Text drucken Sehr verehrte Damen und Herren, Gestern bin ich von Frau Weigt-Blätgen gefragt worden, ob ich, anstelle von Frau Halm-Schlösser, die erkrankt ist, einspringen möchte. Ich habe gerne zugesagt und freue mich, hier zu sein. Durch mein Arbeitsgebiet und auch durch meine berufliche Sozialisation - ich bin von Hause aus Krankenschwester und habe danach ein Studium im Fachbereich Pflege absolviert - habe ich mit der Altenpflegausbildung viel zu tun und die Weiterentwicklung liegt mir sehr am Herzen. Das Thema meines Vortrages fasse ich weiter. Es heißt „Zukunft der Pflegeausbildung“. Dabei nehme ich nicht nur die Altenpflegeausbildung in den Fokus, sondern nehme auch Bezug auf die Gesundheits- und Krankenpflege. 1. Die Rahmenbedingungen der Ausbildung Der zunehmende Verbleib alter pflegebedürftiger Menschen in ihrer Häuslichkeit, die abnehmende Zahl pflegender Angehöriger, das hohe Eintrittsalter der Bewohner in einer Pflegeeinrichtung und die damit verbundene Zunahme der schwer pflegebedürftigen, gerontopsychiatrisch und chronisch erkrankten Menschen, die Gesundheitsreformen der letzten Jahre und nicht zuletzt die Einführung der Diagnostic related groups (DRGs), stellen ambulante, teilstationäre und stationäre Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser und damit auch die Ausbildungsstätten vor neue Herausforderungen. In den Handlungsfeldern des Gesundheits- und Sozialwesens entwickelt sich eine hohe Dynamik, die sich auf Qualifikationsanforderungen und Erwartungen der Praxis an die Ausbildung auswirkt. Diese Dynamik ist insbesondere gekennzeichnet durch
Bereits 2001 empfahl der Sachverständigenrat für die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen (SVR) in seinem Gutachten eine Weiterentwicklung der Pflegeausbildung durch Überwindung der Trennung von Gesundheits- und Sozialberufen sowie eine wissenschaftliche Basierung der Ausbildung. Das aktuelle Gutachten des SVR aus dem Jahr 2007 greift diese Empfehlungen wieder auf. Es kommt mit Blick auf die Erfordernisse einer am individuellen Bedarf und Lebensumständen ausgerichteten und integrierenden Begleitung und Versorgung zu der Forderung, auch in den Ausbildungen übergreifende Kompetenzen zu vermitteln, um sektorenübergreifende Kooperation zu ermöglichen. Eine berufsfeldweite Grundlegung von übergreifenden Kompetenzen soll für die Arbeit in herkömmlichen teilstationären und stationären Einrichtungen und Diensten der Kranken-, Alten- und Behindertenhilfe sowie im ambulanten Bereich qualifizieren. Darüber hinaus soll sie Grundlage sein für sich neu entwickelnde und ausdifferenzierende Tätigkeitsfelder wie beispielsweise im Rahmen der Integrierten Versorgung oder des Case Managements, der Prävention oder der Palliativpflege. Vor diesem Hintergrund ist ein umfassendes Aufgabenverständnis im Gesundheits- und Sozialwesen erforderlich, das Edukation, Begleitung, Assistenz, Unterstützung, Beratung und Pflege von Menschen mit Behinderungen, Pflegebedürftigkeit und chronischen Erkrankungen aller Altersstufen in ihrem Lebensumfeld umfasst. Eine individualisierende, personenbezogene, kontextbezogene und zugleich inkludierende und auf die Handlungssituation bezogene Sichtweise muss das professionelle Handeln im Gesundheits- und Sozialwesen prägen. Eine solche Perspektive eines umfassenden Bildungs- und Berufsverständnisses hat diakonische Wurzeln. Denn: „Pflege ist mehr als die Summe der notwendigsten Verrichtungen, Pflege ist ein Beziehungsgeschehen“ stellte der Ratsvorsitzende der EKD, Bischof Wolfgang Huber 2007 im Rahmen eines Kongresses klar. Anforderungen an die Pflege stehen nach seiner Auffassung in engem Zusammenhang mit der Sorge und Verantwortung, dass ein pflegebedürftiger