100 Jahre Internationaler Frauentag -
Die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen e.V. bewertet die Fortschritte in der Geschlechtergerechtigkeit (März 2011)

Nach 100 Jahren Internationaler Frauentag ist weiterhin eine frauenspezifische Arbeit in Kirche und Diakonie notwendig, die mit entsprechenden finanziellen und personellen Ressourcen ausgestattet ist. Und trotz 100-jähriger Geschichte des Internationalen Frauentages ist politisches Engagement und Beteiligung - auch der konfessionellen Verbände und Institutionen - notwendig, so z.B. von der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V. in den Kampagnen zum Equal pay day oder in der Kampagne „Saubere Kleidung“ bei der diesjährigen Frauen-Fußball-Weltmeisterschaft. Der 8. März 2011 sei einerseits ein Tag, um nach 100jährigem zähen Ringen die Erfolge in der Geschlechtergerechtigkeit zu feiern; es sei aber auch Anlass, deutlich zu machen, welche Schritte auf dem Weg zu Geschlechtergerechtigkeit noch ausstehen.

Für die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen e.V. bedeutet frauenspezifische Arbeit in Kirche und Diakonie, dass jedes Arbeitsfeld geschlechterspezifisch und geschlechterdifferenzierend betrachtet werden muss.
Alte Frauen in der stationären und ambulanten Pflege haben z.B. besondere Bedarfe und besondere biografische Prägungen (ebenso wie Männer). Eine traumatisierte Frau, die im Krieg, auf der Flucht oder unter der Besatzung vergewaltigt wurde, brauche eine geschlechter- und biografiesensible Pflege - davon ist die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen e.V. überzeugt. Das gleiche gelte für Frauen mit Vergewaltigungs-, Missbrauchs- und häuslichen Gewalterfahrungen. Eine geschlechtsspezifische Arbeit - das betont auch die Männerarbeit der EKD - sei aus Sicht des Landesverbandes unbedingt notwendig.

„Was für die Klientinnen der Arbeit gilt, gilt selbstverständlich auch für die Mitarbeiterinnen“ macht Angelika Weigt-Blätgen, leitende Pfarrerin der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V., deutlich.
„Ich halte eine Frauenquote von 40% in allen Vorständen, Verwaltungsräten und auf der mittleren Leitungsebene für geboten. Auf der Basis von Betriebsvereinbarungen bzw. in Tarifverhandlungen der Arbeitsrechtlichen Kommissionen sollten Gleichstellungsregelungen auf den Weg gebracht werden. Dem zu erwartenden Fachkräftemangel ist zu begegnen, in dem familienfreundliche Arbeitsbedingungen und flexible Wiedereinstiegsmöglichkeiten geschaffen werden. Auch in Kirche und Diakonie gibt es Gehaltsdifferenzen zwischen Frauen und Männern durch Unterschiede bei den Arbeitsplatzbeschreibungen und Anforderungsprofilen.“

Die Evangelische Frauenhilfe könne als Trägerin versuchen - so die leitende Pfarrerin - unter den Finanzierungs-, Förderungs- und Konkurrenzbedingungen frauengerechte Arbeits- und Pflegebedingungen zu schaffen und dort, wo Frauen und Männern tätig oder betroffen sind, darauf hinzuwirken, dass geschlechtergerecht  und geschlechtersensibel gearbeitet wird. Das erfordere ein großes Engagement, z.B. im Fortbildungsbereich.
Die zentrale politische Forderung des ersten Internationalen Frauentages 1911 war das aktive und passive Wahlrecht für Frauen.

Im Jahr 2009 konnte auf wichtige Meilensteine auf dem Weg zur Gleichberechtigung zurückgeschaut werden:
90 Jahre Frauenwahlrecht, 60 Jahre Gleichstellungsartikel im Grundgesetz, 50 Jahre Gleichberechtigungsgesetz. Viel wurde erreicht. Dennoch: echte Gleichstellung in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sieht anders aus.

Heute geht es um die Verwirklichung der Chancengleichheit, um gleichberechtigte Teilhabe von Frauen im Erwerbsleben und an politischen Entscheidungsprozessen und gesellschaftlichen Ressourcen.
In Deutschland verdienen Frauen noch immer bis zu 23 Prozent weniger als Männer. Viele von ihnen bemühen sich täglich um eine Balance zwischen Familie und Beruf. Und viele Frauen wollen einen beruflichen Aufstieg wie ihre männlichen Kollegen.

Menschenwürdige Arbeit bleibt vielen Frauen auch nach 100 Jahren Internationaler Frauentag bis heute versagt. Und auf Grund ihres Geschlechtes bleiben Frauen besonders verwundbar.
Das zeigt sich in den vielen Gesichtern von Gewalt, denen Frauen tagtäglich ausgesetzt sind.

Die Vereinten Nationen haben definiert, dass Frauen nicht zufällig Gewalt durch Männer erleiden, sondern dass es sich dabei um eine spezifische Form von Gewalt, nämlich um geschlechtsspezifische Gewalt, handelt, die „gegen eine Frau gerichtet ist, weil sie eine Frau ist oder die Frauen überproportional betrifft.“

Die Frauenrechtskonvention CEDAW legt in den allgemeinen Empfehlungen fest, dass die Definition von Diskriminierung geschlechtsspezifische Gewalt inkludiert. Als Ursache von Gewalt an Frauen sehen die Vereinten Nationen „die Manifestation der historisch gewachsenen ungleichen Machtbeziehungen zwischen Männern und Frauen, die zur Beherrschung und Diskriminierung der Frauen durch Männer und der Verhinderung der vollen Entwicklung der Frauen geführt hat.“

Trotz 100 Jahre Internationaler Frauentag gibt es sexualisierte Gewalt gegen Frauen als Kriegswaffe, gibt es Genitalverstümmelung, Zwangsheirat und Frauenhandel. Und es gibt ein unvorstellbares Ausmaß an alltäglicher, häuslicher Gewalt gegen Frauen und Kinder. Heute setzen sich Fraueninitiativen, Netzwerke und Verbände weiter politisch dafür ein, dass Geschlechtergerechtigkeit und eine paritätische Teilhabe an allen gesellschaftlichen Entscheidungen gelebter Alltag für alle Frauen wird.

Heute lauten daher die Forderungen:

  1. gleicher Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit
  2. bedarfsgerechte und qualifizierte Bildungs- und Betreuungseinrichtungen für alle Kinder
  3. flexible Arbeitzeitmodelle
  4. bessere Vereinbarkeit von Ausbildung, Beruf, Familie und Pflege
  5. gleiche Karrierechancen für Männer und Frauen - mehr Frauen in Führungspositionen
  6. Eindämmung von Niedriglöhnen und prekärer Beschäftigung
  7. eigenständige Existenzsicherung für Frauen und sichere Rente

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