NADESCHDA heißt Hoffnung – Zwanzig Jahre Fachberatungsstelle für Opfer von Menschenhandel

Eigentlich ist keine Zeit, zurück zu blicken. Zu vielfältig sind die neuen Aufgaben, die tagtäglich auf NADESCHDA zukommen. Zu zahlreich sind die Klientinnen und ihre Kinder, die sich ihr anvertrauen.

Konstant seit 20 Jahren

Seit 1997 gibt es jetzt die Beratungsstelle für Opfer von Menschenhandel, NADESCHDA, in Herford. Seit zwanzig Jahren begleiten sie im Regierungsbezirk Detmold Frauen, die Gewalt, sexuelle Ausbeutung und Zwangsprostitution erlebt haben. Die Hoffnung auf ein besseres Leben im vermeintlich reichen Europa bringt viele Frauen dazu, das Risiko einer ungewissen Zukunft einzugehen und Angebote von gut bezahlten Jobs, z.B. als Kellnerin oder als Frisörin, anzunehmen. Jedoch werden sie bewusst getäuscht und ihnen wird verschwiegen, dass sie in der Prostitution arbeiten sollen. Das ist die eine Konstante ihrer Arbeit; eine weitere Konstante sind die Kolleginnen, die seit Anfang an dabei sind: Corinna Dammeyer und Mira von Mach.

Veränderungen in den 20 Jahren

Vieles anderes hat sich in den Jahren jedoch geändert. Dies sind zum Beispiel Gesetze, zum Beispiel die Herkunftsländer der Frauen, zum Beispiel dass immer mehr Klientinnen schwanger oder mit kleinen Kindern zur Beratungsstelle kommen. Durften ausländische Opfer von Menschenhandel in den ersten Jahren weder einen Sprachkurs besuchen noch zur Schule gehen oder arbeiten, kann NADESCHDA sie heute viel besser in einer Integration unterstützen. Kamen die Frauen damals vor allem über die Polizei mit der Beratungsstelle in Kontakt, sind es heute vor allem Selbstmelderinnen oder sie werden von anderen Beratungseinrichtungen vermittelt. Waren es früher vor allem Frauen aus Osteuropa, die ihre Hilfe benötigten, sind es heute mehrheitlich Westafrikanerinnen.

Die Zunahme an Flüchtlingen in den letzten Jahren spielt auch in der Arbeit von NADESCHDA eine große Rolle. Sei es eine Afrikanerin, die sich nach Jahren in der Zwangsprostitution in Griechenland einer Flüchtlingsgruppe anschließt, oder die junge Frau, die sich schon in Libyen für eine Bootspassage prostituieren musste. Begleitung in Asylverfahren, geschützte Unterbringung oder Förderung der Sprachkenntnisse sind einige der jetzigen Aufgaben der Beratungsstelle. Um eine kultursensible Beratung leisten zu können, mussten und müssen die Beraterinnen ihre interkulturelle Kompetenz erweitern. Nur dann ist ihnen eine passgenaue Hilfe möglich.

Frauen mit Fluchterfahrungen bzw. anderer besonderer schutzbedürftiger Personengruppen

Seit April 2016 läuft das Projekt „Flüchtlingsberatung für Frauen, die von Menschenhandel betroffen sind“, gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration. Ziel ist dabei die Identifizierung von Frauen, die auf dem Asylweg Opfer von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung geworden sind sowie die Aufnahme in die Betreuung der Fachberatungsstelle NADESCHDA. Zu den Projektinhalten zählt zum einen die wöchentliche Beratung in der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes NRW für Flüchtlinge in Bielefeld (EAE); zum anderen die Unterbringung in anonymen Unterkünften oder in Frauenhäusern mit ambulanter Betreuung; des Weiteren psychologische Krisenintervention durch eine erfahrene Psychologin sowie nicht zuletzt die Schulung von Mitarbeitenden und ehrenamtlich Tätigen im Bereich der Flüchtlingshilfe über die besondere Situation von Flüchtlingsfrauen, die von Menschenhandel betroffen sind. Im Rahmen des Projekts ist eine Info-Broschüre „Hilfen für Opfer von Menschenhandel im Asylverfahren“ in elf Sprachen erstellt worden, die in den Aufnahmeeinrichtungen und Kommunen flächendeckend über die spezialisierten Beratungsstellen in NRW verteilt worden sind.

