Predigt von Angelika Weigt-Blätgen,
leitende Pfarrerin der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V.

„.. dass ihr sie aufnehmt in der Gemeinde“

Phöbe - ein lebendiger Brief

 

Liebe Gemeinde, Schwestern und Brüder,

ich habe ihnen einen Brief mitgebracht. Er ist in einem großen, farbenfrohen Umschlag, liebevoll verziert. Die Briefmarke ist selbst gemalt. Glückwünsche zum Jubiläum von Haus Phöbe sind darin; ganz besondere Glückwünsche. So ein Brief wird nicht von der Post zugestellt. Er muss persönlich überbracht werden.

Ich überbringe diesen Brief heute aus Wengern im Ennepe-Ruhr-Kreis. Dort haben ihn Frauen in unserem Frauenheim für Menschen mit geistigen Behinderungen gestaltet. Es ist ein Gruß von einer Frauenhilfe-Einrichtung zur anderen - von einer Gruppe altgewordener Frauen in Wengern an die Bewohnerinnen und Bewohner und natürlich an die Mitarbeitenden einer andern Frauenhilfe-Einrichtung hier in Scherfede.

Die Frauen in Wengern gestalten solche Grüße oft. Wenn eine einen besonderen Geburtstag hat; wenn einer schwer krank ist; wenn eine Einrichtung eine besondere Last zu tragen hat oder wenn es etwas zu feiern gibt. Die Frauen in Wengern beschäftigen sich vorher mit den Adressaten und Adressatinnen.
Sie fragen, welche Literatur oder welche Kunst ihnen wichtig ist usw.
Und wenn die Glückwünsche dann noch persönlich überbracht werden entsteht ein lebendiger Brief.

Phöbe - die Namensgeberin unseres Hauses hier - ist ein lebendiger Brief. Sie überbringt einen Brief des Paulus an die Gemeinde in Rom, den er im Jahre 56 nach Christus in Korinth geschrieben hat.
Er hat sich mit der Gemeinde in Rom, mit ihren Fragen und Belastungen intensiv beschäftigt.
Phöbe macht die Reise von Kleinasien nach Rom - mit dem Brief. Bis heute ist der sog. Römerbrief des Paulus ein für Christenmenschen, Sprachforscher und Philosophen zentrales Dokument der frühen Christenheit. Phöbe trug also etwas sehr Kostbares bei sich auf dem langen Weg. Rom war kein einfaches Reiseziel für Christinnen und Christen jener Zeit. Rom war das Zentrum der Macht, die in Palästina die Menschen unterdrückte und ausbeutete und die Jesus als Gefahr für das römische Imperium ausgemacht und grausam hingerichtet hatte.

Frauen und Männer, die sich zu ihm bekannten, waren nicht gerade beliebt in Rom. Drohten doch durch sie revolutionäre Gruppen im Herzen des Imperiums zu entstehen, die schwer zu kontrollieren waren.

Phöbe wird der Gemeinde in Rom von Paulus in besonderer Weise ans Herz gelegt. Dann folgt eine Liste mit Grüßen an 10 Frauen und 18 Männer in der Gemeinde in Rom. Paulus kannte die Gemeinde also ziemlich gut, obwohl er selbst noch nie dort gewesen war.

Phöbe ist mehr als eine Briefträgerin. Phöbe ist Schwester, Diakonin, Beschützerin. Protectora nennt Paulus sie auch. Sie ist also eine, die Sicherheit und Schutz verbürgt und gewährleistet. Diakone werden oftmals die Missionarinnen und Missionare genannt - auch Paulus selbst wird so bezeichnet. Der griechische Name Phöbe bedeutet hellglänzend, rein, die Leuchtende. Als Heilige wird sie in der katholischen und in der orthodoxen Kirche verehrt.

Phöbe - ein lebendiger Brief. Überbringerinnen und Überbringer von Briefen damals waren gleichzeitig auch diejenigen, die den Inhalt erklären und auslegen konnten. Unsere Achtung für Phöbe steigt, wenn wir bedenken, dass Wissenschaftler bis heute die Deutung des Römerbriefes nicht abgeschlossen haben.

