Dokumentation

25 Jahre NADESCHDA und 11 Jahre THEODORA
Gemeinsame Jubiläumsfeier der Beratungsstellen | 26.08.2022

Präses Dr. h.c. Annette Kurschus
Foto: EKvW / Barbara Frommann

Grußwort von
Präses Dr. h. c.
Annette Kurschus

Pfarrerin i.R. Anke Schröder
Pfarrerin i.R. Anke Schröder verlas das Grußwort von Präses Kurschus.

NADESCHDA feiert ihren 25 Geburtstag.
Feiert?
Was gibt es zu feiern, wenn man ein Vierteljahrhundert lang das schlimmste Elend mildert – und das Elend nicht aufhört, sondern größer wird?
Was gibt es zu feiern, wenn man weiterhin Forderungskataloge aufstellen muss, weil die Arbeit unterfinanziert ist, die Unterbringungsmöglichkeiten unzureichend, die psychologische Hilfe für die Opfer löchrig und deren Bleiberecht wacklig?
Da gibt es nichts zu feiern. Im Gegenteil, es ist zum Heulen. Es ist zum Heulen, dass das nicht aufhört, dieses widerliche Spiel mit der Hoffnung.

Hoffnung lässt nicht zuschanden werden, schreibt Paulus. O doch!, möchte man erwidern, wenn man als Beraterin für die Opfer der Hoffnung arbeitet und täglich sieht, wie die Seelen und Körper der Frauen geschändet worden sind und die Spuren der Gewalt sie zeichnen. Ihre Hoffnung darauf, der Not entkommen zu können, selbstbestimmt zu leben, eine Arbeit zu haben, von einem Mann geliebt zu werden, eine Familie zu haben, kurz gesagt, ihre Hoffnung auf ein Leben in Würde, die Hoffnung, die jeder Mensch hat und haben muss, um überhaupt Mensch genannt zu werden, hat sie anfällig gemacht. Und sie sind in die Falle gelaufen, in die Hände von Menschenhändlern. Menschenhandel ist ein Ausfluss von Armut. Menschenhandel ist die moderne Form von Sklavenhandel. Vielleicht sollte man auch besser von Sklavinnenhandel sprechen, damit man hört, was hier passiert: Frauen werden mit Gewalt ihres Menschseins beraubt, werden wie Ware behandelt, solange an ihnen zu verdienen ist, und wie Müll, wenn sie ausgedient haben. Auf dem Tor zur Hölle steht geschrieben, so liest man in Dantes Göttlicher Komödie: „Lasst, die ihr eingeht, jede Hoffnung fahren.“ Sie, liebe Mitarbeiterinnen von Nadeschda, helfen Frauen, der Hölle zu entkommen.

Hoffnung lässt nicht zuschanden werden. Ich halte trotz allem an dem Satz fest. Paulus hat nicht billig von der Hoffnung geschrieben. Das durch den Vulkanausbruch im Jahr 79 gleichsam konservierte Pompeji zeigt uns, wie es damals in römischen Mittelmeerstädten aussah und was Paulus sah, wenn er durch die Straßen ging. Sie waren überzogen von einem Netz von unzähligen Bordellen, öffentlich oder privat – kenntlich gemacht durch das Symbol eines erigierten Penis am Türbogen und pornografischen Darstellungen. Hier wurden Frauen und Männer aus eroberten Völkern als Sexsklavinnen und -sklaven ausgebeutet. Wenn man das weiß, bekommen die Worte über die Hoffnung, die er in seinem Brief an die Gemeinde in Rom schrieb, einen ganz anderen Klang: „Wir warten sehnlich darauf, dass unsere versklavten Körper freigekauft und wir als Gotteskinder angenommen werden. Weil wir hoffen, sind wir gerettet. Was wir sehen, macht keine Hoffnung. Denn wie können wir hoffen angesichts dessen, was wir sehen? Wenn wir auf etwas hoffen, was wir noch nicht sehen können, so hilft uns widerständige Geduld, darauf zu warten.“ (Römer 8, 24-25)

Was für kühne Sätze! Sie springen über den Graben von zwei Jahrtausenden direkt in unser Ohr. Was wir sehen, macht keine Hoffnung. Wie wahr! Wir sehen versklavte Körper. Und trotzdem. Wir lassen sie uns nicht nehmen, die „Nadeschda“, die Hoffnung. Wir glauben nämlich, dass in diese versklavten Körper Gotteskinder eingesperrt sind. Wir hoffen beharrlich auf das, was wir noch nicht sehen können: Dass dieses Gotteskind zum Vorschein kommt, scheu, ängstlich, wie auch sonst, aber doch ans Licht kommt. Dass diese Frau da sich trauen wird auszusagen. Das dieser hoffnungslos zerstörte Mensch wieder glücklich wird. Dass sich Mittel und Wege auftun, dass sie bleiben darf. Dass denen, die ihr das antaten, das Handwerk gelegt wird. Es ist kein passives Hoffen und Warten. Ganz im Gegenteil, es ist ein überaus tätiges. NADESCHDA und THEODORA sind zwei Aktivposten in Sachen Hoffnung, der eine seit 25 Jahren, der andere seit 11 Jahren.

Gibt es etwas zu feiern? Ja, gewiss. Wir feiern die Hoffnung, die nicht zuschanden werden lässt. Ich gratuliere Ihnen, dass Sie ihr seit einem Vierteljahrhundert Hand und Fuß, Herz und Verstand, Gesicht und Gestalt geben und dafür die nötige Liebe und Kraft aufbringen. Ich gratuliere Ihnen zu jedem Erfolg. Von außen betrachtet, sind es bei so einer Arbeit oft sehr kleine Erfolge, aber für die Betroffenen sind sie etwas Großes. Ein Segen eben.