Lösung der Probleme von Ausbeutung, Menschenhandel und sexueller Gewalt

Der internationale Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung geht nicht zurück, sondern nimmt in erschreckendem Ausmaß zu. Kriege und Bürgerkriege, ethnische Verfolgungen, Flucht und Armut haben seit jeher sexuelle Ausbeutung und erzwungene Prostitution zur Folge. Viele der weiblichen Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, haben diese Ausbeutung am eigenen Leib erlebt. Sie haben nach deutschem Recht einen Anspruch auf die Begleitung durch eine spezialisierte Beratungsstelle, auf sichere Unterbringung und auf Schutz.

Prostitution ist gesellschaftlich und moralisch immer noch ein Tabu. Ein generelles Verbot von Prostitution halten viele für die Lösung der Probleme von Ausbeutung, Menschenhandel und sexueller Gewalt. Ein Verbot verhindert aus der Sicht der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen, Trägerin der Beratungsstelle, jedoch weder Prostitution noch Menschenhandel, sondern führt zu einer Verschiebung in die Illegalität. Die betroffenen Frauen sind Gewalt und Ausbeutung noch schutzloser ausgeliefert. Prostituierte und Opfer von Menschenhandel sollten mit ihren eigenen Problemen, Sorgen, Wünschen und Träumen wahrgenommen und nicht zur Projektionsfläche unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen werden.

Um den Menschenhandel effektiver bekämpfen zu können, müssen die Opfer- und Zeuginnenrechte erweitert werden, insbesondere durch Änderungen im Ausländergesetz. Gleichzeitig setzt sich NADESCHDA für eine effektive Entwicklungspolitik ein und fordert eine gerechte Weltwirtschaftsordnung, die Armutsmigration in die Prostitution unnötig macht.

Fortsetzung der Trends der Vorjahre

Auch im Jahr 2016 setzte sich der Trend der Vorjahre in der Beratungsarbeit fort: Viele Klientinnen kamen schwanger oder schon mit kleinen Kindern in die Betreuung. Im letzten Jahr hatte NADESCHDA 22 Kinder in der Betreuung. Einige wurden von der Geburt an begleitet, zur Anmeldung beim Standesamt, Vaterschaftsanerkennung, Asylantragsstellung. Für die älteren Kinder war die schnelle Integration wichtig, die Suche nach einem Kindergartenplatz, Schulanmeldung und die alltägliche Sozialbetreuung wie Arztbesuche oder Kooperation mit dem Jugendamt im Fall einer Familienbegleitung.

Das heißt für die Mitarbeiterinnen, nicht nur für die Gesundung der Klientinnen Sorge zu tragen, die ausnahmslos schlimme Erfahrungen von Gewalt, Ausbeutung und Hoffnungslosigkeit machen mussten. Sie kümmern sich zudem auch um die Belange der Säuglinge und Kleinkinder. Neben der Begleitung zu notwendigen Vorsorgeuntersuchungen, zur Entbindung und zu Kinderärzten nach der Geburt sind rund um die Geburt viele Behördengänge notwendig, die sehr zeitaufwändig sind.
In den ersten Jahren kamen über 75% der Klientinnen durch die Vermittlung der Polizei in die Beratung von NADESCHDA. Im letzten Jahr waren es nur 14%. Auch heute gilt in diesen Fällen: Durch polizeiliche Kontrollen oder Razzien in Bordellen, Modellwohnungen bzw. auf dem so genannten „Straßenstrich“ werden Frauen, die als potenzielle Opfer von Menschenhandel zur erkennen sind, befreit.

Viele Klientinnen erreichen die Beraterinnen auf dem Umweg über Frauenhäuser, Ärztinnen und Ärzte, vereinzelt über das BAMF und durch Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus den Asylunterkünften sowie durch andere Stellen. Das Thema Menschenhandel ist im gesellschaftlichen Bewusstsein angekommen und die Beratungsstelle NADESCHDA ist bekannt. Deshalb werden immer mehr Klientinnen von Bekannten und anderen Beratungsstellen vermittelt.

32% der Betroffenen wurden von anderen spezialisierten Beratungsstellen aus dem ganzen Bundesgebiet übernommen. Gründe sind Überlastung oder dass die Klientinnen in einer Region besonders gefährdet sind.

Die zweitstärkste Gruppe sind Frauen, die sich selbst melden. Im vergangenen Jahr waren es 28%. Viele von ihnen sind in Italien, Frankreich oder Spanien zur Prostitution gezwungen worden und flüchten, oft in fortgeschrittenem Stadium einer Schwangerschaft, nach Deutschland. Sie melden sich selbst bei NADESCHDA und bitten um Hilfe und Unterstützung.