zur Hauptseite Frauenhilfe Westfalen

Interview mit Edna KünneGeschichte des HausesRückblick Empfang 05.12.2009

Text drucken
„Man muss doch nach vorne leben…“ -
Interview mit Edna Künne, Leiterin des Lina-Oberbäumer-Hauses in Soest

Gestern im Lina-Oberbäumer-Haus:
Im Speisesaal hat jede ihren festen Platz. „Und wehe, jemand wagt es, sich mal woanders hinzusetzen“, meint die Schwester lachend und fährt Frau K. im Rollstuhl zum Vormittagsangebot. Eine andere Schwester bringt die letzten Teilnehmerinnen in den Raum. Frau S., eine kleine fröhlich aussehende Dame, wendet sich ihrer Nachbarin zu und unterhält sich mit ihr.

„Ich wohne hier“, höre ich besagte Nachbarin sagen, „Sie auch?“ Frau S. überlegt und meint dann zögernd, ja, sie habe wohl ein Zimmer hier gemietet. Die Runde wird wach, als Frau Q. vom Sozialen Dienst eintritt und ein fröhliches „Guten Morgen!“ in die Runde wirft. Frau S. lacht und meint, die Arme nach oben streckend: „Und außerdem muss man doch nach vorne leben, das Leben ist doch schön!“
Zusammen wird der Silbermond-Tanz getanzt, ein Sitz-Tanz. Von allen Stühlen und Rollstühlen recken sich Arme und Beine zum Takt der Musik. Auf den meisten Gesichtern liegt konzentrierte Anspannung. Die Nachbarin von Frau S. ist zu den Klängen der Musik eingenickt, aber das stört niemanden. Es ist wichtig, dabei zu sein, teil zu nehmen und Gemeinschaft zu erleben.

Muss ein Seniorenheim ein Schreckgespenst sein, vor dem man Angst haben muss, Frau Künne, oder ist diese Szene der wirkliche Alltag in Altenheimen?

Darauf kann ich nur antworten dies ist der lieb gewonnene Alltag unserer Bewohnerinnen im Lina-Oberbäumer-Haus! So kann es auch zugehen bei jedem Kaffeekränzchen oder jedem Vereinsnachmittag, an dem unsere Bewohnerinnen früher teilgenommen haben!

In der früheren Großfamilie war das Miteinander von Jung und Alt ganz selbstverständlich. Da Oma und Opa mit im Hause lebten, war der Umgang mit alten Menschen für die Enkelkinder ganz unkompliziert und selbstverständlich.
Die Entwicklung in unserer heutigen Gesellschaft ist darauf hinausgelaufen, das Leben der Generationen zu trennen - leider. Jedoch erkennen auch immer mehr junge Menschen, wie bereichernd und spannend es sein kann, alten Menschen zu begegnen und sich mit ihnen auszutauschen. Das erleben wir im Hause auch immer wieder: unsere Praktikantinnen und Praktikanten oder Zivildienstleistenden - alle haben diese Erfahrung bisher bestätigt. Ebenso wird jede gemeinsame Feier mit unserem Partnerkindergarten zu einem Ereignis, dem sowohl unsere Bewohnerinnen als auch die Kinder entgegenfiebern. Wir bieten zahlreiche regelmäßige Veranstaltungen, bei denen die Bewohnerinnen entscheiden können, ob sie daran teilnehmen wollen oder nicht.

Wichtig ist uns die Gemeinschaft - keine muss allein bleiben, kann es aber!
Nach unserer Philosophie kann jede ihr Selbstverständnis und ein Stück weit ihre alt gewohnte Umgebung und ihre Art zu leben mit in unser Haus bringen und dies in einer Freizügigkeit, die eine Häuslichkeit 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche nicht ermöglicht.

Seit nunmehr fünf Jahren leiten Sie, Edna Künne, das Alten- und Pflegeheim in Soest, seit 23 Jahren sind Sie in diesem Haus beschäftigt. Was hat sich in den fast zweieinhalb Jahrzehnten in der Altenhilfe verändert? Worin sehen Sie heute die Stärken eines Alten- und Pflegeheimes im Pflegemarkt?

