Dokumentation

Verabschiedung von Edelgard Spiegelberg | 17.06.2023

Birgit Reiche

Laudatio zu
Edelgard Spiegelberg
Von Pfarrerin Birgit Reiche

Leitende Pfarrerin der
Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V.

Liebe Festgäste, die von Nah und Fern zu diesem besonderen Tag angereist sind,
ich begrüße Sie an diesem strahlenden Sommertag und freue mich, dass Sie mit uns gemeinsam Abschied nehmen wollen von Edelgard Spiegelberg, die wir heute in ihren wohlverdienten Ruhestand verabschieden. Heute gilt es, diese außergewöhnliche Frau zu ehren und zu würdigen - eine Pionierin, eine engagierte Einrichtungsleiterin und die Seele des FRAUENHEIM WENGERN.

Liebe Frau Spiegelberg,
nun wird es ernst. Als wir uns die ersten Gedanken zu Ihrer Verabschiedung gemacht haben, als wir über Ihre Wünsche gesprochen haben, schien alles noch so weit weg. Weit weg wie im Traum. Aus einem Traum stammt auch das Bibelwort, das wir über die Einladung zu Ihrer Verabschiedung gestellt haben: Siehe ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst. Gen 28, 15a

Dieser Satz ist Teil eines längeren Segens. Den spricht in der Bibel Gott dem Jakob zu, als er auf dem Weg von Beerscheba Richtung Haran unterwegs war. Dort übernachtete er unter freiem Himmel und im Traum sah er eine Leiter zum Himmel, auf der die Engel herauf- und herunterstiegen und auf der er oben Gott sah.  Und Gott sprach zu ihm von vielen Nachkommen und dass er ein Segen für alle Völker sein werde. Jakob nannte diesen Ort Bet-El, Haus Gottes.

Siehe ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst.

Das FRAUENHEIM WENGERN ist nicht Bethel, aber als Edelgard Spiegelberg vor gut 35 Jahren am 01. Januar 1988 als junge Frau das Leitungsamt für diese Komplex-Einrichtung übernommen hat, lag eine große Aufgabe vor ihr. Ob sie damals schon geahnt hat, dass die Frauenhilfe, dass das FRAUENHEIM WENGERN eine so große Klebekraft haben würde, dass sie ihr und ihm bis zum Ruhestand treu bleiben würde?

Gut zwei Jahre zuvor, im November 1985 trat sie nach dem juristischen Staatsexamen ihre erste Stelle als Assistentin des damaligen Geschäftsführers, meinem Vor-Vorgänger, Pfarrer Albert Stutte an. Sie hat mir immer wieder erzählt, wie prägend diese ersten Jahre für ihre tiefe Verbundenheit zu unserem Frauenhilfeverband waren. Sie hat mit ihm gemeinsam die Verbände und Ortsgruppen besucht, sie hat die Schwesternschaft der westfälischen Frauenhilfe kennengelernt, deren Geschichte auch eng mit dem Frauenheim verbunden ist.

Weil sie in ihrem Glauben eine gemeinsame Grundlage mit den Schwestern hatte, konnte sie eine gute Ebene der Zusammenarbeit finden, auch wenn sie viele Veränderungsprozesse sicherlich auch gegen Widerstände anstoßen musste. Edelgard Spiegelberg hat ihr ganzes Berufsleben dem Dienst am Nächsten gewidmet. Ihre Tätigkeit als Einrichtungsleitung des Frauenheims Wengern ist auch ein Zeugnis ihres unerschütterlichen Engagements für diejenigen, die in schwierigen Lebenssituationen Unterstützung benötigen.

Siehe ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst.

