Stellungnahme der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen zum bedingungslosen Grundeinkommen (Mai 2009)

Die mehr als 45 Teilnehmerinnen der diesjährigen Frühjahrskonferenz der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V. zum Thema „Armut und Reichtum“ in Soest haben eine Stellungnahme zum bedingungslosen Grundeinkommen beschlossen. In der Stellungnahme heißt es:

Nach der zweitägigen Beschäftigung mit dem Thema „Armut und Reichtum in Deutschland“ im Rahmen der Frühjahrskonferenz der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen bewegt uns die Sorge darum, wie Leben und Arbeiten in einer Zeit wie der unseren organisiert werden können, wenn sozialversicherungspflichtige und existenzsichernde Arbeitsplätze immer weniger werden.

Die Evangelische Frauenhilfe fragt mit Amartya Sen (Wirtschaftswissenschaftler, Nobelpreisträger) nach den Verwirklichungschancen, die jedem Menschen zur Verfügung stehen sollten: „ …ein Leben führen zu können, für das sie sich mit guten Gründen entscheiden konnten und das die Grundlagen der Selbstachtung nicht infrage stellt.“
In ihrer Denkschrift zur Armut in Deutschland spricht die EKD von „Befähigung zur Eigenverantwortung und Solidarität“, die auf gerechte Teilhabe an den Grundgütern unserer Gesellschaft für alle Menschen zielt.

Die bereits in der Vergangenheit und in jüngerer Zeit wieder vorgestellte Idee eines Grundeinkommens kann einen Impuls darstellen in Richtung auf mehr Gerechtigkeit und „eine Gesellschaft, in der Menschen genug Geld haben für ein Leben in Würde“ (Dr. Antje Schrupp, Journalistin und Politologin).
Wenn ein Grundeinkommen dem grundsätzlichen Gerechtigkeitsgedanken folgen und auch zu mehr Geschlechtergerechtigkeit führen soll, müssen die folgenden Kriterien und Rahmenbedingungen erfüllt sein:

  • Ein Grundeinkommen darf keinen Zwang zur Arbeit enthalten, damit Erwerbsarbeit und Einkommen entkoppelt werden. Nur so kann ein Umdenken eingeleitet werden, das einen weiteren Begriff von Arbeit und die Anerkennung unbezahlter und ehrenamtlicher Arbeit ermöglicht. Damit entsteht die Chance, endlich zu einem Verständnis von Arbeit zu kommen, in dem die mehrheitlich von Frauen geleistete Pflege- und Beziehungsarbeit und ehrenamtliche Arbeit enthalten sind und Wertschätzung erfahren.
  • Die Höhe eines Grundeinkommens muss existenzsichernd sein und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. Um den Missbrauch des Grundeinkommens als geringfügige Entlohnung von Haus-, Familien- und Pflegearbeit, die hauptsächlich von Frauen geleistet wird, auszuschließen, müssen Maßnahmen konsequent umgesetzt werden, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen und einer angemessenen Entlohnung entsprechen.
  • Die Höhe eines Grundeinkommens muss auf einem individuellen Rechtsanspruch fußen, der vom sozialen Status und der sozialen Einbindung unabhängig ist. Damit verfügen auch Frauen und Kinder über wirtschaftliche Sicherheit und Unabhängigkeit aus jeweils eigenem Anspruch.
  • Grundeinkommensregelungen dürfen nicht zu einer generellen Lohnabsenkung und zu einem Ausbau des Niedriglohnsektors führen.
  • Ein Grundeinkommen muss leistungsunabhängig und bedingungslos sein, d.h. es darf keine entwürdigende Bedürftigkeitsprüfung geben. Damit wird nach unserem christlichen Menschenbild der Selbstachtung der Menschen Rechnung getragen durch Vertrauen und Empowerment.

Die weitere Arbeit an den geschlechterpolitischen Rahmenbedingungen darf jedoch nicht vernachlässigt werden und muss durch eine aktive Gleichstellungspolitik erfolgen. Ein Grundeinkommen kann hier nicht Antwort, sondern nur Denkanstoß sein. Es stellt einen Baustein in einem umfassenderen Projekt dar, das Frauen und Männern den gleichen Zugang zu Chancen und Arbeitsmöglichkeiten eröffnet.

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