Predigt von Pfarrerin Angelika Weigt-Blätgen
20 Jahre Beratungsstelle Nadeschda
zu Jesaja 35, 7-10

Liebe Gemeinde, Schwestern und Brüder,
Hoffnung ist teilbar - so steht es seit einigen Jahren auf der Umverpackung der Schokoladentafeln, die wir im Rahmen unseres Sponsoringprojektes verkaufen. Dunkel-herb oder zartschmelzend-hell ist Stück für Stück zu hören, zu fühlen, zu schmecken, was wir als Christinnen in der Evangelischen Frauenhilfe mit der Einrichtung der Beratungsstelle und ihrem Namen verbinden. Nadeschda heißt Hoffnung. Können Sie es hören( Abbrechen eines Schokoladenriegels), möchten Sie es fühlen und schmecken - jetzt während der Predigt? Nur zu - es stört nicht, es verbindet uns, wenn sie ein Stück abbrechen und es sich auf der Zunge zergehen lassen (Weiterreichen eines Tellers mit Schokoladentafeln während der Predigt).

Hoffnung teilen - Hoffnung auf Recht und Gerechtigkeit, auf Trost und Hilfe. Der Prophet Jesaja hat sie in wunderbar poetisch-kraftvoller Weise den Menschen versprochen, hat sie versprochen, verbunden mit einem Auftrag, mit dem Auftrag, was zu tun ist, damit Menschen die Hoffnung nicht verlieren und Trost erfahren.

„Stärkt die müden Hände, macht fest die wankenden Knie, sagt den verzagten Herzen: seht da ist euer Gott, er kommt und er will euch helfen, er wird das Recht wieder herstellen."
Stärkt die müden Hände - müde Hände können nicht mehr handeln; müde Hände können sich nicht mehr wehren; müde Hände können sich nicht mehr ausstrecken - auch nicht zur Hilfe. Müde Hände finden keine Ruhe. Müde Hände erzählen Geschichten, Geschichten von erschöpfendem, verletztem und kraftlos gewordenem Leben, von verpasstem und ausgebeutetem Leben - müde Hände erzählen Lebensgeschichten. Auch junge Hände können so müde sein, so verletzt.

Macht fest die wankenden Knie - wankende Knie tragen nicht länger, bringen nicht ans Ziel, machen schwach, lassen einknicken, wenn Standhaftigkeit gefragt wäre, Widerstand. Wankende Knie schreien nach Hilfe. Schwäche wird sichtbar. Wankende Knie und aufrechter Gang passen nicht zueinander.

„Sagt den verzagten Herzen.“ Verzagte Herzen - Martin Buber übersetzt „herzverscheucht" – „Sagt den herzverscheuchten Menschen.“ Herzverscheucht sind die, die nicht mehr wissen, worauf sie noch vertrauen können. Herzverscheucht sind die, die sich selbst nicht mehr erkennen, die sich selbst verloren haben, die zweifeln, verzweifeln an Gott und der Welt, an den Menschen und an sich selbst; sie selbst, ihre Seele, ihr Herz sind heimat- und haltlos.

Der Auftrag des Propheten an die Botinnen und Boten ist ein umfassender: stärkt die müden Hände, macht fest die wankenden Knie, sagt den verzagten Herzen, woher Rettung und Hilfe kommen kann. Für Jesaja ist es Gott, der hilft, der zur Rettung kommt. Seine Hilfe wird Mensch und Natur umfassen - nirgends im Alten Testament ist dieses Evangelium so reich entfaltet wie bei Jesaja. Gott kommt und will es mit dem ganzen Menschen zu tun haben, mit allem, was ihn ausmacht; mit seinen müden Händen, mit ihren wankenden Knien, mit ihrem verzagten, verscheuchten Herzen.

Gott kommt und stellt das Recht wieder her, das Recht derer, die nicht mehr selbst für ihr Recht einstehen können, die sich selbst nicht mehr zu-Recht-finden, die aus-der-Bahn-Geworfenen, die ins Un-Recht-Gesetzten - für sie alle kommt Gott - so verspricht es der Prophet.

