Kürzungen in der Landesförderung der Fachseminare für Altenpflege und ihre Folgen (Februar 2006)

Das Fachseminar für Altenpflege in Soest, das Alten- und Pflegeheim, Lina-Oberbäumer-Haus in Soest und die Trägerin beider Einrichtungen, die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen e.V., stellen im Zusammenhang mit der Kürzung des Betriebsmittelzuschusses für die Fachseminare und den politischen Verlautbarungen seitens der Landesregierung eine massive Fehleinschätzung der Situation im Bereich der Ausbildung von Fachkräften in der Altenpflege fest:

Pflege ist eine gesellschaftliche und damit eine politische Aufgabe. Damit kann auch die Ausbildung keine Aufgabe von Privatunternehmern oder Einzelpersonen sein. Der Weg der Deregulierung der Altenpflege-Ausbildung von Bund und Land führt konsequent zu einem Pflegenotstand in Deutschland.

Es müssen bei den Personen derzeit keine Anreize geschaffen werden, eine Ausbildung als Pflegefachkraft zu machen, sondern die praktischen Ausbildungsbetriebe müssen die finanziellen Mittel haben, um eine Ausbildung zu finanzieren. Die Fachseminare, die die theoretische Ausbildung durchführen, müssen die Finanzmittel zur Verfügung haben, um die notwendige Qualität aufrechtzuerhalten.

Zukunfts- und Qualitätssicherung von Pflege kann nicht den finanziellen Spielräumen des „Unternehmens Pflege“ obliegen, sondern muss durch die Einführung einer Ausgleichsfinanzierung anstelle des 2003 abgeschafften Umlageverfahrens in der ausnahmslos alle Altenpflege-Einrichtungen einzahlen müssen. In einigen Bundesländern wird die Ausgleichsfinanzierung zur Zeit diskutiert. Baden-Württemberg hat sie zu Beginn dieses Jahres eingeführt. Die Sicherung des Bedarfs an Pflegefachkräften in NRW kann nicht zu Lasten der Schulträger gehen, indem ihr Eigenanteil immer weiter steigt.

Der Ausgangspunkt 
Die deutsche Bevölkerung wird immer älter. Eine steigende Zahl hilfsbedürftiger Menschen ist eine der logischen Konsequenzen. Und mehr hilfsbedürftige Menschen benötigen mehr qualifiziertes Personal.
Mit über 12.000 Plätzen entfallen Statistiken zufolge fast 30 % der bundesweit ausgewiesenen Ausbildungsplätzen im Bereich Altenpflege aus NRW. Allein 1.855 Ausbildungsplätze sind im Diakonieverbund Rheinland, Westfalen und Lippe angesiedelt.

Das Fachseminar für Altenpflege in Soest hat derzeit 48 Auszubildende in drei Kursen. Einmal jährlich wird ein neuer Kurs aufgenommen, in diesem Jahr wird dies am 1.9. sein.

Der Diakonieverbund Rheinland, Westfalen und Lippe hat bereits zugesagt, dass alle 34 Fachseminare je 16 Ausbildungsplätze finanziert bekommen werden. "Das war im Jahr 2005 nicht anders. Da hätten wir auch 16 Auszubildende aufnehmen können. Der Kurs musste jedoch mit 11 stattfinden, da sich nicht mehr praktische Ausbildungsplätze finden ließen bei den Soester ambulanten und stationären Altenpflege-Einrichtungen und -Dienste.“, erklärt Martina Gielow, Leiterin der Schule, die Problematik.

Stationäre Einrichtungen können Auszubildende refinanzieren über ihre Pflegesätze, ambulante nicht. Der Vorteil dieses Systems ist, dass die Betriebe direkt Fachkräfte für ihren Bedarf ausbilden können. Der Nachteil ist, dass diejenigen, die keine dreijährige Ausbildung mit rund 42.000 Euro finanzieren, dieses Geld einsparen und es dadurch zu Wettbewerbsverzerrungen kommt.

"Kleine Einrichtungen können jährlich 14.000 Euro auch nur unter großen Schwierigkeiten aufbringen. Und dies kostet nun mal ein Auszubildender jährlich. Die finanzielle Kapazität wird immer geringer“, meint Edna Künne, Leiterin des Lina-Oberbäumer-Hauses in Soest. Diese Problematik wurde durch das Bundesaltenpflegegesetz 2003 hervorgerufen, in dem unter anderem geregelt wurde, dass sämtliche Ausbildungskosten nun die ausbildenden Betriebe allein tragen müssen. Bis dato hatten sämtliche Pflege-Einrichtungen eine Umlage gezahlt, unabhängig davon, ob die Betriebe ausbildeten oder nicht. Aus diesem Topf konnten dann die zuständigen Fachseminare sowohl die Azubis entlohnen als auch ihre eigenen Kosten decken. "Dass stationäre Einrichtungen Auszubildende über ihre Pflegesätze refinanzieren können, stimmt nur zum Teil: Die aktuelle Situation in vielen Altenheimen und der damit verbundene Konkurrenzdruck lassen eine Erhöhung des Pflegesatzes - zur Finanzierung der Ausbildung - in der Regel jedoch nicht mehr zu, d.h. die Refinanzierung ist so gesehen nicht mehr gegeben“, stellt Edna Künne fest.