Die Häuslichkeit könnte die gleiche professionelle Betreuung, Versorgung und Beschäftigung rund um die Uhr und sieben Tage die Woche wie unser Haus ebenfalls bieten - aber zu welchem Preis? Ich frage Sie, wie sollte das tatsächlich funktionieren, wenn die Kinder bzw. Enkel - wie heute häufig anzutreffen - voll berufstätig sind und daher wenig Zeit haben und der ambulante Pflegedienst nach durchterminiertem Tourenplan pflegt? Wirkliche Entlastung erfahren die Angehörigen demgegenüber, wenn sie ihre Mutter entspannt besuchen können, weil sie sie gut aufgehoben wissen! Sie können ihr Leben so eigenständig und ohne Eigenvernachlässigung oder Selbstaufopferung weiterleben. Auch hat diejenige den Kopf frei für die eigene Karriere- oder Lebensplanung. Ohne Gewissensnöte und Selbstvorwürfe (`engagiere ich mich genügend?´) kommt es zu einer Beziehungsstärkung. Dies entspricht auch den Wünschen vieler Bewohnerinnen (`unsere Tochter/unser Sohn soll ihr/sein eigenes Leben leben!´).

Das Lina-Oberbäumer-Haus erhält einen Erweiterungsbau, der den zukünftigen alten Menschen mehr Raum, Licht und Standard als bisher bieten wird.
Liegt diese Investition nicht in gewisser Weise quer zum Zeitgeist?

Dem Zeitgeist entspricht es, stationäre Pflege generell als die eher schlechtere Versorgungsform zu brandmarken. Es wird gesagt, wir müssen alles tun, um die ambulante Pflege zu stärken oder zumindest Formen wie das Betreute Wohnen oder Pflegewohngemeinschaften zu fördern.

Die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen e.V., Trägerin des Hauses, ist davon überzeugt, dass unsere Gesellschaft auch weiterhin auf stationäre Pflege angewiesen sein wird. Wohin sehen Sie das Angebot in der Altenhilfe sich in den nächsten 25 Jahren entwickeln?

Den Heimcharakter - wie er noch vor 25 Jahren existierte - gibt es schon lange nicht mehr. Jede Bewohnerin kann ihren eigenen individuellen Lebensstil völlig frei wählen - nämlich in täglich wechselnden kleinen oder größeren Gemeinschaften, in überschaubaren Wohngemeinschaften oder mehr oder weniger für sich zurückgezogen zu leben. Ich denke sowohl ambulante, teilstationäre als auch stationäre Dienstleistungen werden auch zukünftig ihren Stellenwert behalten.

Auf unser Haus bezogen bedeutet das mehr Hotelcharakter, wo jede nach ihren ganz individuellen Bedürfnissen ihr Betreuungspaket - abhängig von ganz individuellen Vorstellungen und natürlich auch von den Kosten - selbst zusammenstellen kann.
Mit dem Erweiterungsbau wird den Veränderungen der Wohn- und Pflegequalität Rechnung getragen. Die Doppelzimmer werden reduziert und das Konzept der Hausgemeinschaften umgesetzt. Die räumlichen und technischen Voraussetzungen werden den inhaltlichen Schwerpunkten des Hauses - Palliativpflege sowie die Begleitung von dementiell veränderten Frauen - Rechnung tragen.

Ab Anfang 2010 werden 80 Frauen ein Zuhause im Alten- und Pflegeheim in Soest finden. Bis 2012 werden die anderen Teile des Hauses modernisiert sein.
Das Bild vom Heim als Schreckgespenst hat endgültig ausgedient!
 

Landesverband der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V. Feldmühlenweg 19 59494 Soest
Tel.: 02921 371-0 Fax: 02921 4026 e-Mail: info@frauenhilfe-westfalen.de