Katja Jochum 13.06.2012 | 23:12

Vom Sonnenkönig, Weltgebetstagsfrauen und geistreichen Aktivistinnen
Wir hatten Glück: Im Gegensatz zu Roswitha, einer unserer Teilnehmerinnen, die vor ein paar Monaten schon einmal eine völlig überfüllte Führung in Versailles gemacht hatte, sahen wir im Schloss nicht nur den Boden, sondern auch die prunkvollen Spiegelsäle, Gemälde, die uns sonst aus Geschichtsbüchern entgegen leuchteten, und barocke Prachträume, deren Ecken bis ins letzte ausgestaltet waren. In bewährt kenntnisreicher und unterhaltsamer Art leitete Cathérine uns durch die Geschichte und das Schloss.

Nach einer ausgiebigen Führung durch die Gartenanlagen (heute kostenlos, da die Wasserspiele lediglich an den Wochenenden angeschaltet werden), fuhren wir zurück zum Foyer Le Pont.
Zwei Begegnungen gehörten dann zum weiteren Tagesprogramm.

Zunächst trafen wir uns mit zwei Frauen des Weltgebetstagskomitees, Véronique und Philippine, beide aus der Eglise Réformée und der Ile de France stammend.
Wir erfuhren, wie das Französische WGT-Komitee sich alljährlich auf die Arbeit im WGT-Verein, den Regionen und Gemeinden auf den ersten Freitag im März vorbereitet, wie die Frauen sich auf ihre Aufgabe als Weltgebetstagsland seit Januar 2010 vorbereitet haben und welche besonderen Zugänge sie zu dem ausgewählten Bibeltext in Leviticus 19 haben.
Fremd sein - als Asylantin, als Heimatsuchende und Sich-Fremd-Fühlen in der Gemeinde, in einer Gemeinschaft waren Aspekte unseres Gesprächs. Auf mehreren Ebenen möchten die Französinnen des Komitees das Zitat aus Mt 25 „Ich war fremd – ihr habt mich aufgenommen“ öffnen - unterstreichen, wie sich ihre Gesellschaft in diese Richtung ändern soll und ein Friedens- und Hoffnungszeichen aus ihrem Glauben setzen. Im Elsass wird unser Gespräch zum WGT Frankreich mit drei weiteren Komiteefrauen Fortsetzung finden.

Nach dem Abendessen im italienischen Restaurant trafen wir im Foyer Frauen der feministischen Aktionsgruppe „La Barbe“, die mit ironischen, geistreichen Auftritten auf die Unterrepräsentanz von Frauen in Leitungsfunktionen, in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, die Bedingung der „gläsernen Decke“ hinweisen. „La Barbe“(Deutsch: „der Bart“ und gleichzeitig „es ist genug!“) nutzt den Nationalfeiertag für Schwerpunktaktionen, aber auch Gesellschaftertreffen von börsennotierten Unternehmen, die Filmfestspiele in Cannes oder die Treffen der traditionsreichen Académie Francaise. Die Frauen sitzen im Publikum der Veranstaltung, stehen auf das Signal der Frau, die für diese Aktion Initiatorin ist, auf und betreten die Bühne. Sie setzen sich Bärte auf, gratulieren den anwesenden Männern zu Erfolgen, die offensichtlich die Kompetenz von Frauen ausgeschlossen haben, halten eine formvollendete Rede (ein Manifest), formieren sich und parodieren Gesten von Unangreifbarkeit und Dominanz. Nach einem Foto tritt die Gruppe von der Bühne ab.

Mittlerweile sind die Frauen weit über Frankreich bekannt - mit dem Mittel der Ironie haben sie Unterstützung und Interesse auch bei den großen Zeitungen wie LeMonde gefunden.
Sich für Frauenrechte auf diese Weise einzusetzen, sich gemeinsam kreativ zu empören und Aufmerksamkeit mit einem Lachen und Augenöffner zu schaffen, verbindet die 40 bis 50 aktiven Frauen, die zur Gruppe gehören, und verschafft ihnen selbst Selbstbewusstsein, das sie sich nicht zugetraut hätten. „Gibt es bei Euch eigentlich auch schon La Barbe?“

 

Antje Lütkemeier 12.06.2012 | 21:36

"Mein Herz schlägt, also bin ich." Auf den Spuren von Simone de Beauvoir erkundeten wir morgens die Stadtteile Monparnasse und St. Germain des Près. Ganz im Stil der Bohème des 20. Jahrhunderts lebte die feministische Schriftstellerin in diversen Hotels und manchmal in angemieteten Wohnungen, die meiste Zeit ihres Lebens in der Nähe des Schriftstellers Jean Paul Sartre, allerdings nie wirklich mit ihm zusammen. Ihrer intensiven Partnerschaft tat dies offensichtlich keinen Abbruch, vielleicht sogar eher ganz im Gegenteil.

