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Predigt von Angelika Weigt-Blätgen aus Anlass der Schlüsselübergabe Haus Phöbe, 23.3.2009

„Einen anderen Grund kann niemand legen, als den, der gelegt ist, welcher ist Christus.“ (1 Kor. 3,11)
Die Liebe Gottes, die Gnade Jesu Christi und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

Liebe Phöbe-Gemeinde, Schwestern und Brüder,

„Einen anderen Grund kann niemand legen, als den, der gelegt ist, welcher ist Christus.“
(1 Kor. 3,11)
Dieses paulinische Wort, das wir für den heutigen Gottesdienst anlässlich der Schlüsselübergabe für Haus Phöbe ausgewählt haben, gehört zu den bewährten biblischen Grundformeln, wenn wir nach einer evangelischen Perspektive kirchlichen Handelns, nach einer evangeliumsgemäßen Perspektive für die Frauenhilfearbeit fragen. Aber ebenso wie eine bewährte und traditionsreiche Arbeit in einem für uns neuen, in seiner Tradition jedoch seit mehr als 50 Jahren bewährten Handlungsfeld, immer wieder neu ausgelotet, neu bestimmt und ausgerichtet werden muss, ebenso muss auch eine bewährte biblische Formel immer wieder auf ihre Tragfähigkeit, auf ihre Strahlkraft für uns heute hin überprüft werden.

„Einen anderen Grund kann niemand legen, als den, der gelegt ist, welcher ist Christus.“
(1 Kor. 3,11)
Etwa im Jahre 49 n. Chr. war Paulus für 18 Monate in der römischen Kolonie Korinth gewesen. Der Kontakt zwischen ihm und den Gemeinden bestand nach den Besuchen in Briefen und Berichten von Reisenden. Cirka 5 Jahre nach seinem Aufenthalt in Korinth schrieb Paulus den Brief, aus dem wir heute zitieren.

Die Identität der Gemeinde steht im Mittelpunkt. Was macht eine Gemeinde aus, die sich an dem Messias Jesus orientiert? Was eint eine Gemeinde, die aus Juden, Heiden, Griechen und anderen besteht? Was eint eine Gemeinde, die der Schiffs- und Handelsverkehr in diese Stadt mit den zwei großen Häfen am Mittelmeer gebracht hatte? Was trägt eine Gemeinde, welche Hoffnung treibt die Menschen, die überwiegend arm und ungebildet und politisch ohne Einfluss waren? Was trägt eine Gemeinde, welche Hoffnung treibt die Menschen, die mit ihren Händen arbeiteten - kleine Händler, Handwerker, Hafenarbeiter, Tagelöhner?

Hinzu kam, dass es im politischen Kontext des römischen Reiches als illoyal dem Staat gegenüber galt, einem Gekreuzigten als Befreier anzugehören. Gerade wegen seiner Befreiungs- und Hoffnungsmacht hatten sie Jesus ja hingerichtet. Die Heiligkeit der Gemeinde als des Körpers Christi, wie es Paulus nennt, bedeutete damals in dieser Welt des römischen Reiches eine alternative Gemeinschaft in Liebe und Gerechtigkeit zu leben, gebunden an den Gott Israels, der in Jesus Christus seinem unbedingten Willen Gestalt und Gesicht gegeben hat, Gerechtigkeit, Befreiung und Erlösung für die vielen zu schaffen.

In den Nachfolgegemeinden des Messias Jesus konnte erfahren werden, was Gott verheißen hat: Die Auferstehung der Zerstörten und Leidenden, der Unterdrückten und von Gewalt Betroffenen.

„Einen anderen Grund kann niemand legen, als den, der gelegt ist, welcher ist Christus.“
(1 Kor. 3,11)
Paulus ist der festen Überzeugung, dass Gott selbst in Jesus Christus den Grund für die Hoffnung, für die Befreiung, für die Erlösung, für das Gelingen der Gemeinschaft auf dieser Grundlage gelegt hat. Zusammenfassend lässt sich die Botschaft des Paulus so formulieren: Wenn auch jede und jeder das eigene Haus errichten mag, so stehen doch alle auf dem gleichen Grundstück, alle sind Mieter und Nutzer von Gottes Eigentum. Für diesen Grund ist niemandem allein der Schlüssel übergeben; keiner verfügt für ihn ausschließlich über die Schlüsselgewalt.

