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Predigt zum 25jährigen Ordinationsjubiläum
von Pfarrerin Angelika Weigt-Blätgen

„Wir können’s ja nicht lassen, von dem zu reden, was wir gesehen und gehört haben“
(Apg. 4,20 - Monatsspruch für Mai 2009)

Liebe Angehörige, liebe Frauenhilfegemeinde, Schwestern und Brüder,

nach Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten - so erzählt es die Apostelgeschichte - blieb die erste Gemeinde der Christinnen und Christen zusammen. „Beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet.“ Sie blieben nicht unter sich. Die Gemeinde wuchs täglich - sie teilten, was sie hatten und tauften diejenigen, die sich angezogen fühlten von ihrem Zusammenleben, von ihrer Gemeinschaft, von der Kraft ihres Glaubens - 3000 an einem Tag - Urgemeinde, Urchristentum ungebrochen und in den strahlendsten Farben. Eine solche Bewegung muss Misstrauen, Feindschaft, Neid, Verdacht auslösen.

Ein Gelähmter, der täglich von seinen Helfern vor das „schöne“ Tor des Tempels gesetzt wird, damit er dort um Almosen bitten kann, damit er überleben kann, damit er seinen Platz in der Gesellschaft und in der Tempelgemeinde einnimmt, damit er sichtbar bleibt als Hausforderung an die Gemeinschaft der Glaubenden - der Gelähmte löst schließlich den offenen Konflikt aus.

Als Petrus und Johannes, Mitstreiter und Wegbegleiter Jesu, durch das „schöne“ Tor den Tempel zum Gebet betreten wollen, verlangt er eine Gabe von ihnen. „Gold und Silber besitze ich nicht. Was ich aber habe, das gebe ich dir, im Namen Jesu, aus Nazareth, des Gesalbten: Steh auf und geh.“ Fassungslosigkeit, Staunen machten sich breit, Gotteslob erklang ebenso wie die ängstliche Sorge vor Anarchie. Petrus hielt daraufhin eine Rede an das Volk auf dem Tempelberg: „Ihr lieben Leute aus Israel, was staunt ihr darüber und starrt uns an, als hätten wir aus eigener Kraft und Frömmigkeit es bewirkt. Abrahams Gott, Israels Gott und Jakobs Gott, Gott unserer Vorfahren, hat dem Gottesknecht Jesus himmlischen Glanz verliehen … den hat Gott von den Toten auferweckt, das bezeugen wir; sein Name hat den Mann stark gemacht.“
 

Als sie schließlich wegen dieses Ereignisses und wegen der Rede des Petrus vor den Hohen Rat aus Vertretern des Tempels und des Staates zitiert wurden und verhört wurden, sagen sie den Satz, der Monatsspruch des Monats Mai ist: „Wir können’s ja nicht lassen, von dem zu reden, was wir gesehen und gehört haben.“ Damit lehnen sie die Auflage ab, zu schweigen und in der Öffentlichkeit den Namen Jesu nicht mehr zu nennen. Den Mitgliedern des Hohen Rates machte neben allem anderen zu schaffen, dass es sich bei Petrus und Johannes um einfache und ungebildete Leute handelte, die so machtvoll, bevollmächtigt auftraten.

„Wir können’s ja nicht lassen, von dem zu reden, was wir gesehen und gehört haben“

Was hatten sie denn gesehen und gehört? Sie hatten einen Menschen gesehen, der mit den anderen aß und trank und redete und stritt; der berührte und heilte; mit einfachen Worten, Gesten und Berührungen, mit Zärtlichkeit und Liebe, mit Zorn und Entschlossenheit.

Im Kopf und im Herzen hatte er die große Zukunft Gottes mit den Menschen, das Reich der Himmel, das Reich Gottes mit einem Leben in seiner ganzen Fülle, mit Gerechtigkeit für alle Frauen und Männer und Kinder; mit Frieden, Frieden im Sinne des Schalom; inneren und äußeren Frieden in einer ungefährdeten und ungefährlichen Um- bzw. Mitwelt. Alles, was Jesus in seinem Leben sagte und tat, tat er als Schritt auf diese Welt Gottes zu. Sie hatten seine Klarheit gesehen und gehört, die Klarheit seiner Option für die Armen; die Klarheit mit der er sagte, wer und was im Reich der Himmel keinen Platz hat: Missbrauch von Macht und Geld; Ungerechtigkeit; Beugung des Rechts; Unbarmherzigkeit; Bereicherung auf Kosten der Armen.

Sie hatten gehört, dass er tief verwurzelt war in seinem jüdischen Glauben und in der Tradition der Mütter und Väter Israels: Abraham, Jakob, Isaak, Sarah, Hagar, Mirjam und Maria. Sie hatten gehört, dass er selbst seinen Auftrag, seine Sendung, seine Mission beschrieb mit den Worten des großen jüdischen Propheten Jesaja: „Gottes Geist ist auf mir, denn er hat mich gesandt, den Armen frohe Botschaft zu bringen; er hat mich gesandt, auszurufen: Freilassung den Gefangenen und den Blinden Augenlicht; Befreiung den Unterdrückten; auszurufen ein Gnadenjahr, ein Erlassjahr des Herrn.“ (Jes. 61,1 f.)

