Stellungnahme der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V. zur embryonalen Stammzellenforschung (September 2007)

Aufgrund der aktuellen Debatte um die Liberalisierung des Stammzellengesetzes hat die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen e.V. in der Konferenz der Leiterinnen ihrer Bezirks-, Synodal- und Stadtverbände am 13./14. September 2007 in Soest folgende Stellungnahme beschlossen:

„Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde…
und sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.“

(Gen. 1, 27. 31)

Seit dem Weltgebetstag 1986, dessen Liturgie von australischen Frauen entwickelt wurde, beschäftigt sich die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen e.V. mit den ethischen Grundsatzfragen der Gen- und Reproduktionsmedizin. Aus der Weltgebetstagsordnung wurde erkennbar, dass Australien ein Land ist, in dem an Pflanzen, Tieren und Menschen völlig unbedenklich gentechnisch geforscht werden konnte. Das hat die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen e.V. bereits 1987 zur Diskussion über Embryonenforschung geführt. Die restriktiven Regelungen des Embryonenschutzgesetzes von 1990 griffen die ethischen Bedenken des Verbandes weitgehend auf.

Das Stammzellgesetz von 2002 wurde von der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V. nur zum Teil als eine gute Regelung angesehen: Einerseits verbietet es zwar die Einfuhr und Verwendung embryonaler Stammzellen grundsätzlich. Andererseits erlaubt es aber die Einfuhr von Embryonen und Stammzelllinien, die vor 2002 im Ausland gewonnen und hergestellt wurden.

Die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen e.V. verpflichtete sich in ihrer Stellungnahme vom Oktober 2003 zum gentechnischen Fortschritt in der Fortpflanzungsmedizin, sich am gesellschaftlichen Diskurs über Entwicklung und Grenzen der bio- und gentechnologischen Forschung sowie der Anwendung ihrer Ergebnisse zu beteiligen.
„Sie wird dabei christliche, aus feministisch-theologischer Sicht formulierte Wertvorstellungen in das Gespräch mit Gesellschaft und Politik einbringen“. In den sich daraus ergebenden Diskussionen wurde in der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V. deutlich, dass das Stammzellgesetz von 2002 ein ethisch bedenklicher Kompromiss war, der nun, fünf Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes, dazu führt, dass Forscherinnen und Forscher dazu aufrufen, diese Hürde abzuschaffen und das Stammzellgesetz zu liberalisieren. Am 16. Juli 2007 hat sich der Nationale Ethikrat mit knapper Mehrheit für die Lockerung des Stammzellgesetzes ausgesprochen. Vor den Folgen dieser Lockerung warnt die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen e.V.!

Für die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen e.V. gilt heute wie vor zwanzig Jahren der im Reagenzglas erzeugte Embryo - in vitro - als genauso schützenswert wie der in vivo gezeugte. Es gilt Artikel 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“
Aufgrund des christlichen Menschen- und Weltbildes ist ein Embryo nicht ein bloßer Zellhaufen, ein „Ding“, an dem man forschen kann unter Inkaufnahme seiner Zerstörung: Menschliches Leben beginnt mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle.

Nach Ansicht der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V. nutzen in der embryonalen Stammzellforschung Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Nöte von Frauen, die nicht auf herkömmlichem Wege schwanger werden können, für ihre eigenen Forschungszwecke. Folgenreich ist aus der Sicht der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V. auch die globale Dimension der Forschung an menschlichen Embryonen. Die wirtschaftliche Not von Frauen wird für wissenschaftliche Zwecke ausgebeutet, indem Frauen veranlasst werden, sich für eine minimale finanzielle Entschädigung dem gesundheitlichen Risiko eines Eingriffes zur Entnahme von Eizellen zu unterziehen.

Nicht nur der Embryo hat eine zu schützende Würde. Ebenso verbietet die Würde von Frauen es, ihre Gebärfähigkeit zu instrumentalisieren und sie zu „Rohstofflieferantinnen“ für die Stammzellenforschung zu machen.

Embryonale Stammzellforschung ist verbrauchende Embryonenforschung und muss - wie im Stammzellgesetz geregelt - verboten bleiben. Die Frage, ob mit einem solchen Verbot die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Forschung und Wirtschaft in diesem Bereich gefährdet ist, kann in einer so fundamentalen ethischen Fragestellung kein entscheidendes Argument sein. Das Versprechen der Forschenden, mit Hilfe der Stammzellen schwere Krankheiten heilen zu können (von Diabetes über Rückenmarkserkrankungen bis zu Alzheimer und Morbus Parkinson), konnte bislang in keinem Fall gehalten werden. Doch selbst, wenn es eine Möglichkeit der Stammzelltherapie gäbe, dürfte sie nicht unabhängig von den Methoden beurteilt werden, mit denen sie erreicht werden soll: Embryonale Stammzellforschung ist vom Verfahren her weitgehend identisch mit dem des reproduktiven Klonens, d.h. der technischen Herstellung von menschlichem Leben, dessen Zerstörung absichtlich in Kauf genommen wird, um ein anderes Leben möglicherweise irgendwann einmal zu heilen.

Die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen e.V. setzt sich weiter dafür ein, dass Menschen in unserer Gesellschaft (wieder) lernen, mit Behinderungen und Krankheit, mit Altern und Sterben umzugehen und sich dabei gegenseitig zu stützen. Lange und oft wurde die christliche Religion dazu missbraucht, gerade Frauen zum Ertragen und Aushalten menschenunwürdiger Situationen zu zwingen, anstatt diese zu verändern. Die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen e.V. achtet deshalb besonders darauf, dass Leiden nicht romantisiert oder gar religiös überhöht wird. Gleichzeitig aber wird sie den in unserer Gesellschaft dringend notwendigen Widerstand gegen die Illusion einer leidfreien, unbegrenzten Existenz leisten.

Wir fordern die Forschenden deshalb dazu auf, ihr Augenmerk mehr auf die Forschung mit adulten Stammzellen zu richten: Im menschlichen Körper lassen sich in vielen Organen, von der Haut bis zur Leber, Stammzellen isolieren. Sie können der Forschung von Therapiemöglichkeiten dienen, ohne Embryonen zu zerstören!

Mit dieser Stellungnahme stimmt die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen e.V. weitgehend mit folgenden Stellungnahmen überein:
„Von der Würde und der Verantwortung von Frauen“ des Präsidiums der Evangelischen Frauenarbeit in Deutschland zu Fragen der Gen- und Reproduktionstechnik aus dem Jahr 2002, der Stellungnahme der Evangelischen Frauenhilfe in Deutschland e.V. „Grenzwerte - Die Herausforderung des bio- und gentechnischen Fortschritts in der Humanmedizin annehmen“ aus dem Jahr 2002 und der Stellungnahme zur embryonalen Stammzellenforschung des Nordelbischen Frauenwerkes vom Sommer 2007.

Der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V. gehören mehr als 80.000 evangelische Frauen in Westfalen an. Sie ist Trägerin unter anderem von mehreren Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen im Ennepe-Ruhr-Kreis und im Märkischen Kreis.

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