Phöbe - Briefträgerin, Beschützerin, Schwester, Missionarin, Theologin - eine leuchtende Gestalterin der ersten christlichen Gemeinden.

Und genau darum geht es Paulus auch in seinem Brief - um Gemeindeaufbau, Stärkung der Gemeinschaft. Darum, die Gemeinde nach innen geschwisterlich und solidarisch und nach außen selbstbewusst und stark zu machen.

Auf hohem theologischem Niveau stellt Paulus die Gerechtigkeit Gottes dar als Ermöglichung von Leben. Die Alltagsprobleme der Gemeinde verliert er dabei nie aus dem Blick. Wie können Aufgaben in der Gemeinde geteilt werden? Wie können Menschen - Arme und Reiche, Sklaven und Freie - zusammen leben und essen? Wie können jüdische und nichtjüdische Menschen gemeinsam die Nachfolge des Messias Jesus gestalten? Am Beispiel von Abraham und Sarah erläutert er, was Auferstehung bedeutet: Leben im Vertrauen darauf, dass Gott die Toten lebendig macht und aus dem Nichts Leben schafft. Gott hat den Messias Jesus von den Toten auferweckt und damit alles überwunden, was Leben zerstört: die Macht des Todes und der Sünde - das ist die Gewissheit, die Paulus antreibt und die er weitergibt.
Phöbe verliest diesen Brief - laut und klar in der Gemeinde in Rom. Sie beantwortet Fragen. Sie beteiligt sich an der Diskussion. Sie vermittelt den Menschen Klarheit, Schutz und Geschwisterlichkeit in der Nachfolge Jesu.

Ist es seit dem Jahre 56 zwischen Kleinasien und Rom jemals um etwas anderes gegangen?
Geht es zwischen Wengern, Soest und Scherfede um etwas anderes?

Geht es nicht immer darum, dass wie einander stärken, begleiten, einander Schutz und Hilfe und Klarheit und Geschwisterlichkeit bieten? Geht es nicht immer darum, uns darüber zu verständigen, was es bedeutet, dies alles als christliche Gemeinde zu tun, als Gemeinschaft der Glaubenden, zu der Alte und Junge, Arme und Reiche, Menschen mit und ohne Behinderungen, Fröhliche und Belastete, Glaubensfeste und Zweifelnde, Leuchtende und Zurückhaltende gehören? Ich bin sicher: genau darum geht es. Genau darum geht es auch in diesem Hause. Es geht darum die wunderbaren Sätze des Paulus aus dem Römerbrief in das Leben, in die Pflege, in die Gemeinschaft dieses Hauses einzutragen:

Die Liebe ist die Erfüllung des Gesetzes“; „ Keiner von uns lebt für sich allein, keiner von uns stirbt für sich allein, leben wir so leben wir des Herrn, sterben wir so sterben wir des Herrn…“, „Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet“; „Ist Gott für uns, wer kann gegen uns sein.“

Plötzlich sehe ich Phöbe vor mir, wie sie die Sätze des Paulus in das Leben der Gemeinde übersetzt. Ich sehe die Schwester hier im Hause vor mir, die – auch wenn sie die Sätze des Paulus nicht kennt - mit einem Bewohner über das Leben und das Sterben spricht. Ich sehe den Mitarbeiter vor mir, der Schutz und Sicherheit vermittelt, indem er den 23.Psalm spricht - einen der wenigen Texte, die der Bewohnerin noch nicht verloren gegangen sind.

Einander jeden Tag zu lebendigen Briefen des lebendigen und lebenstiftenden Gottes werden. Füreinander Schutz und Hilfe und Leuchtkraft in der Dunkelheit werden - in der Nachfolge Jesu Christi, in der Tradition von Paulus und Phöbe - möge Gott uns dazu treiben, möge Gott uns dazu beflügeln - in der Gemeinschaft der Christinnen und Christen, nicht nur zwischen Wengern-Soest-Scherfede.
Wie gut, dass die Frauen aus Wengern uns daran immer wieder so liebevoll erinnern.

Amen