Sie hatten gesehen und gehört, dass sich die Jesus-Bewegung, die große Vision vom Reich der Himmel, die Predigt vom Glanz und von der Würde der Menschen, aller Menschen, nicht töten, nicht unterdrücken, nicht verbieten ließ. Sie hatten gesehen und gehört, dass Gott Ostern einen Aufstand gegen den Tod; ein Aufstehen für seine Absichten mit den Menschen bewirkte.
 

 

„Wir können’s ja nicht lassen, von dem zu reden, was wir gesehen und gehört haben“

In jeder Generation, in jeder Zeit bedeutet seither das Reden von dem, was wir gesehen und gehört haben, was wir glauben und was uns bewegt, eine ganz neue Herausforderung. „Die echte Passion gibt Kraft, weil sie Mut gibt“. Schon für Petrus und Johannes in unserer 2000 Jahre alten Geschichte war das, was sie gesehen und gehört hatten, zu einer Passion geworden, die ihnen Kraft gab, sie gab ihnen die Kraft zur Kompassion, zur Mitleidenschaft - mit dem Gelähmten vor dem „schönen“ Tor.
Sie gab ihnen Mut zum Widerstand gegen die Einschüchterungsversuche und das Schweigegebot des Hohen Rates.

„Wir können’s ja nicht lassen, von dem zu reden, was wir gesehen und gehört haben“

Als die Kirchen in der DDR vor 20 Jahren die Kirchentüren öffneten und mit den Menschen nach den Montagsgebeten auf den Straßen demonstrierten, konnten sie nicht länger nur unter sich, nur hinter verschlossenen Türen, nur innerhalb der Gemeinde von dem reden, was sie gehört und gesehen hatten und was sie glaubten. Dass nach Gottes Willen sich Würde und Gerechtigkeit in Freiheit entfalten sollen.
Dass Glaube, die Freiheit der Entscheidung voraussetzt; dass der Respekt vor der Würde jeder Frau, jedes Mannes und jedes Kindes sich aus ihrer Gottebenbildlichkeit ergibt und nicht aus der Ideologie eines Staates, der Menschen zu seinem Zweck und zu seinem Bilde formen will - mit allen Mitteln und in allen Lebensbereichen.

„Wir können’s ja nicht lassen, von dem zu reden, was wir gesehen und gehört haben“

Als vor 70 Jahren die Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche in Wuppertal-Barmen ihre theologische Erklärung abgab und damit die Grundlage für die Bekennende Kirche im Nationalsozialismus schuf, formulierte sie die Konsequenzen aus dem, was sie aus der biblischen Botschaft gesehen und gehört hat. Eindrucksvoll beschreibt sie in sechs Thesen evangelische Wahrheiten und gibt eine Erklärung zur Rechtsgrundlage der Kirche ab:

„Die Einheit der Evangelischen Kirche wird nicht geschaffen durch den rücksichtslosen Ausbau einer zentralen Befehlsgewalt, die ihre Rechtfertigung aus dem der Kirche wesensfremden weltlichen Führerprinzip entnimmt. Die hierarchische Gestaltung der Kirche widerspricht dem reformatorischen Bekenntnis.“
 

 

„Wir können’s ja nicht lassen, von dem zu reden, was wir gesehen und gehört haben“

Die Wolke der Zeuginnen und Zeugen, der Zeugnisse ließe sich weiter ausmalen, beschreiben, beschwören. Über Martin Luther Kings Traum, der seine Bilder aus dem biblischen Zeugnis bezieht, über Dietrich Bonhoeffer, Dorothee Sölle und viele, viele andere.

Sie machen Mut, inspirieren, schaffen Traditionen, legen uns Worte und Bilder in den Mund und in die Herzen: Bilder von einem Leben in Fülle; von einer Welt voller Würdenträgerinnen und Würdenträger. Worte für die immer wieder einzufordernde Gerechtigkeit, für die Teilhabe aller, für Nachhaltigkeit, für die Bewahrung unserer Um- bzw. Mitwelt, für das Reich der Himmel eben und dessen Aufscheinen, dessen zeichenhaftes Gelingen, dessen würdigen Glanz auf unsere Welt, auf unser Zusammenleben; für deren Wahr- und Wirklichkeitwerden hier auf dieser Welt.

Wenn es uns doch gelingen könnte in unseren Frauenhilfen, in unseren Gemeinden, in unserer Kirche solche Worte und solche Bilder lebendig zu halten, neu zu erfinden; Worte und Bilder, die Menschen zum Handeln, zur Veränderung, zum Einsatz für das Leben ermutigen, ermächtigen könnte. Worte und Bilder, mit denen sie beschreiben und benennen können, was wir in und für diese Welt wollen. Eine Aufgabe der Predigerin/des Predigers ist gewiss, die Suche nach solchen Worten und Bildern und Gesten niemals aufzugeben.

