Stellungnahme der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V. zu Arbeitsmarktreformen und Geschlechterverhältnis (Oktober 2005)

In der diesjährigen Herbstkonferenz der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V. haben sich 70 Teilnehmerinnen Ende Oktober 2005 intensiv mit den Arbeitsmarktreformen in Deutschland auseinandergesetzt und eine Erklärung verabschiedet.
In 14 Punkten stellen sie Fehlannahmen der Arbeitsmarktreformen heraus und arbeiten 16 Forderungen zur Nachbesserung heraus.

Die Mitglieder der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen fordern die Politikerinnen und Politiker aller Parteien auf, grundsätzlich bei Arbeitsmarktreformen die Geschlechtergerechtigkeit zu berücksichtigen. Die Arbeitsmarktreformen fördern ihrer Ansicht nach eine sog. „Versorger-Ehe“ durch die derzeitige Auslegung von „Bedarfsgemeinschaften“. Frauen würden vermehrt in Abhängigkeit von Partnern und Familie gedrängt.
Eine weitere Grundsatzkritik bezieht sich auf die irrige Annahme, es gäbe genügend Arbeitsplätze, aber nicht genügend Arbeitswillige. Die Statistiken hätten gezeigt, - so die Teilnehmerinnen -, dass die Kluft zwischen offenen Stellen und Arbeitslosen immer weiter wachse. Eine weitere Grundkritik: Gesetze und deren Umsetzungen würden gekennzeichnet vom permanenten Missbrauchsverdacht.

Neben Grundsatzkritiken an den Arbeitsmarktreformen haben die Teilnehmerinnen einen Katalog von Forderungen zur Nachbesserungen der Arbeitsmarktreformen aufgestellt. Neben der Sicherung einer eigenständigen Absicherung von Frauen und der Existenzsicherung außerhalb von Erwerbsarbeit solle der „Ombudsrat - Grundsicherung für Arbeitssuchende“ nicht zum Ende dieses Jahres seine Arbeit beenden, sondern seine Beauftragung um ein Jahr verlängert werden.

Bereits im Oktober 2004 stellten mehr als 70 Teilnehmerinnen der Herbstkonferenz der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V. empört und betroffen die Auswirkungen des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes auf Menschen in stationären Einrichtungen der Alten- und Behindertenhilfe fest. Sie forderten die Politikerinnen und Politiker auf, umgehend die Regelungen in Bezug auf Menschen, die in stationären Einrichtungen leben, grundsätzlich zu überdenken. Finanzielle Einbußen für die Betroffenen und die damit verbundenen Einschränkungen in der Lebensqualität gelt es zu verhindern. Sie seien abzumildern durch Eingriffe in die Gesetze und Regelungen.

Erklärung der Teilnehmerinnen der Konferenz der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V. 
„Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit - Christliche Werte und der Umbau des Sozialstaates“ vom 24. - 25.10.2005 in Soest zu den Arbeitsmarktreformen und Geschlechterverhältnis.

Wir, 70 Frauen aus allen Regionen Westfalens und Mitglieder der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V., haben uns vom 24. bis 25. Oktober 2005 intensiv mit den Arbeitsmarktreformen in Deutschland auseinandergesetzt. Dabei standen die Berücksichtigung der christlichen Werte sowie die Auswirkungen der Regelungen speziell auf Frauen im Mittelpunkt unserer Diskussion. 

Wir stellen grundsätzlich an den letzten Arbeitsmarktreformen fest:

