Liebe Bezirksfrauen,
liebe Frauenhilfegemeinde,

„So kommt doch alle zu mir, die ihr euch abmüht und belastet seid. Ich will euch ausruhen lassen. Nehmt meine Last auf euch und lernt von mir. Ich brauche keine Gewalt und mein Herz ist nicht auf Herrschaft aus. So werdet ihr für euer Leben Ruhe finden.“

„Ich will euch ausruhen lassen … ihr werdet für euer Leben Ruhe finden“ - Worte wie eine Oase; Worte, die vor unseren Augen und in unseren Seelen Sehnsuchtsorte entstehen lassen.

„Ich will euch ausruhen lassen … ihr werdet für euer Leben Ruhe finden“ - Wie sieht ihre Oase, wie sieht ihr Sehnsuchtsort aus? Was ent-lastet sie? Viele von uns haben das Gefühl, dass ihnen eine Last nach der anderen aufgelegt wird. Eltern und Schwiegereltern sind zu pflegen, zu begleiten, zu versorgen; Kinder und Enkelkinder brauchen Unterstützung und Hilfe; Kontakte sollen gepflegt werden und Beziehungen verkümmern, wenn sie nicht Nahrung bekommen. Bei den Älteren von uns kommt die Sorge dazu wohlmöglich irgendwann selbst Hilfe zu brauchen und dann anderen zur Last zur fallen.

„Kommt doch alle zu mir, die ihr euch abmüht und belastet seid …“
Auch die Kirchengemeinde und unsere gute alte „Hülfe“ können zur Last werden. Wenn Termin auf Termin folgt, wenn immer mehr Arbeit auf immer weniger Menschen verteilt werden soll, dann wird die Freude am Ehrenamt und die Verbundenheit mit der Gemeinde zu Mühe und Last. Gottesdienst und Andacht, Fürbitte, Dank und Anerkennung und Wertschätzung können dann zu Oasen werden, zu Rastplätzen. Leider sind solche Rastplätze - falls vorhanden - oft eher kärglich ausgestattet - ohne Sitzgelegenheiten - und gereicht wird oft nur schales abgestandenes Wasser.

„Kommt doch alle zu mir, die ihr euch abmüht und belastet seid …“
Jesus lädt uns ein, Jesus lockt uns und macht uns ein Angebot: Ausruhen sollen wir dürfen und für unser Leben Ruhe finden. Ruhe - noch so ein Sehnsuchtswort. Ruhe ist nicht Beruhigung - alles nicht zu schlimm, wird schon wieder, bleib ganz ruhig. Nein Beruhigung will Jesus nicht. Er spricht die Dinge an, die in Unordnung sind und die beunruhigen: Er spricht die Ungerechtigkeit an; er verschweigt Schuld und Gewalt nicht; er lässt die Kranken, die Niedergedrückten, die unter ihrer Lebenslast Gebeugten ganz nah an sich heran kommen, er lässt sich von ihnen berühren und er berührt sie. Er weiß um das Böse im Menschen, um all das, was gelingendes Leben verhindert. Nein, Jesus ist kein Beruhiger, kein Abwiegler. Jesus macht Gegenentwürfe, Entwürfe vom Reich der Himmel oder vom Reich Gottes, das aus kleinsten Samenkörnern wachsen kann; das die Welt durchsäuern und durchsetzen kann wie der Sauerteig eine große Menge Brot. Jesus macht Gegenentwürfe, indem er anders mit den Menschen umgeht, anders als alle, die in dieser Welt Macht haben. Er braucht keine Gewalt und setzt nicht auf Herrschaft. Er will Menschen nicht klein machen, sondern aufrichten. Er will Menschen nicht in ihre Schranken verweisen, sondern sie frei machen, sich ihrem Nächsten zuzuwenden, sich für Gerechtigkeit stark zu machen.
Für seine Gegenentwürfe will er alle begeistern, alle die bereit sind, eine neue Lebensperspektive zu entwickeln, alle die sich nicht abfinden wollen mit den Verhältnissen wie sie sind, alle die sich nicht beruhigen lassen wollen.

„… ihr werdet für euer Leben Ruhe finden …“ Nicht Beruhigung ist gemeint und auch nicht Toten- oder Grabesstille. Die Stille, die nach dem Verlust eines Menschen entsteht, die Stille, die sich in die Einsamkeit frisst - nein diese Stille meint Jesus nicht. Jesus macht Menschen ein Angebot, getrost und getröstet von ihm ihr Leben zu gestalten. Wir können um unser woher und unser wohin wissen. Wir können mit und durch Jesus Gott kennen, väterlich und mütterlich. Wir können mit und durch Jesus wissen, dass wir Geschöpfe Gottes sind, Ebenbilder und Würdenträgerinnen Gottes. Als Ebenbilder und Würdenträgerinnen Gottes können und dürfen wir unser Leben gestalten. Wir können, wir dürfen glauben, dass Jesus alles überwunden hat, was zerstörend und tot bringend ist und uns in seine Nachfolge stellen. Und wir dürfen, können uns von der Heiligen-Geist-Kraft beflügeln und befeuern lassen.

