Grußwort von Pfarrerin Diana Klöpper,
Frauenbeauftragte der westfälischen Landeskirche

Liebe Angelika Weigt-Blätgen,
liebe Birgit Reiche,
liebe Sabine Reeh, liebe Frau Batzik,
sehr geehrte Gäste!

Herzlichen Dank für die Einladung heute hier sein zu dürfen.
Gerne spreche ich als Pfarrerin im landeskirchlichen Frauenreferat und als Frauenbeauftragte der EKvW ein Grußwort.

Zu allererst möchte ich allen Verantwortlichen, all denen, die es möglich machen, dass es die Beratungsstelle Tamar jetzt gibt, meinen herzlichen Dank aussprechen.
Den wenigsten von uns ist bewusst, wie viel Arbeit, persönlicher Einsatz, wie viele Rückschläge auch nötig sind, bevor eine Prostituiertenberatungsstelle für Frauen und Mädchen ihre Arbeit aufnehmen kann.

Die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen steht für die Arbeit mit und für Prostituierte auf der Fläche der EKvW. Sie arbeitet konkret vor Ort in ihren  Beratungsstellen und auf der strukturellen, politischen Ebene, sie ist vernetzt mit anderen Evangelischen Beratungsstellen.
Als Evangelische Frauenhilfe in Westfalen repräsentiert diese Arbeit auch die Arbeit ‚der’ Kirche, der evangelischen Kirche in Westfalen. Unserem Kirchenbild würde etwas fehlen, wenn es diese Arbeit, wenn es die Beratungsstellen Theodora in Ostwestfalen und jetzt Tamar in Südwestfalen nicht gäbe.
Die Evangelische Frauenhilfe in Westfalen schließt hiermit eine Lücke die es in den ländlichen Regionen gegenüber dem Ruhrgebiet gibt, denn dort gibt es mehr Angebote für Frauen die in der Prostitution arbeiten oder die aus der Prostitution aussteigen wollen.

Der Umgang mit Prostitution in unserer Gesellschaft und in unserer Kirche hat eine lange Geschichte, eine schwierige, problematische Geschichte und für die Frauen die in der Prostitution arbeiten und gearbeitet haben, oft auch eine Verletzungsgeschichte.
Die Frage scheint mir zu sein, ob wir als Kirche, als Christinnen und Christen für Frauen die in der Prostitution arbeiten oder aus ihr aussteigen wollen da sein können und wollen.
Natürlich wollen wir das!
Aber wir agieren dabei oft - gelinde gesagt - unglücklich.
Ich beobachte in unserer Kirche oder im kirchlichen Kontext immer wieder diakonisches Handeln im Gefälle von oben nach.
„Da müssen wir doch was tun!“ ist der Satz mit dem es anfängt, am grünen Tisch und Was ‚wir’ dann tun, wird ebenfalls am grünen Tisch überlegt und entschieden.
Wenn wir dann vom grünen Tisch aufstehen und unsere Konzepte umsetzen wollen, müssen wir feststellen, dass diejenigen für die wir etwas tun wollten nicht laut aufjubeln und sagen: „Darauf haben wir schon lange gewartet“, sondern oft sagen „Warum habt ihr uns nicht vorher gefragt!?“

Im Bezug auf Prostitution heißt das: Wir sollten uns als Kirche, als kirchliche Organisationen und Vereine davor hüten, Frauen die in der Prostitution arbeiten einfach zu Opfern zu erklären. Ebenso steht es uns nicht an sie zu Täterinnen zu machen, im Gegenteil dem müssen wir entschieden widersprechen.
Opfer oder Täterin das sind, sehr verkürzt gesprochen, die beiden Wege, wie Kirche und Theologie in ihrer langen Geschichte mit Frauen, die in der Prostitution arbeiten, umgegangen sind.
Prostitution als Sünde, die Prostituierte als Sünderin, als verderbtes Gesindel, als Ursache des Übels - noch für Martin Luther waren Huren Mörderinnen.
Etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts kommt es zu einer neuen Beschäftigung der Kirche mit dem Phänomen Prostitution.
Es entstehen Häuser zur Rettung gefallener Mädchen. Einer strengen Disziplin unterworfen verbunden mit geistlicher Unterweisung und einer Ausbildung in Haushaltsführung, war es die Idee, Frauen in den Stand zu versetzen ihrem Stande gemäß zu heiraten oder sie so auszubilden, dass sie ihren Lebensunterhalt mit ich nenne es mal ‚ehrbarer’ Arbeit sichern konnten.
Prostitution wurde als ‚Problem’ der Unterschicht angesehen, in dem Sinne, dass Frauen aus der Unterschicht nicht genug Bildung und Erziehung besaßen, um zu verstehen, dass ihr Handeln gegen die Moral verstieß. Die Vorstellung war also, dass Prostitution zwar ein Problem sei, aber durch erzieherische Maßnahmen in den Griff zu bekommen sei.
Unnötig zu erwähnen, dass die wahren Gründe warum Frauen in der Prostitution arbeiteten in diesem kirchlichen Umgang mit der Prostitution eine untergeordnete Rolle spielten. Wichtig zu betonen ist allerdings noch mal, dass das ‚Problem’ Prostitution zu einem Problem und einer Schuld der Frauen, die als Prostituierte arbeiteten gemacht wurde.