Alle, alle Christinnen und Christen, Frauen und Männer sind Schlüsselkinder Gottes.
Es ist Gott allein, der auf diesem Boden Gedeihen und Wachsen schenkt.
Diesem Boden hat Gott selbst eine eindeutige Kontur, ja einen Namen und ein Gesicht gegeben. Jesus Christus ist dieser Grund. Er hat sich für alle dahin gegeben; aber niemand kann ihn als eigenen Besitz vereinnahmen. Keine Gruppe, keine Partei, keine Gemeinde kann ein Eigentumsrecht an Jesus Christus für sich reklamieren. Alle Schlüsselkinder Gottes haben den gleichen Zugang und das gleiche Recht.

Zum anderen zieht Paulus eine klare Folgerung für den Dienst der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Gemeinde. Weil es um diesen einen Grund geht, so unterstreicht er gegenüber den Korinthern, stehen die Nachfolgerinnen und Nachfolger Jesu miteinander im Dienst der Sache Gottes; nebeneinander als Gleichberechtigte, nicht in Konkurrenz zueinander.

„Einen anderen Grund kann niemand legen, als den, der gelegt ist, welcher ist Christus.“
(1 Kor. 3,11)
Es geht um die Einheit der Verschiedenen. Jesus selbst beschreibt den Grund, der mit ihm gelegt wurde mit einem Zitat aus dem Buch des Propheten Jesaja: „Der Geist des Herrn ruht auf mir, weil er mich gesalbt hat, den Armen das Evangelium zu verkünden; er hat mich gesandt, den Gefangenen zu verkünden, dass sie frei sein sollen; und den Blinden, dass sie sehen werden, und den Unterdrückten, dass sie frei und ledig sein sollen und damit ein Gnadenjahr des Herrn verkündigen.“ (Luk. 4). Und er hat alle eingeladen in Gottes Haus. „Es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes.“ (Luk. 13,29).

Auf dem Fundament, das Gott gelegt hat, auf diesem Grund ist Vielfalt, ist Einheit der Verschiedenen möglich. Nicht Uniformität ist das, was auf diesem Grund entstehen soll. Nicht miteinander konkurrierende Diakonie- oder Gemeindekonzepte; Konfessionen, die sich gegenseitig ihr Kirchesein absprechen, nicht verschiedene Frömmigkeitsstile oder Gottesdienstformen; nicht eine eher politische oder diakonische, eher kontemplative oder eher sozial-engagierte Gemeindearbeit sind entscheidend, sondern allein die Frage, ob das Fundament, der Grund, die Basis stimmen, ob - wie Martin Luther es formulierte - das was getan, geglaubt und erbeten wird „Christum treibet“.

„Einen anderen Grund kann niemand legen, als den, der gelegt ist, welcher ist Christus.“
(1 Kor. 3,11)
Haus Phöbe entstand vor mehr als 50 Jahren. Es entstand in einer Zeit, in der die noch junge Bundesrepublik und mit ihr Kirche und Diakonie versuchten sich zu finden.
Ende der 50er Jahre wurden die geburtenstärksten Jahrgänge geboren.
Das so genannte Wirtschaftswunder zeichnete sich ab. Die Randregionen Westfalens blieben davon jedoch ausgeschlossen. In diesen Regionen blieben viele Alte, Unbewegliche, Unversorgte zurück. Die Frage wie ein Land, wie eine Kirche, wie Gemeinde und Diakonie nach Auschwitz weiterleben können, wurde nur vereinzelt gestellt. Das Bewusstsein, dass man nicht einfach wieder aufbauen kann und alles ist wie vorher, war nicht sehr ausgeprägt. Ich möchte drei Stichworte nennen, die für den Landesverband der Evangelischen Frauenhilfe in den 1950er und 1960er Jahren wegweisend waren.

Die SPD veröffentlichte ihr Godesberger Programm und versuchte darin zu beschreiben, wie soziale Gerechtigkeit, Friedensverantwortung und Schritte zum Abbau von Feindschaften und Schuld eingeleitet werden können. 1959 bis 1965 wurde mit dem zweiten vatikanischen Konzil die Frage nach der ökumenischen Öffnung der katholischen Kirche, nach dem Verhältnis von Kirche und Weltverantwortung gefragt. Der Weltgebetstag der Frauen etablierte sich in Deutschland und spielte eine immer größere Rolle in der Versöhnungsarbeit und in der Ökumenearbeit der Frauen.
Als Zeichen der Verbindung der Getrennten und Verschiedenen, als Zeichen der Verbundenheit im Gebet rund um die Welt. Der Weltgebetstag wurde für Frauen, für Christinnen in Deutschland zu einem Angebot der Versöhnung und zu einem Fenster zur Welt. Frieden, Gerechtigkeit und Versöhnung in ökumenischer Weite und Verbundenheit – so ließe sich die geistliche Grundlage evangelischer Frauenhilfearbeit beschreiben, die zugleich Motor ihres diakonischen Handelns ist.

