Beratungsstelle TAMAR akut gefährdet

Dezember 2017

Beratungsstelle TAMAR akut gefährdet (Dezember 2017)

Beraterin Barbara Batzik, Trägervertreterin Pfarrerin Angelika Weigt-Blätgen, Leiterin Pfarrerin Birgit Reiche und Beraterin Sabine Reeh (v.l.n.r.) starteten 2014 die Beratungsstelle TAMAR voller Tatendrang.

Die Zukunft der Prostituiertenberatungsstelle TAMAR bleibt ungewiss. Trotz anderslautender Zusagen wurde vor Weihnachten keine Entscheidung zur Weiterfinanzierung getroffen.

Bis September 2017 war TAMAR von „Aktion Mensch“ drei Jahre lang gefördert worden. Ebenfalls für die Jahre 2015 bis 2017 erhielt sie Landesmittel für die zielgruppenspezifische AIDS-Prävention über die AIDS-Hilfe NRW. Eine verlässliche Weiter-Finanzierung ist bislang trotz großer Anstrengungen nicht gelungen.

„Das in einer Zeit, in der die Einführung des neuen Prostituiertenschutzgesetzes und der Zuwachs an Armutsmigrantinnen die Arbeit der nicht-behördlichen Beratungsstelle TAMAR dringend notwendig machen“, empört sich Pfarrerin Birgit Reiche, Leiterin von TAMAR. Es sei ein fatales Signal, dass das einzige Hilfeangebot in einer so großen Region wie Südwestfalen scheinbar nach politischem Willen eingestellt werden soll.

Ein Antrag auf Anschlussfinanzierung aus ESF-Mittel liegt seit Mai 2017 zur Bearbeitung im Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales, ohne das er bisher beschieden wurde. Anfang Dezember wurde dazu auch ein Gespräch mit Ministerpräsident Armin Laschet am Rande einer Veranstaltung geführt. Dieser sagte eine schnelle Bearbeitung des Förderantrags TAMAR sowie eine Rückmeldung vor Weihnachten zu. Die beiden Landtagsabgeordneten Jens Kamieth (Siegen-Wittgenstein) und Heinrich Frieling (Kreis Soest) versicherten ebenfalls noch Mitte Dezember bei einem Besuch der Beratungsstelle für eine Entscheidung vor Weihnachten Sorge zu tragen. Der letzte Plenartag des Jahres 2017 kam, ein Bescheid blieb aus.

Parallel gestellte Anträge auf eine anteilige Kostenbeteiligung der Kreise in Südwestfalen haben ebenfalls keinen Erfolg gebracht. Die Begründungen lauteten ähnlich: Das neue Prostituiertenschutzgesetz führe seit Juli 2017 für den Kreis zu zusätzlichem Personal im Gesundheits- und im Ordnungsamt. Eine nicht-behördliche Beratungsstelle sei „unerlässlich im Hinblick auf die komplexen Lebens- und Problemlagen der Sexarbeiterinnen“, aber die Verantwortung für ein überregionales Angebot könne nicht bei einem Kreis liegen. Lediglich der Kreistag des Kreises Siegen-Wittgenstein beschloss, die 40.000 € mit einem Sperrvermerk in den Haushalt einzustellen und darüber in der nächsten Sitzung im März 2018 neu zu beraten.
Durch eine hohe Spendenbereitschaft in der Bevölkerung in Südwestfalen und die Bereitschaft der Trägerin, der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen, den Fehlbetrag zu finanzieren, konnte die Arbeit wenigstens bis Februar 2018 gesichert werden.

Die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen hatte auf Empfehlung des NRW-Gesundheitsministeriums an die fünf Kreise und Kommunen in Südwestfalen, dem Zuständigkeitsgebiet TAMARs, rechtzeitig Anträge gestellt, um eine Weiterfinanzierung zu ermöglichen. Dazu gehören der Märkische Kreis, der Hochsauerlandkreis und die Kreise Soest, Siegen-Wittgenstein, Olpe sowie die Stadt Hamm. Die Anträge beinhalteten eine Stellenausweitung von TAMAR von 1,7 auf 2,5 Stellen und somit die Antragssumme von anteiligen 40.000 € pro Jahr in den Kreisen Siegen-Wittgenstein und Soest, für die anderen Kreise etwas weniger. Insgesamt sieht der geplante Jahresetat 210.000 Euro vor. Im November entschieden fast alle Kommunen negativ und verwiesen auf andere Fördertöpfe oder auf das Land NRW. Lediglich der Kreistag des Kreises Siegen-Wittgenstein beschloss, die 40.000 € mit einem Sperrvermerk in den Haushalt einzustellen und darüber in der nächsten Sitzung im März 2018 neu zu beraten.

Das Prostituiertenschutzgesetz ist im Juli 2017 in Kraft getreten und hat für Prostituierte, Gewerbetreibende und für Kreise und Kommunen maßgebliche Konsequenzen. Menschen, die in der Prostitution tätig sein möchten, sind dann verpflichtet, sich anzumelden. Nach einem persönlichen Beratungsgespräch, bei dem nachzuweisen ist, dass zuvor eine Gesundheitsberatung erfolgt ist, erhalten die Prostituierten eine Anmeldebescheinigung. Diese ist bei der Arbeit immer mitzuführen. Daneben enthält das Gesetz auch umfassende Vorgaben für Betreibende von Prostitutionsstätten. Sie müssen eine Erlaubnis beantragen, ein Betriebskonzept vorlegen sowie gewisse Mindestanforderungen und Auflagen erfüllen. Die Kreise und Kommunen müssen per Gesetz zu diesem Zwecke entsprechende Anlaufstellen für Prostituierte und Gewerbetreibende in den Ordnungs- und Gesundheitsbehörden vorhalten. Das Gesetz sieht die Einbeziehung von Beratungsstellen in die soziale Beratung von Prostituierten vor, ohne dass es eine Regelung der Finanzierung gibt.

Klientinnen von TAMAR sind in erster Linie Frauen aus Osteuropa, die als Armutsmigrantinnen nach Deutschland kommen. Viele wollen ihre Kinder nachholen. Die Beratung erstreckt sich auf gesundheitliche und psychosoziale Fragen, aber auch Hilfe beim Umgang mit den Behörden. Zu mehr als 1.600 Frauen hatten die Beraterinnen in den drei Jahren bis September 2017 Kontakt durch Besuche in den Prostitutionsbetrieben. Die Beratung umfasst mehr als das, was durch die behördlichen Stellen im Ordnungs- oder Gesundheitsamt geleistet werden kann.

TAMAR berät und begleitet beim Ausstieg und der beruflichen Neuorientierung in Form von Unterstützung bei der Arbeitssuche, beim Schreiben von Bewerbungen oder bei Antragstellungen. Sie ist unterstützend tätig bei Schwangerschaft und vermittelt zu Ärzten, Krankenhäusern und anderen Beratungsstellen. Ihre psychosozialen Gespräche sind wichtig, um die persönliche Situation zu stabilisieren und um in Krisen, z.B. bei Übergriffen, zu intervenieren. Die Beraterinnen unterstützen bei der Wohnungssuche, begleiten zur Krankenkasse, um eine Krankenversicherung abzuschließen und helfen bei Kontakten oder Verhandlungen mit verschiedenen Behörden und Ämtern.

Die Arbeit von TAMAR ist umso wichtiger geworden, als das Prostituiertenschutzgesetz ausdrücklich die Einbeziehung einer nicht-behördlichen Anlaufstelle für Prostituierte durch die örtlichen Gesundheits- und Ordnungsämtern fordert.

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