Und auch heute begegnet dieser Umgang mit Frauen die in der Prostitution arbeiten immer wieder und immer noch. Zumindest erweckt mancher Redebeitrag in Talkshows zum Thema den Eindruck, es müsse den Frauen erstmal klar gemacht werden, dass sie gar nicht verstehen, dass das, was sie tun grundsätzlich falsch ist und dass sie nur verstehen müssten, dass man sie aus diesem falschen Tun retten werde.
Ein schneller Weg und konsequenter Weg zur Rettung scheint ein Verbot der Prostitution zu sein, der die Frauen und die Männer gleichermaßen kriminalisieren würde. Vor einem guten Jahr erschien die Ausgabe der Emma mit den Gesichtern vieler Prominenter, die den Aufruf zum Verbot der Prostitution unterstützen.

Die evangelischen Fachberatungsstellen für Prostituierte und Opfer von Menschenhandel in Westfalen haben damals wie folgt Position bezogen:
„Prostitution ist gesellschaftlich und moralisch immer noch ein Tabu. Ein generelles Verbot von Prostitution halten viele für die Lösung der Probleme von Ausbeutung, Menschenhandel und sexueller Gewalt. Ein Verbot von Prostitution verhindert jedoch weder Prostitution noch Menschenhandel. Ein Verbot führt zu einer Verschiebung in die Illegalität. Prostituierte würden eher Opfer von Gewalt und Ausbeutung werden. Hilfe und Schutzangebote könnten sie viel schwieriger oder gar nicht erreichen. Sie verlieren zudem die Möglichkeit, sozial- und krankenversichert zu sein.“
Ich stimme den Beratungsstellen zu.
Ich glaube, dass wir einen großen Fehler begehen würden, wenn wir versuchen zum Thema Prostitution durch ein Verbot Stellung zu beziehen.

Es wäre auch falsch Frauen, die in Prostitution arbeiten zu unmündigen Opfern zu erklären, die von oben gerettet werden können, indem sie zu dem gemacht werden, was die die retten gerne hätten.
Ist solche Hilfe tatsächlich Hilfe?
Ist sie nicht, weil sie die, für die man da sein will nicht ernst nimmt.

Tamar - es gibt in der Bibel zwei Frauen die Tamar heißen - die eine ist die Schwiegertochter Judas, die sich als Prostituierte verkleidet ihr Recht verschafft, selbstbestimmt handelt und so lebt und überlebt. (1 Mose 38)

Die andere Tamar ist die Tochter Davids, die von ihrem Bruder Amnon vergewaltigt wird. Dann wirft er sie auf die Straße, wie man Dreck auf die Straße wirft.
Dort findet sie ihr Bruder Absalom: „Schweig still meine Schwester! Nimm es dir nicht so zu Herzen!“ sagt er und nimmt sie in sein Haus auf. Dort bleibt Tamar und schweigt - ein eigenes Leben war unmöglich geworden.
David ihr Vater unternimmt nichts - er wird nur zornig.
Aber ihr Bruder Absalom regelt es so, wie er denkt: er tötet Amnon.
Er weiß schon, was für Tamar gut ist. (2 Sam 13,1-22)
Von der Prostituiertenberatungsstelle Tamar erhoffe ich eine Arbeit, die eben nicht schon weiß, was für die Frauen die in der Prostitution arbeiten oder aus ihr aussteigen wollen gut ist, dass sie nicht über die Frauen reden sondern mit ihnen.
Dass sie in Erinnerung an die biblische Tamar eben nicht sagen: „Schweig still, ich weiß schon, was gut für Dich ist.“
Dass sie nicht über die Frauen reden für die sei ein Angebot machen, sondern mit diesen Frauen.

Genau das ist es, was Sie sich vorgenommen haben: Frauen und ihre Kinder aufzusuchen und ihnen konkret in Notlagen Beratung anzubieten. Zu ihnen zu gehen und ihnen ihre Wege zu eröffnen, nicht sie zu bevormunden.

Dazu wünsche ich Ihnen Kraft und Gottes Segen und danke Ihnen von ganzem Herzen für diese Arbeit.