  • Die Grundannahme bei diesen Gesetzen, es gäbe genügend Arbeitsplätze, aber nicht genügend Arbeitswillige, ist falsch.
  • Der permanente Missbrauchsverdacht kennzeichnet die Gesetze und deren Umsetzungen.
  • Die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe ist kein Instrument zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit.
  • Die Marktorientierung nach neoliberalem Ansatz ist in Frage zu stellen.
  • Die Arbeitsmarktreformen fördern eine so genannte „Versorger-Ehe“ durch die Bedarfsgemeinschaften. Frauen werden vermehrt in Abhängigkeit von Partnern und Familie gedrängt.
  • Die Vorstellung von Vollbeschäftigung, wie sie in den Arbeitsmarktreformen enthalten sind, basieren nicht auf Realität. Daher sind die Arbeitsmarktreformen nicht zukunftsfähig.
  • Die Vielfalt von Leben ist auf Erwerbsarbeit reduziert. Alle Beratungs- und Integrationsleistungen (siehe SGB II) werden auf Erwerbsarbeit reduziert.
  • Altersarmut wird durch die Festlegungen in SGB II wieder weiblich.
  • SGB II enthält die Vernichtung von sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen durch die überhöhte Förderung von Ein-Euro-Jobs und Ich-AGs. Damit werden Beschäftigungsmöglichkeiten für Frauen vernichtet.
  • Vor allem sozialversicherungspflichtige Teilzeittätigkeiten von Frauen, etwa im Handel und Gastgewerbe und bei den sozialen Diensten, werden durch Mini- und Midi-Jobs sowie Ein-Euro-Jobs ersetzt.
  • Soziale Dienstleistungen werden als einfache Dienste abqualifiziert. Als Wachstums- und Beschäftigungsmotor fallen sie aus. Die sozialen Dienste werden qualitativ nicht gesichert und die Löhne abgesenkt.
  • Bislang stellen Frauen in Deutschland die große Mehrheit der Beschäftigten im Niedriglohnsegment. Das Ziel eines Ausbaus des Niedriglohnsektors ist deshalb gleichbedeutend mit mehr Lohndiskriminierung.
  • Die Mehraufwandsentschädigung ist Mangelverwaltung und schafft keine Arbeitsplätze.
  • Die Mehraufwandsentschädigung (MAE, so genannte Ein-Euro-Jobs) kann nur ein nachrangiger Baustein bei Qualifizierung und Beschäftigung sein. 

Wir fordern mindestens Nachbesserungen der Arbeitsmarktreformen in folgenden Punkten:

  • Eine eigenständige Absicherung von Frauen ist sicherzustellen.
  • Eine Existenzsicherung außerhalb der Erwerbsarbeit muss gesichert sein, sonst droht Altersarmut, „Working poor“, etc.
  • Es sollen mehr aktive Arbeitsmarktsinstrumente entwickelt werden, um sozialversicherungspflichtige Beschäftigung auszubauen.
  • Mittel- und längerfristige Beschäftigungsmöglichkeiten sollen für Menschen entwickelt werden, die auf dem ersten Arbeitsmarkt keine Chancen haben.
  • Alle Nichtleistungsbezieherinnen, die arbeitssuchend sind, müssen in die aktive Förderung.
  • Kindererziehungs- und Pflegezeiten sollen bei Renten- und Sozialleistungen in ihren Anwartszeiten anerkannt werden.
  • Die sozialpädagogische Betreuung der Mitarbeitenden in Ein-Euro-Jobs soll ausgebaut und qualifiziert werden. Sie muss regelmäßig evaluiert werden.
  • Die geschlechtsspezifische Aufarbeitung von Daten ist von der Bundesagentur vorzunehmen und dem Controlling zuzuführen.
  • Der Ombudsrat für die Arbeitsmarktreformen darf nicht zum Ende 2005 die Arbeit beenden, sondern muss um ein Jahr verlängert werden.
  • Die persönlichen Ansprechpartner (PaP/Fallmanager) müssen von den Empfängerinnen und Empfänger wählbar sein - also auch abgelehnt werden können.
  • Die PaPs sollen ein flächendeckendes Gender-Training erhalten.
  • Die Zielvereinbarungen der Job-Center bzw. ARGes müssen öffentlich gemacht werden.
  • Die Verantwortung für die Mittel, das Controlling und die Richtlinien müssen zentral - z.B. bei der Bundesagentur - bleiben und nicht an die Kommunen delegiert werden. Dabei müssen die Wohlfahrtsverbände bei Controlling und Richtlinien einbezogen werden.
  • Härtefallregelungen in SGB II und SGB XII müssen formuliert werden. Eine Gewährung von Härtefallregelungen auf Darlehnsbasis ist abzulehnen.
  • Beiräte der ARGe/ Job-Center sollen flächendeckend eingerichtet werden.
  • Beiräte der ARGes bzw. Job-Center sind u.a. von Wohlfahrtsverbänden zu besetzen. 

Verabschiedet 25. Oktober 2005 in Soest 
In der Herbstkonferenz der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V.

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