Politische Forderungen für den Bereich Opfer von Menschenhandel zur Landtagswahl 2010
(April 2010)

Politikerinnen und Politiker in NRW sind gefordert, sich für eine verbindliche Absicherung und Weiterentwicklung der unverzichtbaren Leistungen für Frauen und Mädchen, die von Gewalt betroffen sind, einzusetzen. Diese Meinung vertritt die „NRW-Vernetzung der spezialisierten Beratungsstellen für Opfer von Menschenhandel“ und hat einen Forderungskatalog als Wahlprüfsteine für die NRW-Landtagswahl am 9. Mai 2010 aufgestellt.

Diese Forderungen sind an alle Landtagsfraktionen in Düsseldorf und an Landtagsabgeordnete ergangen. Zu den Forderungen, die die beiden Sprecherinnen der NRW-Vernetzung, Mira von Mach (Nadeschda in Herford) und Andrea Hitzke (Dortmunder Mitternachtsmission e.V.) gemeinsam mit den anderen spezialisierten Beratungsstellen aufgestellt haben, gehören:

  • Kostendeckende und bedarfsgerechte Finanzierungen der spezialisierten Beratungsstellen für Opfer von Menschenhandel in NRW. 
  • Zugang zu Therapien für psychisch erkrankte Opfer von Menschenhandel
  • Ausreichende Hilfen zum Lebensunterhalt gemäß SGB II bzw. SGB XII für alle Opfer des Menschenhandels.
  • Gewährleistung des größtmöglichen Schutzes für Opferzeuginnen während und nach dem Prozess; gegebenenfalls Erteilung eines dauerhaften Aufenthaltes aus humanitären Gründen.
  • Entkriminalisierung von Frauen, die Opfer von Menschenhandel geworden sind. Dazu gehört es, dass die Frauen nicht als Täterinnen behandelt werden, weil sie gegen das Aufenthaltsgesetz verstoßen haben.
  • Schutz von Kindern und jugendlichen Opfern von Menschenhandel muss Vorrang vor der Ausländergesetzgebung haben.
  • Konsequente Gewinnabschöpfung aus Menschenhandelsverfahren und gezielte Verwendung für die Opfer von Menschenhandel und die Arbeit der Beratungsstellen.
  • Konsequente Umsetzung des § 25 Abs. 4a, Aufenthaltsgesetz (Aufenthalt aus humanitären Gründen).
  • Re-/Integrationshilfen für Opferzeuginnen.
  • Unterstützung von bestehenden Projekten (Beratung, Prävention, Information) für Opfer von Menschenhandel in den Herkunftsländern, z.B. durch Kontakte in den Partnerstädten.
  • Die Opfer des Menschenhandels zum Zwecke der Ausbeutung der Arbeitkraft (§ 233 StGB) müssen konsequenter in den Blick genommen werden.
  • Zur Aufdeckung des immensen Dunkelfelds Menschenhandel bedarf es einer besseren personellen Ausstattung der Ermittlungsbehörden.
  • Schulungen und Fortbildungen im Themenfeld Menschenhandel für Polizei, Justiz und Behörden.
  • Zeugnisverweigerungsrecht: Für Beraterinnen von Opfern von Frauenhandel (Erweiterung des §53 StPO: Zeugnisverweigerungsrecht aus beruflichen Gründen).
  • Erweiterung des §44 Aufenthaltsgesetz (Berechtigung zur Teilnahme an einem Integrationskurs) auf Opfer  einer Straftat / Opfer von Menschenhandel, die eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4a Aufenthaltsgesetz erhalten.