Reiseführerin Cathérine erzählte von den diversen Wechselbeziehungen des Künstlerpaares (ja, nebenbei auch von den wechselnden Beziehungen) mit der Stadt Paris besonders den oben genannten Stadtvierteln. Die besondere Atmosphäre der Stadt hat die Beiden zu denen werden lassen, die sie geworden sind und Paris wurde durch Beauvoir und Sartre zu einem einmaligen Ort.
Ein schlichtes Grab auf dem Friedhof Monparnasse wurde für beide zur letzten Ruhestätte - eine räumliche Enge, die sie im Leben immer vermieden haben.

Mittagspause im Künstler- und Studierendenviertel St. Germain des Près. Einige Frauen folgten auch in ihrer Mittagspause noch auf den Spuren der berühmten Feministin und bezahlten 6€ für einen Tee, - aber garantiert an dem Tisch, an welchem auch Simone damals immer gesessen hat. Andere ließen sich im Strom der Menschen treiben, wieder andere hatten eine erste kulinarische Begegnung mit den berühmten französischen Schnecken in Knoblauchsoße. Letztere waren auch den Rest des Tages noch durchaus olfaktorisch kenntlich.

Nachmittags dann ging es in die Räume einer reformierten Kirche, um dort Cécile Poletti und Violaine (?) von der Organisation Cimade zu treffen. Cimade wurde 1939 gegründet, zunächst um sich um von Deutschen vertriebene Franzosen zu kümmern. Mit der Zeit änderten sich die Arbeitsschwerpunkte: Hilfe für jüdische und andere Insassen der deutschen Lager auf französischem Boden, französisch-deutsche Versöhnungsarbeit, Unterstützung der algerischen Unabhängigkeit sind Beispiele.
Heute arbeitet Cimade in erster Linie mit und für Flüchtlinge und Asylsuchende in Frankreich. Wir waren sehr beeindruckt von der Kompetenz und Energie der beiden jungen Mitarbeiterinnen, die sehr klar den Finger in die Wunden der französischen Flüchtlings- und Asylpolitik legten. Besonders Frauen, so berichteten sie, leiden unter der restriktiven Anwendung der Gesetze.

Nach einem keinen Zwischenstopp im Foyer le Pont ging es im strömenden Regen zum reichlichen und leckeren Abendessen im "Kaiserlichen Palast", einem chinesischen Restaurant.
"Mein Herz schlägt, also bin ich" - Mein Bauch ist gefüllt, also geht es gut.

 

Katja Jochum 11.06.2012 | 21:08

Ein Tag mit (mindestens) drei Überschriften - deshalb heute ein längerer Eintrag.
Bei all den Aktivitäten des heutigen Tages ist es fast trocken geblieben - am Nachmittag haben wir sogar die Sonne gesehen!

Nach der ersten Nacht im Foyer Le Pont konnten wir uns beim Frühstück berichten, wie wir die erste Dusche im Platzsparwunder der Badezimmer des Foyers erlebt hatten. Mit Baguette, Müsli und Vollkormbrot (!) stärkten wir uns für die Stadtrundfahrt, die uns zu verblüffenden Einsichten in die Seine-Metropole verhalf. Unsere Reiseführerin Cathérine belebte die Tour durch Paris und seine Sehenswürdigkeiten mit charmanten Anekdoten. Wir erfuhren, in welcher Beziehung Napoleon, sein Pferd und Pumpernickel stehen, bestaunten die alten Mauerreste unter dem Louvre und fotografierten den Dome des Invalides von allen Seiten.

Wir konnten nachvollziehen, wie sich Ludwig XIV mit Straßennetzen wie Sonnenstrahlen in das Gesicht der Stadt eingeprägt hat, und erfuhren, dass unter Parmentier im 18 Jahrhundert die Kartoffeln in Frankreich eingeführt wurden, indem Ludwig XVI davon essen sollte. Nachdem der König keinen Schaden genommen hatte, wurde das neue Lebensmittel zum begehrten (und zunächst streng bewachten) Gut.