Mensch nicht nur physisch versorgt wird, sondern auch weiterhin Anteil an der Fülle des Lebens hat. Auch berufspolitisch wird der Pflegebegriff weiterentwickelt. Der Pflegeberuf ist - wie viele andere Dienstleistungsberufe auch - durch ungünstige Arbeitsbedingungen mit geringen Einkommens- und Karrierechancen gekennzeichnet. Darüber hinaus sind hohe physische und psychische Arbeitsbelastungen zu tragen. Laut NEXT-Studie verlässt Pflegepersonal insbesondere in Deutschland zurzeit seinen Beruf früher und häufiger als dies in anderen Ländern der Europäischen Union der Fall ist. Pflegefachkräfte können derzeit nicht ohne weiteres flexibel zwischen den pflegerischen Versorgungsbereichen wechseln, um durch Berufserfahrungen in anderen Berufsbereichen die Berufsentwicklung positiv zu gestalten. Ferner fehlen Aufstiegsmöglichkeiten im Bildungssystem, so kann zum Beispiel die Fachhochschulreife in der Regel nicht gleichzeitig mit der Berufsausbildung erworben werden. (Mit Ausnahme der Regelung des sogenannten Meisterparagraphen an der Fachhochschule. Diese ermöglicht 3% der Studierenden eine Aufnahme ohne Hochschulreife). Darüber hinaus ist die Situation in der Alten- und Krankenpflege durch einen ausgeprägten Mangel an qualifizierten Fachkräften gekennzeichnet. Die Ursache ist hauptsächlich in der Finanzierungsmisere der Alten- und Krankenpflegeausbildung der vergangenen Jahre begründet. Die Bereitstellung von Ausbildungsplätzen in der Altenpflege ist nicht am tatsächlichen Bedarf, sondern am Landeshaushalt orientiert. Erschwerend kommt hinzu, dass die Altenpflegeausbildung seit ihrem Bestehen durch die Arbeitsverwaltung (SGB III) gefördert wurde und die aktuellen finanziellen Entwicklungen im Landeshaushalt einen erheblichen Rückgang der nach SGB III geförderten Plätze in den Fachseminaren für Altenpflege verursacht haben. Die Finanzierung der Kranken- und Kinderkrankenpflegeschulen ist Bestandteil der allgemeinen Krankenhausfinanzierung. Die Kapazitäten der Schulen unterliegen damit der Krankenhausplanung auf Landesebene. In der Krankenpflege wurden seit Anfang der 90er Jahre Ausbildungsplätze systematisch eingespart. Die Folge ist ein dramatischer Rückgang der Anzahl der Schülerinnen und Schüler. Diese Entwicklung wird den Mangel an Fachkräften in der Alten- und Krankenpflege in den kommenden Jahren voraussichtlich drastisch verschärfen. Die Ausbildungsstätten der Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege verfügen als Privatschulen im Status der Schulen besonderer Art nicht über klare Rahmenbedingungen und eine staatliche Regelfinanzierung. Auch dies führt zur Destabilisierung der Ausbildungssituation. In den letzten Jahren zeigt sich ein Rückgang der Zahl qualifizierter Bewerberinnen für die Pflegeausbildungen. Daher wird sich hier neben den Arbeitskräften auch die Anzahl der Ausbildungsinteressentinnen perspektivisch verringern. Schon heute ist im Vergleich zu früheren Jahren bei den an den Pflegeausbildungen Interessierten eine deutliche Minderung der persönlichen und beruflichen Qualifikation festzustellen. 2. Ausbildungsbereitschaft der Träger Die entstehenden Wettbewerbsnachteile, die ausbildende Einrichtungen gegenüber nicht ausbildenden erfahren, können mittelfristig zu einem Nachlassen der Ausbildungsbereitschaft führen. In Bundesländern, die bereits über Erfahrung mit der Umstellung auf die Direktfinanzierung in der dualen Ausbildung verfügen, ist ein solcher Trend festzustellen. In gegenläufiger Entwicklung wird die Finanzierung der Krankenpflegeausbildung über eine Fondsfinanzierung ab 2005 geregelt. 