„Einen anderen Grund kann niemand legen, als den, der gelegt ist, welcher ist Christus.“
(1 Kor. 3,11)
Wie sieht nun eine Gemeinde, eine Frauenhilfe aus, die auf diesem Grund gebaut ist? Wie ist das Haus beschaffen? Welche Zimmer hat es? Wer wohnt in dem Haus?
Wer geht ein und aus? Wer sind die Schlüsselkinder? Kann nach 50 Jahren Arbeit im Haus Phöbe alles so bleiben? Muss an- oder umgebaut werden? Muss renoviert, modernisiert werden? Um diese Fragen zu beantworten greife ich auch auf andere neutestamentliche Bilder zurück, die sich auf das Bauen von Häusern beziehen. Jesus Christus wird von Paulus als der Grund bezeichnet, der von Gott selbst gelegt wurde. Von anderen wird er als der Schluss-Stein bzw. als der Eckstein bezeichnet, der das ganze Gebäude hält und trägt. Das Bild von den vielen Wohnungen im Hause Gottes erzählt von der Vielfalt der Möglichkeiten und von der Einladung in alle Himmelsrichtungen, in Gottes Haus und an Gottes Tisch Platz zu nehmen.

„So lebt die christliche Gemeinde davon und darin, dass sie geistesgegenwärtig die alle Grenzen überschreitende und alle Trennungen überwindende Dynamik der Lebenspraxis Jesu teilt: Die Sünder, die Aussätzigen, die Besessenen, die Heiden, die Feinde - alles, was die Gesellschaft ausgrenzt und zu ihrer Stabilisierung ausgrenzen muss, wird von der Liebe Jesu eingemeindet“ (Ernst Lange, Die ökumenische Utopie). Eingemeindung des Ausgegrenzten, Inkraftsetzung der Schwachen, das Verheißene in der Realität vorwegnehmen, abbilden, so lautet die Herausforderung für die Gemeinde Jesu Christi heute. Gottes Haus mit vielen Wohnungen kann nur ökumenisch sein.
Die Gemeinde Jesu Christi denkt und lebt im Bewusstsein weltumspannender Verantwortung und Zusammengehörigkeit in der einen Welt Gottes und zugleich gestaltet sie vor Ort, im Kleinen, die diakonischen Arbeitsfelder so, dass ihre ökumenische Sendung als offenes Angebot Gottes sichtbar wird, dass alle einlädt, zur Einheit im Glauben, zum Frieden, zum Schalom, zu einem Zusammenleben in Würde und gegenseitiger Wertschätzung.

Auf diesem Grund zu bauen, Orte des Zusammenlebens, der Pflege, der Begleitung von Menschen zu schaffen, deren Kräfte nachlassen, deren Zugänge zu Anderen sich verdunkeln und deren Ängste und Unsicherheiten größer werden, deren Selbstbewusstsein und Gottesgewissheit schwindet - ist eine christlich-diakonische Aufgabe und zugleich eine Verpflichtung.

Wir halten die Schlüssel in der Hand zu Gottes Haus. Uns sind sie zu treuen Händen übergeben. Wenn wir so in der kommenden Zeit die Arbeit hier im Haus Phöbe, in unserer Kirche und unserer Frauenhilfe gestalten, dann wird es uns gelingen, in Gottes Haus einzuladen. Dann werden wir noch ganz neue Räume entdecken, die von uns bisher noch gar nicht betreten wurden. Dann sind unserer Fantasie, die Wohnungen des Hauses einzurichten, keine Grenzen gesetzt. Dann dürfen Fenster und Türen weit offen stehen, damit der Geist Gottes einziehen kann, die Räume durchwehen kann; damit Menschen eintreten können; damit von draußen zu hören ist, was wir singen, worüber wir streiten, wenn wir weinen und trauern, wenn wir lachen.
… und damit die Ängstlichkeit raus kann. Die Ängstlichkeit, das Falsche zu tun oder die Falschen einzulassen.

In der täglichen Arbeit, in Andacht, Gebet und Bekenntnis, mit den alten Worten des Glaubens und mit den Worten, die uns heute bei der Suche helfen, bleiben wir Jahr für Jahr, Tag für Tag und nicht nur an Festtagen wie heute gefragt, was es denn für uns heißt, wenn wir bekennen

„Einen anderen Grund kann niemand legen, als den, der gelegt ist, welcher ist Christus.“ (1 Kor. 3,11)
Wer so fragt und glaubt und glaubt und fragt wird auf diesem Grund weiter leben und arbeiten können.

Amen.
 

Landesverband der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V. Feldmühlenweg 19 59494 Soest
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