15 Jahre Nadeschda - Beratungsstelle für Opfer von Menschenhandel

Begrüßung und Andacht von Angelika Weigt-Blätgen, leitende Pfarrerin der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V.

Nadeschda heißt Hoffnung

Als wir uns vor mehr als 15 Jahren für den Namen der Beratungsstelle hier in Herford entschieden haben, ist eine thematische Vorentscheidung getroffen worden für alle Jubiläen und Gottesdienste, die dann - Gott sei Dank - folgen sollten. Jedes Jubiläum, jeder Gottesdienst ist Gelegenheit uns und unsere Mitstreitenden, die uns Befreundeten ebenso wie unsere Klientinnen zu befragen, welche Hoffnung sie treibt, welche Hoffnungen sie verloren oder aufgegeben haben, welche Hoffnungen mit Gewalt erstickt wurden und welche neue Nahrung bekamen.

„Seid allezeit bereit zur Verantwortung für jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist“ - so werden Christinnen und Christen im Neuen Testament, in einem Brief, der dem Apostel Petrus zugeschrieben wird, zur Rechenschaft gezogen, zur Rechenschaft über ihre Hoffnung. Rechenschaft geben über die Hoffnung, die uns treibt und trägt, ist eine Form, Verantwortung für andere zu übernehmen.

Uns Christinnen und Christen treibt und trägt die Hoffnung, die uns in der Bibel wieder und wieder vor die Augen gestellt und in die Seele gelegt wird, in immer neuen Bildern und Geschichten, in den Erfahrungen des Volkes Israel mit seinem Gott, im Leben und Sterben Jesu, in der Kraft und dem Mut, die Menschen daraus schöpften, dass sein Tod nicht das Ende bedeutete für ihre Bewegung bedeutete: Brot und Wasser, wenn Menschen die Hoffnung auf Überleben aufgegeben hatten; Zuwendung wie durch die Berührung oder die Worte von Engeln, wenn Menschen an ihrer Hoffnungslosigkeit zu Grunde zu gehen drohten; Brot und Fisch am Ufer, als die um Jesus Trauernden und um ihre Hoffnungen betrogenen die ganze Nacht auf dem See verbracht hatten und er sie nun wärmend und nährend in Empfang nimmt. All die Bilder vom Wachsen des Reiches Gottes mitten unter uns, aus kleinen Samenkörnern, auch dann, wenn das eine oder andere nicht aufgeht, auch dann, wenn wir das Wachstum misstrauisch oder zweifelnd betrachten. „Ihr sollt das Leben haben und ihr sollt es in Fülle haben“ ein Versprechen, das weiterträgt.

Für viele von uns wächst die Hoffnung, die uns trägt und treibt aus unserem Glauben, aus unserem Glauben an den Gott der Hoffnung, der uns wie Paulus sagt, mit Freude und Frieden erfüllen soll (Röm 15,13).

Wir hoffen darauf, dass Gerechtigkeit sich durchsetzen wird. Wir arbeiten daran, gesellschaftliche und politische Verhältnisse so zu verändern, dass Menschlichkeit und Würde aller Menschen befördert wird. Wir lassen nicht nach, Gewalt und Ausbeutung und Menschenverachtung aufzudecken, beim Namen zu nennen, nein besser zu skandalisieren. Vor allem aber geht es darum, Frauen, die in die Beratung kommen, mit Respekt und Achtung, Zuwendung und Hilfe zu begegnen, damit sie ihre eigenen Hoffnungsreserven wiederentdecken, ihre eigene Stärke.

Ernst Bloch hat die Hoffnung zum philosophischen Prinzip gemacht. Er beschreibt gesellschaftliche Bewegungen; gesellschaftliche und soziale Kämpfe, die durch die Hoffnungen der Beteiligten genährt und vorangetragen werden. Hoffnungen - so Bloch - durchfließen gesellschaftliche Entwicklungen wie ein „Wärmestrom“.

Vielleicht ist dem einen oder der anderen diese Interpretation der Hoffnung näher als die biblisch theologische. Was immer uns aber trägt und treibt, ein Wärmestrom ist von Nadeschda in letzten 15 Jahren gewiss ausgegangen. Ein Wärmestrom, an dem viele, viele Anteil haben - allen voran natürlich unsere Mitarbeiterinnen, die Nadeschdas. So wurde das Programm zum Namen und der Name zum Programm - Kennzeichen für die gesellschaftliche Bewegung, die mehr ist als ein Arbeitsfeld, ein Wärmestrom eben.

Ich komme noch einmal zurück auf die biblischen Wurzeln unseres Glaubens und unserer Hoffnung. Der große Theologe Karl Barth hat gesagt: Wer die Osterbotschaft gehört hat, der kann nicht mehr mit tragischem Gesicht herumlaufen und die humorlose Existenz eines Menschen führen, der keine Hoffnung hat.

Hoffnung hat demnach auch etwas mit Humor zu tun - wie wunderbar. Dass allen Beteiligten an der Arbeit der Beratungsstelle beides erhalten bleiben möge, dass ist nach 15 Jahren zu wünschen. Unsere Mitarbeiterinnen haben mehr zu bieten als ein tragisches Gesicht - das haben sie längst bewiesen.

Und so nutzen wir das Jubiläum, getrost und unverzagt, Rechenschaft zu geben von der Hoffnung, die uns trägt und treibt, und zugleich Gott zu bitten, unsere Hoffnung nicht ins Leere laufen zu lassen, uns Mut und Kraft und Zuversicht zu schenken - und Humor.

Amen - hoffentlich ist es und wird es so sein.