In den Fachzeitschriften wird zudem immer intensiver und auch kontrovers diskutiert, ob eine Kürzung der Vergütungen von Altenpflege-Auszubildenden ein Weg sei: 
"Die Ausbildungsvergütungen in der Alten- und Krankenpflege gehören zu den höchsten“, gibt Martina Gielow zu bedenken. Ob durch eine reduzierte Ausbildungsvergütung die Ausbildungssituation für die Betriebe verbessert werden würden, ist umstritten: Die Brutto-Vergütung liegt zwischen 110 und 170 Euro monatlich höher als die beispielsweise einer Auszubildenden in den Bürokommunikationsberufen, jedoch sind die Dienstzeiten auch deutlich voneinander abweichend.

Zu den politischen Überlegungen der Landesregierung 
Seit Jahren ist der Betriebskostenzuschuss eingefroren gewesen. Seit 1998 steigt der Trägeranteil damit immer weiter: 1998 haben die meisten Fachseminare durch den Betriebskostenzuschuss von 350 Euro mit dem obligatorischen Eigenanteil von Schulträgern von 10 % gearbeitet. Dieser Anteil ist deutlich angestiegen. Das Land NRW hat seinen Zuschuss zu den Betriebskosten von bisher 317 Euro pro Monat und Schüler in 2006 auf 300 Euro und ab 2007 auf 280 Euro gekürzt. Von einer „Ausbildungsoffensive“ - wie es in jüngster Zeit zu hören war - kann auf diesem Hintergrund nicht die Rede sein.

Die derzeitige Regelung führt zum Rückgang der Platzzahlen bei den Fachseminaren: Interessentinnen und Interessenten müssen sich de facto beide Ausbildungsplätze - betrieblich wie schulisch - parallel suchen, da sie nur mit beiden Ausbildungsplätzen die Ausbildung beginnen können. Die Heime bilden aufgrund deren angespannten Haushaltslage nicht mehr so viele aus. Die Folge: die Zahl der Auszubildenden in den Fachseminaren geht zurück.
Das führt mittelfristig zu Rückgängen der an die Schülerzahlen gebundenen Zuschüsse an die Fachseminare und damit zu weiteren zu wirtschaftlichen Problemen. Schwerwiegender ist jedoch gesellschaftlich betrachtet, dass weniger Pflegefachkräfte ausgebildet werden als zuvor und damit politisch der Pflegenotstand hervorgerufen und beschleunigt wird.

Eine Initiative wie die der Landesregierung im September 2005, nämlich 1.000 Ausbildungsplätze zusätzlich im Altenpflegebereich fördern zu wollen, ist von geringem Erfolg gekrönt:
Die 1.000-Plätze-Initiative der Landesregierung kann nur greifen, wenn die Altenhilfe-Einrichtungen mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen. Und dies kann aufgrund der derzeitigen Situation nicht geschehen.

Überlegungen der Landesregierung, das duale System einführen zu wollen im Bereich der Altenpflege-Ausbildung führt zu keiner Lösung: Bereits jetzt ist Theorie und Praxis getrennt, Interessenten müssen sich parallel um einen praktischen und einen theoretischen Ausbildungsplatz kümmern. Die theoretischen Ausbildungsinhalte sind dabei eng mit der praktischen Ausbildung verzahnt. Eine Lösung wie die des dualen Systems würde lediglich zu einer Verschiebung der Unterrichtskontingente führen und damit zu einer Qualitätsveränderung der Ausbildung nach unten.

Seit letztem Jahr wird als Modellversuch die einjährige staatlich anerkannte Altenpflegehelfer-Ausbildung in 10 Fachseminaren in NRW erprobt. Auch hier gilt wieder, dass die Auszubildenden sich parallel einen praktischen und einen schulischen Ausbildungsplatz suchen müssen. Wenn die Modellversuche Anfang 2007 evaluiert sein werden, wird es stattlich anerkannte Altenpflegehelferinnen und Altenpflegehelfer geben, die in der Praxis den Pflegefachkräften assistieren. Dies kann ein qualitativer Fortschritt in der Pflege sein, darf aber nicht als Möglichkeit verstanden werden, die 50 %-Fachkraftquote in Altenpflege-Einrichtungen zu unterlaufen.

Forderungen
Das Umlageverfahren, das 2003 abgeschafft wurde, muss schnellstmöglich von der Landesregierung in NRW als Ausgleichsfinanzierung eingeführt werden, in dessen Pool alle Altenpflege-Einrichtungen einzahlen müssen, unabhängig davon, ob sie ausbilden oder nicht.

Die Sicherung des Bedarfs an Pflegefachkräften in NRW kann nicht zu Lasten der Schulträger gehen. Seit 1998 steigt der Trägeranteil immer weiter an. Ziel ist daher die Zurücknahme der Kürzungen der Betriebskostenzuschüsse.

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