Nach dem Mittagessen im vegetarischen Restaurant trafen wir uns mit Ludovic Fresse, dem Länderbeauftragten für Frankreich der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste.
Schwerpunkte des Gesprächs lagen in der Vorstellung von Aktion Sühnezeichen, von der Idee 1958 in Deutschland, Freiwillige nach Shoah und Krieg in Versöhnungsdienste zu entsenden, bis zu aktuellen trinationalen Seminaren, die Migration und Integration heute thematisieren.
Wir erfuhren, dass Freiwillige, die für Aktion Sühnezeichen arbeiten, sich einen Förderkreis suchen, der sie mit monatlichen Beträgen unterstützt. Die Freiwilligen antworten mit regelmäßigen Berichten über das, was sie bei ihrem Einsatz erleben.

Ludovic Fresse erzählte uns von einem Frauenprojekt von ASF, das auf ihn besonderen Eindruck gemacht hatte: Jüdischn Shoa-Überlebende, die aus Ländern Osteuropas nach dem Krieg nach Frankreich gekommen waren, erlebten, wie ihnen durch das Projekt nach Erfahrungen von Antisemitismus und Ausgrenzung Räume geöffnet wurden, in denen sie ihre Geschichte erzählen konnten.

Unsere zweite Begegnung führte uns nach Saint Cloud zu der Pfarrerin Agnes von Kirchbach in ihre Gemeinde. Wir lernten von ihr in einem berührenden, intensiven Gespräch, was Kirche-Sein in Frankreich bedeutet. Wie lebt die Minderheit der protestantischen Christinnen und Christen (2% in ganz Frankreich) in den Rahmenbedingungen des laizistischen Staates Glauben? Im Vollzug der anti-kirchlichen Gesetzgebung von 1905 ist es den Gemeinden und ihren PfarrerInnen z.B. nicht erlaubt, diakonische Arbeit zu leisten oder Schulunterricht zu geben.

Will die Gemeinde diakonisch handeln, gründet sie einen Verein. Auch Saint Cloud kümmert sich auf diese Art um Migrantinnen und Migranten. Arme Familien werden mit Lebensmitteln unterstützt - Agnes von Kirchbach erzählte, dass 15% der Kinder in den Außenbezirken von Paris nicht genug zu essen haben.

Nach dem strahlenden Paris der Sehenswürdigkeiten zeigte sich uns in den beiden Begegnungen das andere Paris - eine Stadt, in der Diskriminierung gestern und heute aktuell geblieben ist und Versöhnungsarbeit und Lernen zum Umgang mit Verschiedenheit fordert, in der Menschen aus der Gemeinde Saint Cloud 7/8 ihres Gehaltes für die Miete ausgeben und eine Wahl treffen müssen zwischen Wohnen und Essen.

 

Katja Jochum 10.06.2012 | 22:48

Über die Stationen Bad Lippspringe, Soest und Lichtendorf sind wir heute in Richtung Paris gestartet. Mit zwei Pausen zur allmählichen Akklimatisierung erreichten wir per Bus unser erstes Reiseziel, das Foyer Le Pont in der Rue de Gergovie.

Nach dem Beziehen der Zimmer stand ein erstes Gruppentreffen auf dem Programm, bei dem wir auch die sieben Frauen begrüßen konnten, die per Zug direkt nach Paris gereist waren. Zum Abendessen ging es in das algerische Restaurant „Aux Brochettes“ in unmittelbarer Nähe des Tagungshauses, in dem wir mit einem Couscous-Menü verwöhnt wurden.

Es folgten eine Kennenlernrunde und zahlreiche Informationen. Mit dem Abendlied "Gehe ein in deinen Frieden" beschlossen wir diesen ersten gemeinsamen Reisetag.

Morgen erwartet uns Paris mit einer Stadtrundfahrt bei hoffentlich besserem Wetter, als die Vorhersage uns ahnen lässt…

 

Evangelische Frauenhilfe in Westfalen e.V. 25.05.2012 | 11:15

31 Weltgebetstagsbegeisterte und reiseinteressierte Frauen brechen am 10. Juni zu einer 14tägigen Frauenbegegnungs- und -bildungsreise nach Frankreich auf, die die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen e.V. anbietet.

Die Reiseleiterinnen - Pfarrerin Antje Lütkemeier und Pfarrerin Katja Jochum - berichten über ihre Erfahrungen und Begegnungen im Land.

 

Bildnachweis:
Ich war fremd - ihr habt mich aufgenommen (Ausschnitt),
Anne-Lise Hammann Jeannot, © WGT e.V.