Zum Hintergrund:
Menschenhandel ist ein Verbrechen. Es ist zum Einen Sexualisierte Gewalt an Frauen und ein Straftatbestand im Sinne des Strafgesetzbuches, §232 StGB. Opfer von Menschenhandel sind überwiegend Frauen und Mädchen aus Ost- und Südeuropa aber zunehmend auch aus Afrika, Asien und Lateinamerika.
Sie werden mit falschen Versprechen auf Arbeit oder Ehe nach Deutschland gelockt. Die Unkenntnis der deutschen Sprache und der damit verbundenen Hilflosigkeit in einem fremden Land sowie das Wissen um die Notwendigkeit ihre Familien in den Herkunftsländern zu unterstützen, werden ausgenutzt, um Frauen und junge Mädchen mir Arbeitsversprechen und Arbeitsangeboten nach Deutschland zu bringen.
Hier werden sie mit erheblichen psychischen Druck und physischer Gewalt zur Prostitution gezwungen oder daran gehindert aus der Prostitution auszusteigen. In NRW angekommen, werden sie in Bordelle oder Bordellähnliche Einrichtungen oder auf den Straßenstrich verbracht und müssen dort der Prostitution nachgehen.

Menschenhandel ist ein lukratives Geschäft für die Täter, Gewinne sind vergleichbar mit jenen im Waffen- und Drogenhandel, die Strafen fallen weitaus geringer aus. Menschenhandel ist ein Kontrolldelikt und für die Verurteilung der Täter werden Zeuginnen benötigt. Eine Aussage bedeutet für die von Menschenhandel betroffene Frauen, dass sie sowohl dem Druck und der möglichen Gewalt durch den Täter gegen ihre eigene Person als auch gegen ihre Familien in den Herkunftsländern standhalten müssen.

Als Menschenhandel gilt ebenfalls die Ausnutzung der Arbeitskraft nach § 233 StGB. Auch in diesen Fällen werden Menschen falschen Versprechungen nach Deutschland gelockt, um sie auszubeuten.
Sie werden zum Beispiel gezwungen mit absolut geringer oder ohne Bezahlung in Haushalten zu putzen,  zu waschen, etc.. Sie leben dort in menschenunwürdigen ausbeuterischen Verhältnissen, häufig abgeschottet von der Außenwelt. Ein Entrinnen aus dieser Situation ist den Opfern aus eigener Kraft nur in seltenen Fällen möglich. 

Auch für diesen Arbeitsbereich sind mehr Ermittlungen sowie kostendeckende und bedarfsgerechte Finanzierungen der Hilfe notwendig.

Die Landesregierung des Landes Nordrhein-Westfalen hat die Problematik bereits frühzeitig erkannt und versucht, ihr entgegenzutreten. Seit 1989 gibt es Erlasse des Justiz- und Innenministeriums, die den Schutz und die gesicherte Unterbringung sowie die Begleitung der Opferzeuginnen vor, während und nach dem Prozess regeln. Spezialisierte Fachberatungsstellen für Opfer von Menschenhandel erhalten eigens zu diesem Zweck in die Landesförderung. Heute gibt es in NRW acht geförderte spezialisierte Fachberatungsstellen für Opfer von Menschenhandel. Die Fachberatungsstellen arbeiteten von Anfang an in enger Absprache mit den ermittelnden Polizei- und Justizbehörden. Vielen Hunderten Frauen und Mädchen konnte in diesen Jahren aus ihrer Zwangssituation herausgeholfen werden, mit steigender Tendenz.
Dank der Aussagen vieler mutiger Zeuginnen konnten Täter bestraft und Menschenhändlerringe zerstört werden.

Um auch weiterhin erfolgreich gegen den Menschenhandel vorzugehen und den Opfern angemessen helfen zu können, gilt es zukünftig diese Standards mindestens zu halten bzw. weiter auszubauen.
Dafür ist es zwingend notwendig, entsprechende Rechtsgrundlagen zu schaffen.

Nadeschda, spezialisierte Beratungsstelle für Opfer von Menschenhandel, hat ihren Sitz in Herford und ist zuständig für den Regierungsbezirk Detmold. Seit 1997 ist sie in Trägerschaft der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V.

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