„Ihr werdet für euer Leben Ruhe finden …“ - Heilsame Ruhe ist eine schöne Übersetzung für Schalom. Schalom, heilsame Ruhe umfasst alles was Menschen brauchen, um gut und ohne Not zu leben: Gesundheit und Sicherheit, Nahrung und wertschätzende Zuwendung. Schalom, heilsame Ruhe, meint ein Leben, in dem alle zu ihrem Recht kommen. Wo keine Trauer, kein Wehgeschrei und keine Tränen die Menschen erstarren lassen und gefangen halten. Heilsame Ruhe meint ein Leben in Fülle für alle Menschen. So haben wir unsere gemeinsame Vision für alle Frauenhilfearbeit auch formuliert: Ziel aller Frauenhilfearbeit ist ein Leben in Fülle für alle Menschen.

Heilsame Ruhe, Fülle - Sehnsuchtsworte, Oasen, Sehnsuchtsorte. Sie sind Verheißung und Ziel, Versprechen und Verlockung. Wir werden uns niemals für immer in diesen Orten, in diesen Oasen niederlassen können; zumindest nicht in dieser Welt. Aber wir können sie immer mal wieder wahrnehmen, immer mal wieder aufscheinen sehen, immer mal wieder schmecken. Wenn wir uns einen Moment lang lösen von dem, was uns Angst macht, was uns bedrohlich erscheint, was uns scheinbar den letzten Halt nimmt, wenn wir uns - wie die Weisheitsgeschichte, die wir als Lesung gehört haben, erzählt - wenn wir uns von den Tigern und Mäusen lösen, von unserer Angst, wenn wir unsere Lebens- und Zukunftsangst überwinden, dann können wir eine Erdbeere genießen - süß, fruchtig - mit dem Geschmack unserer Kindheit, unseres Gartens, unserer Familienfeier im Sommer mit Erdbeertorte. Wenn wir unseren Blick auf etwas anderes lenken können, als auf unsere Alltagssorgen und auf all das, was uns ermüdet, überfordert, unsere ganze Kraft beansprucht, dann können wir Erdbeererfahrungen machen, Ruhemomente erleben, heilsame Ruhe in unser Leben kommen lassen. Solche Erdbeermomente, Erdbeererfahrungen, werden für jede von uns andere sein - das Abendmahl wird es für die Eine sein, für die Andere die Stille über einer Tageslosung, die plötzlich nur zu ihr spricht. Für wieder eine Andere eher alltägliche, fast banale Momente im Leben.

Schalom, heilsame Ruhe, Ruhe für unser Leben - wenn wir allem, was uns überfordert und Angst mach keine Macht über uns geben, dann sind Erdbeererfahrungen möglich. Wenn wir allem, was uns zornig macht und traurig, weil die Ungerechtigkeit zum Himmel schreit; weil Menschenverachtung und Gewalt nicht enden; wenn wir all dem keine Macht über uns geben, dann sind Erdbeermomente möglich.
Dann werden Tiger und Mäuse und Abhänge einen Moment lang ihre Bedrohung verlieren und es werden Gegenentwürfe, neue Lebensmöglichkeiten sichtbar und fühlbar - schmecket und sehet wie freundlich unser Gott ist. Zu einer solchen Lebenshaltung lädt Jesus ein, wenn er uns einlädt, wenn er uns lockt, seine Last auf uns zu nehmen und von ihm zu lernen. Jesus lädt in seine Nachfolge ein, zum Fest des Lebens.

Bei diesem Fest des Lebens sind zugleich Begeisterung und heilsame Ruhe möglich. Jesus lädt ein zum Fest des Lebens - Jesus lädt ein an Sehnsuchtsorte. Die Bibel ist voller Beschreibungen solcher Sehnsuchtsorte. Bäume, die aus einem einzigen winzigen Samenkorn wachsen und hunderten von Vögeln Nahrung und Schutz bieten; Bäche, die ganze Landstriche bewässern und grünen lassen; mitten in der Wüste Menschen, die von einem Engel angesprochen werden - Sehnsuchtsworte und Sehnsuchtsorte der Bibel. Wir sind eingeladen, uns die Zeit und die Ruhe zu nehmen, unsere Sehnsuchtsorte zu beschreiben - sie nicht aus dem Blick zu verlieren. Diese Zeit sollten wir uns immer und immer wieder nehmen. Uns nicht besetzen lassen und nicht aufgehen im Alltäglichen, in den Alltagssorgen, in dem was uns fest hält. Wir sind eingeladen, unsere Sehnsuchtsorte zu beschreiben und auf die Sehnsuchtsworte der Bibel zu hören. Dann kann Neues werden … denken sie an die Tiger und die Mäuse … und die Erdbeeren.

Amen

Angelika Weigt-Blätgen
Leitende Pfarrerin