3. Pflegeausbildung an der Hochschule Auf die Gesamtzahl der Pflegenden bezogen, sind das jedoch nur ca. 1%. Angesichts der zu erwartenden steigenden Nachfrage nach Pflegefachkräften in den nächsten Jahren (vgl. Kuratorium Deutsche Altenhilfe 1998), den einschneidenden Umstrukturierungen sowohl im Bereich der Kranken- als auch der Altenpflege erscheint dieser Prozentsatz insgesamt als zu gering. Neben der Vielfalt in den Studiengängen ist heute eine Vielzahl von Abschlüssen möglich. Eingangsvoraussetzungen für viele Hochschulstudiengänge sind bislang eine abgeschlossene Berufsausbildung im Bereich der Krankenpflege, der Kinderkrankenpflege, der Altenpflege oder als Hebamme mit zum Teil zusätzlicher zweijähriger Berufstätigkeit. Bis auf 3% der Studienplätze müssen die Bewerberinnen zusätzlich mindestens die Fachhochschulreife besitzen. Besondere Schwerpunkte der Absolventen der Pflegestudiengänge sind beispielsweise das Pflegemanagement und die Pflegeberatung. 4. Tätigkeitsbereich der Pflegefachkräfte In Einrichtungen der Alten- und Krankenpflege werden die administrativen Tätigkeiten, die an direkter Pflegezeit dem Kunden verloren gehen, immer größer. Pflegefachkräfte nehmen vermehrt eine koordinierende und steuernde Rolle ein, besonders in den Bereichen, die der Akutversorgung und Pflege nachgelagert sind. Sie sind verantwortlich für die Pflegeanamnese, die Pflegediagnose, die Pflegeplanung und Prozesssteuerung, die Pflegeevaluation sowie für Einsatz und Aufsicht über die eingesetzten Fach- und Hilfskräfte, die vielfach in teilzeitbeschäftigten Arbeitsverhältnissen stehen. Pflegefachkräfte unterstützen zielorientierte Teamarbeit, müssen situationsgerecht mit komplexen Anforderungen umgehen und sorgen dafür, dass Aufgaben-, Verantwortungs- und Kompetenzbereiche der einzelnen Akteure der verschiedenen Berufsgruppen aufeinander abgestimmt sind. Zurzeit arbeiten in vielen Feldern der beruflichen Pflege kurz oder geringfügig geschulte Kräfte. Die Forderung nach hoher Qualifizierung aller in der Pflege Tätigen ist mit der Praxis nicht zu vereinbaren. Jedoch muss die Qualifikation mit den zu übernehmenden Aufgaben übereinstimmen. Auch die Robert Bosch Stiftung weist bereits 2000 in ihrer Publikation „Pflege neu denken“, darauf hin, dass die heutige Ausbildung in den Pflegeberufen häufig nicht den derzeitigen Anforderungen an Fachlichkeit und Qualität entspricht. Erkenntnisse der Pflegeforschung fließen nur in geringem Maße in die Ausbildung ein und zukünftige Aufgaben und Strukturen werden oft nicht genug in den Blick genommen. Die Auswirkungen der gesetzlichen Grundlagen der Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflegeausbildung auf die zukünftige Ausbildungsqualität müssen auf eine gemeinsame Ausbildung ausgerichtet sein. Die Pflegeausbildung ist an die immensen Herausforderungen, vor denen Pflegende im Gesundheitswesen der nächsten Jahre stehen, anzupassen. Pflegende der Zukunft müssen über ein Repertoire an Kompetenzen verfügen, das sie immer wieder in die Lage versetzt, sich den veränderten Bedingungen anzupassen, unter denen Pflege stattfindet. Dabei spielen insbesondere die sozialen, fachlichen, methodischen und kommunikativen Kompetenzen eine große Rolle. Zur Bewältigung der Aufgaben von Pflege erhalten sie ein noch stärkeres Gewicht. Dabei kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie bei den Auszubildenden in ausreichendem Maße vorhanden sind. Sie bedürfen der gezielten Einübung und Erweiterung während und nach der Ausbildung und müssen als Fachkompetenzen und nicht (nur) als persönliche Kompetenzen anerkannt werden. 