Das Heil kommt von Gott und wird sich zeigen an den Blinden, den Lahmen, den Tauben; es wird sich entfalten, wie sich ein Gebirge entfaltet. Bis er kommt allerdings bleibt es die Aufgabe, die Hoffnung lebendig zu halten, Trost zu geben, müde Hände zu stärken, wankende Knie zu festigen und verscheuchten Herzen Orientierung zu geben.

Das Heil, das wir erwarten, hat sich mit dem Advent Gottes in Jesus Christus für uns entfaltet. Seine Rede vom Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, seine Verheißung eines Lebens in Fülle für alle Menschen, seine bedingungs- und voraussetzungslose Parteinahme geben uns Richtung und Ziel. Aber was bleibt uns als Wegzehrung, unterwegs? Bleibt uns nur, immer und immer wieder von der Hoffnung zu sprechen? Die Hoffnung im Namen einer Beratungsstelle zu tragen? Die Widerständigkeit der Hoffnung zu betonen? Uns selbst immer mal wieder zu vergewissern, woraus wir unsere Hoffnung schöpfen?

Jesaja sagt es eigentlich schon, was uns bleibt als Kirche, als Frauenhilfe, als Christinnen und Christen: Stärkt - Macht - Sagt. Und erinnert euch gegenseitig an das, was euch trägt. An wen auch immer Sie, die Mitarbeiterinnen von Nadeschda, gedacht haben mögen bei den müden Händen, den schwankenden Knien und den verscheuchten Herzen - gewiss zunächst an die Frauen und Mädchen, die Ihnen in den Beratungsgesprächen gegenüber sitzen, die Sie zu Untersuchungen oder zur Geburt ihrer Kinder begleiten - auch Ihre, auch unser aller Hände sind nicht immer kraftvoll und stark, auch Sie, auch wir alle stehen nicht immer zweifelsfrei fest und aufrecht, überzeugt davon, dass alles, was wir tun, sinnvoll und richtig ist.

Auch Ihre, auch unser aller Herzen sind oft verzagt, verscheucht, angesichts von Gewalt, Ungerechtigkeit, Unmenschlichkeit, Ausbeutung, Profitgier. Was brauchen wir dann? Wir brauchen Texte, Bilder, Gebete, Geschichten vom gelingenden Leben. Wir brauchen Menschen, Gemeinschaften, Verbündete, die uns erinnern, die wie der Prophet sagen „Seht da": „seht da“: da ist euer Gott - ein Kind, verletzlich und klein in einer Krippe, ein Mensch, der in der Einsamkeit eines Gartens weint; „seht da": ein verletztes und geschundenes Leben am Kreuz, und „seht da": einer, der heilt und teilt, was zum Leben nötig ist. Brot und Fisch und Wein. „Seht da": einer, in dem Himmel und Erde sich berühren, der nicht die heile Welt verspricht, sondern die Grenzen verschiebt, an denen unsere Hoffnung sonst scheitern würde. Dorothee Sölle hat ihre Arbeit als „Hoffnungsarbeit für Gerechtigkeit" bezeichnet. Der Prophet beschreibt die Arbeit mit Tätigkeitsworten: Stärkt - Macht -Sagt. So werden wir weiter über unsere Hoffnung sprechen. So werden wir weiter teilen, was uns stärkt, so werden wir im solidarischen „Machen" eine Nachfolgegemeinschaft sein, die anderen zum Hoffnungszeichen werden kann. So werden wir weiter sagen, dass Gott ein leidenschaftlich mitleidender Gott ist, treu und parteilich.

Gott möge unseren Glauben und unsere Hoffnung stärken- immer und immer wieder. Gott möge uns mutig und ausdauernd machen, zu teilen was wir haben: prophetische Worte und den Trost des Evangeliums, Geld und Gebete, Kompetenzen und Erfahrungen, Traditionen und die Verbundenheit mit unseren Müttern und Vätern im Glauben und im Handeln. Und ab und zu auch ein Stück Schokolade - dunkel-herb oder zartschmelzend-süß je nach Geschmack oder Stimmung – so wie heute.

Amen

Pfarrerin Angelika Weigt-Blätgen