Grußwort von Pfarrerin i.R. Susanne Kahl-Passoth

Sehr geehrte Frau Schnittker,
sehr geehrte Mitglieder des Vorstandes,
sehr geehrte Frauen der Ev. Frauenhilfe in Westfalen,
sehr geehrte Mitarbeiterinnen,
liebe Angelika,
liebe Festgäste,

111 Jahre – ein beachtliches Alter für einen Verein, eine Bewegung! Wer kann schon solch einen Geburtstag feiern!  Die Siemens Hausgeräte sind in diesem Jahr auch 111 Jahre alt geworden. Vor 111 Jahren brachte die Firma eine so genannte Entstäubungspumpe auf den Markt – heute würden wir dazu Staubsauger sagen: 1 PS-Motor, Wasserfilter, 3 Zentner Gewicht. Nicht nur am Aussehen und am Gewicht eines heutigen Staubsaugermodells können wir sehen, wie die Zeit vergeht, wie Dinge sich weiterentwickelt haben.
Nun, es ist beachtlich, erstaunlich, was Sie alles erlebt und überlebt haben, wie sich die Ev. Frauenhilfe in Westfalen verändert hat, heraus gefordert von gesellschaftlichen Entwicklungen, die insbesondere mit besonderen sozialen Nöten, Problemen für Frauen und nicht nur für sie verbunden waren und sind. Sie haben mit erstritten, miterlebt, wie sich die Rechte von Frauen in unserer Gesellschaft und meist im Nachklappen in unserer Kirche weiterentwickelt haben. Im nächsten Jahr feiern wir 100 Jahre Frauenwahlrecht in Deutschland – im Übrigen kein Ruhmesblatt für uns als Frauen in der Kirche – wir waren damals dagegen.

111 Jahre haben ausgereicht einen leichten, sehr gut funktionierenden, für alle Böden geeigneten Staubsauger zu entwickeln. 100 Jahre haben nicht ausgereicht, gleiche Rechte, gleiche Chancen, Gerechtigkeit für Frauen in unserer Gesellschaft herzustellen:

So gäbe es noch viele weitere Beispiele im gesellschaftlichen und im kirchlichen Bereich zu nennen, die aufzeigen, dass noch viel zu tun ist bis Geschlechtergerechtigkeit sich durchgesetzt hat. Aber Zahlen sind nicht das einzige, woran sich festmachen lässt, dass hier noch einiges im Argen ist. Als Themen wären u. a.  zu nennen: Gewalt gegen Frauen, Menschenhandel, Zwangsprostitution, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die Situation Alleinerziehender, bezahlte unbezahlte Fürsorgearbeit von Frauen, Beachtung von Frauenbelangen im Gesundheitswesen, Armut von Frauen.

111 Jahre sind ein Anlass zu feiern und gleichzeitig gilt es aufzubrechen zu neuen Formen, Inhalten - auch zu neuen Kämpfen. Es weht so ein leiser Wind von Resignation durch unsere Reihen, denn unsere Themen liegen nicht gerade oben auf dem Stapel. Mann interessiert sich nicht, leider einige Frauen auch nicht. Von letzteren kommen bekannte Gründe wie: Meine Tochter sieht da keine Probleme. Da können wir dann verständnisvoll nicken und denken: Warte ab bis sie eine Familie gegründet hat, Kinder da sind. Dann wird sie merken, was auf einmal alles nicht geht.
Aber es gibt leider auch immer noch einige unter uns, die an bestimmten Rollenbildern, Aufgabenverteilungen in der Familie festhalten.

Es gibt auch einige – das merke ich in der Landeskirche, zu der ich gehöre, die unsere Arbeit, unsere Angebote für überholt, nicht mehr zeitgemäß halten, weil sie sich besonders an Frauen richten. Da kommt dann die alt bekannte Frag nach den jungen Frauen, die angeblich nicht da sind, was einfach nicht stimmt. Viele von ihnen haben Schwierigkeiten sich z. B. in unserer Gremienarbeit zu beteiligen, aber sie finden sich oft in zeitlich begrenzten Projekten wie dem WGT, dem Mirjam Sonntag, oder auch dort, wo sie ihre Kinder mitbringen können, wobei ich derzeit einem Vorstand in der EKBO angehöre, der quer durch die Generationen besetzt ist.  Und sind unsere Gremien weniger wert, weil vor allem ältere und alte Frauen in ihnen mitwirken? Diese um sich breitende ja Geringschätzung der älteren Generation und dann vor allem von Frauen ist ein Phänomen, das wir in der Kirche nicht praktizieren sollten.

Dennoch: wir müssen wieder lauter, sichtbarer werden. Unsere politischen Stellungnahmen, theologischen Einsichten, ethischen Auffassungen gilt es zu verbreiten. Neue Medien wie Facebook und Twitter, Rundmails gilt es zu nutzen. Wenn unsere kirchlichen Medien uns nicht übernehmen wollen, müssen wir unsere eigenen Wege der Verbreitung gehen. Zugleich gilt es verstärkt zu netzwerken inner- und außerhalb von Kirche, versuchen, Frauen, die unsere Interessen vertreten, in kirchliche Gremien wählen bzw. berufen zu lassen. Es ist leider so, immer dann, wenn wir meinten, jetzt haben wir es endlich geschafft, dann geht es zwei Schritte zurück – zum Trost sei gesagt: das ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Dabei müssen wir quer durch die Generationen zusammenhalten, uns gegenseitig mit unseren Kompetenzen und zeitlichen Möglichkeiten unterstützen. Zickenkriege sind nicht angesagt, Schwesternstreit ja über Inhalte, Formen und Strategien.

Was mich mit am meisten beeindruckt hat, an diesem 500 Jahre Reformationsjubiläum: die Entdeckung, wie viele Frauen damals Beeindruckendes gedacht, gesagt, geschrieben haben, es gegen viele Widerstände auch gelebt haben. In diesem Jubiläum, das wir gefeiert haben, ist auch ein Teil unserer Geschichte, der Geschichte der Frauen in der Kirche sichtbar geworden. Da gibt es noch viel auszugraben und weiter zu verändern und zu bewegen. Und dennoch: wir haben viele Gründe stolz und dankbar zu sein und aus der Vergangenheit immer wieder neu Kraft und Mut zu schöpfen für die nächsten Schritte gegen alle Gleichgültigkeit, Resignation, Abwehr. Dazu möchte ich Ihnen Mut machen.

Heide Pfarr, Professorin, ehemals Frauenministerin in Hessen, hat vor kurzem festgestellt – dies auch angesichts des Einzugs der afd in den Bundestag, die ein rückwärtsgewandtes Frauenbild hat: „Wenn es bei der Geschwindigkeit bleibt, die wir gerade drauf haben, braucht es noch geschätzte 250 Jahre, bis die Gleichstellung endlich erreicht ist. Rückschläge noch nicht mit eingerichtet.“ Es liegt mit an uns, ob das wirklich so lange dauert. Also Aufbruch in die nächste Runde! Sie sind hoffentlich mit dabei.

Herzlichen Glückwunsch zum 111. Geburtstag. Gottes Segen begleite Sie auf Ihren Wegen, im täglichen Tun, beim Tanken neuer Kräfte, beim Streiten für Gerechtigkeit wie auch beim Ruhen.