5. Arbeitsumfeld Der steigende Bedarf an einer sektoren-, berufsgruppenübergreifenden, systematischen, präventiven und rehabilitativen beziehungsweise palliativen Versorgung und Unterstützung von Menschen in ihrem sozialen Umfeld stellt alle Einrichtungen im Gesundheits- und Sozialwesen vor die Herausforderung, Leistungsangebote entsprechend den individuellen sich verändernden Bedarfslagen der betroffenen Menschen anzupassen und für eine qualitative Erweiterung ihrer Dienstleistung zu sorgen. Die zunehmende Ambulantisierung in allen Hilfebereichen stellt weitere Anforderungen an Hilfen zur Erhaltung beziehungsweise Entwicklung einer möglichst selbstbestimmten Lebensweise, verbunden mit einem Höchstmaß an Lebensqualität. In Verbindung mit der Erweiterung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs gewinnt der Anspruch auf Teilhabe an Bedeutung. Zudem werden die Verschiebungen von der akutpflegerischen Versorgung aus dem Krankenhaus in den ambulanten Pflegeversorgungssektor dazu führen, dass auch die Alltagsgestaltung von Pflegebedürftigen in den Vordergrund gestellt wird. Die Veränderung der Pflegeanforderung in der stationären Altenarbeit wird nicht nur maßgeblich von zunehmend hochbetagten Menschen und Menschen mit demenzieller Erkrankung beeinflusst, sondern auch durch die zunehmende Verkürzung der Verweildauer in Krankenhäusern bedingt durch die Finanzierung der Leistungen durch das DRG-System. Dies führt zu einer prä- und postklinischen Versorgung der erkrankten Bewohner in stationären Altenpflegeinrichtungen. In der Folge des demografischen Wandels stellt eine älter werdende Generation von Menschen mit Behinderungen die bisherigen Einrichtungen und Dienste der Eingliederungshilfe vor neue Herausforderungen. Darüber hinaus erfordert insbesondere die Begleitung vom Menschen mit schweren oder mehrfachen Behinderungen eine Begleitung, die pädagogische und pflegerische Elemente integriert und miteinander verzahnt. Dem zu begleitenden Menschen mit Behinderung ist unabhängig von den Anforderungen in der Grund- und Behandlungspflege sowie der Art seines Hilfebedarfs die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen. 6. Notwendige Kompetenzausstattung der Fachkräfte und veränderte Anforderungen Künftig werden Fachkräfte benötigt mit hoher Kompetenzausstattung: sowohl im Sinne von Fähigkeiten zum Handeln im übergreifenden Kontext, Persönlichkeitsbildung, prozesssteuernden, ethischen und ökonomischen Kompetenzen, als auch der Fähigkeit zur reflexivanalytischen Arbeitsweise. Aus den oben beschriebenen Trends ergeben sich veränderte Anforderungen an eine Ausbildung für das Sozial- und Gesundheitswesen.
Diese Entwicklungen haben Auswirkungen auf den Ausbau und die Gestaltung der professionellen Pflege- und Hilfeinfrastruktur und verlangen nach einem differenzierten Versorgungssystem auch für benachteiligte gesellschaftliche Gruppen, indem unterschiedliche Angebote und Strukturen zusammenwirken und sich zum Beispiel auf kommunaler Ebene vernetzen. Dabei wird es sowohl zu einer Ausweitung von generalistischen Anforderungen als auch zu hohen Spezialisierungsformen in einzelnen Aufgabenbereichen kommen. Dabei spielt auch der Anschluss zum Hochschulsystem eine wichtige Rolle. Es kann nicht mehr gelingen, alle aus den Entwicklungen der Handlungsfelder resultierenden Differenzierungserfordernisse in spezifizierten Grundausbildungen aufzugreifen. Um die Verweildauer der Pflegefachkräfte im Beruf zu erhöhen, müssten Maßnahmen zur Steigerung der Arbeitszufriedenheit, der Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Pflegepersonal und der Erhöhung der Attraktivität der Pflegeberufe ergriffen werden, um einerseits den Verbleib der Pflegenden in den Einrichtungen und im Beruf zu fördern und andererseits die Versorgung der Pflegebedürftigen sicherzustellen. 7. Resümee 8. Forderungen der Diakonie RWL
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