„Wir können’s ja nicht lassen, von dem zu reden, was wir gesehen und gehört haben“

In Ergänzung zum Kontext der Apostelgeschichte beinhaltet dieser Satz für mich auch die christliche Verpflichtung zur Erinnerung, zur lebendigen und konsequenten Erinnerung an alle verletzte Würde, an alles Unrecht, an alle Gewalt, an die unbeschreibliche Schuld, die wir vor 70 Jahren nach dem Überfall Nazideutschlands auf Polen ebenso kräftig betonen sollten, wie die Möglichkeiten, die in Barmen vor 75 Jahren eröffnet wurden.

Die Verpflichtung zur Erinnerung setzt die Bereitschaft, ja die Verpflichtung voraus, genau hinzusehen, sich nicht täuschen zu lassen, sich nicht vereinnahmen zu lassen. Denn wenn sie sich täuschen oder vereinnahmen lässt oder zum Vergessen neigt, stabilisiert die christliche Gemeinde menschenverachtende Verhältnisse; dann werden Predigerinnen und Prediger zu Entertainerinnen.

Die Verpflichtung zur Erinnerung und die Suche nach Worten, Bildern und Gesten in der Bibel werden für mich durch Berthold Brecht in einen inneren Zusammenhang gebracht. Zwei Sätze, die er unabhängig voneinander sprach stellen diesen Zusammenhang her. „Was sind das für Zeiten, in denen ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt.“
Und seine Antwort in einer Umfrage unter Prominenten in Deutschland, welches Buch für sie das Wichtigste sei: „Sie werden lachen, die Bibel“.
 

 

Als den Frauenhilfen im Dritten Reich untersagt wurde, weltliche Themen, Unterhaltung, Kaffeeausschank und soziales Engagement in ihren Veranstaltungen auf die Tagesordnung zu setzen, konzentrierten sich die Frauenhilfen auf das, was Menschen nach dem biblischen Zeugnis gesehen und gehört hatten; was sie von Gottes Absichten mit dieser Welt verstanden hatten; was sie in Jesu Leben und Sterben abgebildet fanden. Was als Schwächung der Frauenhilfe, als Einflussnahme mit dem Ziel der Zerschlagung gedacht war, ist ihr zur Stärkung geworden. Noch heute sind Bibelarbeiten und Andachten Grundlage aller Frauenhilfearbeit. Reden von dem und über das, was wir sehen und hören, glauben und erinnern. Das ist die Aufgabe, Herausforderung und unglaubliche Chance für Christinnen und Christen.
Daraus können wir Mut und Kraft schöpfen für die Gestaltung der Gegenwart und der Zukunft, für unser diakonisches Engagement und unser persönliches Leben, für unsere politische Arbeit.

„Wir können’s ja nicht lassen, von dem zu reden, was wir gesehen und gehört haben“

Was, wenn es uns die Sprache verschlägt; wenn die Worte - wie der Prophet Jesaja sagt - leer zu uns zurückkommen; wenn die Worte zu Hülsen und Formeln werden? Was, wenn Wut und Trauer und Hilflosigkeit die Sprache verschlagen?
Es hilft wohl nur, sich dann immer wieder auf das zurückzubeziehen, was wir gesehen und gehört und geglaubt und erinnert haben - und auf neue Bilder und Worte und Gesten und Symbole zu hoffen oder in den alten Worten, Gesten und Symbolen neuen Glanz zu entdecken. Es hilft, dem Heiligen Geist nicht im Wege zu stehen, weil wir nur noch auf uns selbst hören.

Ziel der Rede des Petrus und des Johannes dort vor dem „schönen“ Tor war, auf den zu verweisen, in dessen Namen sie sprachen, der sie bevollmächtigt, der sie ermächtigt hatte. Ihr Ziel war zugleich, „die politische Umsetzung der biblischen Klarheit zu befördern“ (Dorothee Sölle) und den Menschen den Weg durch das „schöne“ Tor weit zu öffnen; allen Menschen.

Ich schließe mit Worten in Anlehnung an Jesaja 61, die Jesus selbst bereits zitierte.

Rosen der Gerechtigkeit

Das ist unser Auftrag, das ist unsere Bestimmung:
Auf uns ruht der Geist Gottes, er beauftragt uns,
gute Nachricht zu bringen
für die Zerschlagenen, zu heilen,
die ein verwundetes Herz haben,
Befreiung zu versprechen denen, die gefangen sind,
öffnen und lösen, die verschlossen sind.
Das ist unser Auftrag, das ist unsere Bestimmung:
auszurufen das Gnadenjahr des Herrn und den Tag
der Empörung Gottes.
Alle Traurigen werden getröstet.
Ihre Gesichter werden geschmückt,
nicht mit verzweifelten Blicken,
sondern mit herzlicher Freude,
laut werden sie singen,
statt verzagt zu schweigen.
Und sie bekommen einen neuen Namen:
Rosen der Gerechtigkeit,
Frühlingsblüten des Herrn - ihm zur Verherrlichung.

Amen
 

Landesverband der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V. Feldmühlenweg 19 59494 Soest
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