westfalen führt jährlich fünf zentrale mehrtägige Tagungen zur Vorbereitung in Soest mit mehr als 130 Teilnehmerinnen durch. Hinzu kommen jedes Jahr zwei Veranstaltungen für den Weltgebetstag für Kinder mit 35 Multiplikatorinnen und Multiplikatoren in der Kindergottesdienst- und Jugendarbeit. Mehrere eintägige Veranstaltungen auf regionaler Ebene erreichen ca. 360 Teilnehmende. Seit vielen Jahren wird mindestens eine Reise in das jeweilige Land, aus dem aktuell die Weltgebetstagsordnung kommt, durchgeführt. In Kuba waren zwei Reisegruppen, eine im April und eine im November, so dass es 60 Frauen mit aktuellen Lageberichten gibt. Ungezählt bleiben die zahlreichen Vorträge und Veranstaltungen vor Ort, die sich das Team des Weltgebetstages für Westfalen bis Anfang März aufteilt. Somit wurden in diesem Jahr fast 1.000 Menschen über Land, Leute und Gebetsordnung direkt informiert.

Als regionale Versandstelle des Weltgebetstages bearbeitet die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen e.V. jährlich ca. 800 Material-Bestellungen aus ganz Westfalen.
Die Gottesdienste am 1. Freitag im März finden zumeist nicht zentral, sondern in den katholischen oder evangelischen Kirchengemeinden statt. Fast 550 Gottesdienste jährlich mit mehr als 55.000 Kindern, Männern und Frauen sind der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen allein für Westfalen bekannt.

Die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen e.V. sammelt die WGT-Kollekte - zumeist aus den evangelischen Gemeinden -, um dem Deutschen Weltgebetstags-Komitee Einzelbuchungen - und damit Kosten - abzunehmen und leitet diese dann weiter. Jährlich wird so eine Kollektenhöhe von mehr als 75.000 € für den WGT weitergeleitet.
Die Mitglieder und Mitgliedsorganisationen der Evangelischen Frauenhilfe sind zum Teil seit den 1950er Jahren aktiv und bis heute hoch engagiert in der Weltgebetstagsarbeit.

 

Fenster schließen