Birgit Reiche
1988 bestand das Frauenheim Wegern aus den Gebäuden hier oben am Böllberg. Hier lebten und arbeiteten ausschließlich Frauen und begleitet und gefördert wurden Frauen, die Anspruch auf Leistungen der Jugendhilfe, der Obdachlosenhilfe, der Behindertenhilfe und der Pflege hatten. Erst einige Jahre später wurde aus dem Frauenheim eine reine Einrichtung der Eingliederungshilfe. Die Rahmenbedingungen veränderten sich in diesen mehr als drei Jahrzehnten, auf die Sie, liebe Edelgard Spiegelberg, zurückblicken rasant. Immer wieder wurden Anpassungen notwendig und Sie mussten sowohl die Mitarbeiter*innen als auch die Bewohner*innen mitnehmen.

Das Frauenheim breitete sich unter ihrer Leitung von Esborn ausgehend in den Ort Wengern aus. Immer mehr Wohnungen wurden in den letzten Jahrzehnten angemietet und es entstand ein Wohnverbund der Frauenhilfe in mehreren Ortsteilen von Wetter. Immer mehr Bewohnerinnen des Frauenheims zogen in eigene Wohnungen oder bezogen Wohngemeinschaften.

Als Einrichtungsleitung hat Edelgard Spiegelberg nicht nur den Fokus auf die individuelle Betreuung der Frauen gelegt, sondern auch auf die kontinuierliche Verbesserung der Strukturen und Programme im FRAUENHEIM WENGERN. Sie hat innovative Ansätze eingeführt, um den Frauen ganzheitliche Unterstützung anzubieten und ihre soziale Integration zu fördern. Unter ihrer Leitung ist das Frauenheim zu einem Ort geworden, an dem Frauen – und inzwischen auch Männer -  mit speziellem Unterstützungsbedarf nicht nur Schutz finden, sondern auch die Werkzeuge, um ein unabhängiges und erfülltes Leben zu führen.

In den 1990er Jahren wurde lange diskutiert, ob das Frauenheim sich auch für die Aufnahme von Männern öffnen solle; lebten und arbeiteten hier bislang doch ausschließlich Frauen. Sie liebe Frau Spiegelberg haben die Entscheidung dafür vor einigen Jahren auf Ihre entwaffnende Art einmal so formuliert: „Es geht darum, den Bewohnerinnen des Frauenheimes ein möglichst normales Leben zu ermöglichen und für viele Frauen gehören zu einem normalen Leben nun einmal Männer dazu.“

Doch bis heute begleiten wir in Wengern mehr Frauen als Männer. Zu einem wichtigen Schwerpunkt der Arbeit machte Edelgard Spiegelberg deshalb die Anti-Gewalt-Arbeit: die Stärkung der Frauen durch die Frauenbeauftragung, die Frauengruppe „Mutig und Stark“, die Zusammenarbeit mit „gesine Intervention“, den Einstieg in Täterarbeit.

Ein weiteres Herzensanliegen ist Edelgard Spiegelberg die politische Teilhabe der Menschen, die unsere Unterstützung in Anspruch nehmen. Als Juristin hat sie ein Lieblingsgesetz, das Grundgesetz, und damit die Unantastbarkeit der Würde des Menschen, die Gleichberechtigung der Menschen mit Behinderung sowie die Rechte der Frauen. Sie ist – zu Recht – besonders stolz auf den politischen Arbeitskreis, den es nun schon viele Jahre gibt und auf die hohe Wahlbeteiligung, nachdem das Wahlrecht auch für Menschen, die unter Betreuung stehen im Jahr 2019 eingeführt worden ist. Die Kirsche auf der Torte ist für sie sicherlich, dass in der Tagesstruktur im Schöntal bei den letzten Wahlen ein barrierefreies Wahlbüro eingerichtet worden ist.

Siehe ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst.

Doch ihr Einfluss reichte weit über die Grenzen des Frauenheims hinaus. Sie war eine leidenschaftliche Verfechterin der Rechte und der Würde von Frauen und Menschen mit Beeinträchtigung und setzte sich aktiv für die Förderung der Gleichstellung ein. Regional, landes- und bundesweit hat sie in Gremien das Frauenheim nach außen vertreten. Ihre Arbeit hat zahlreichen Menschen geholfen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen und die Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert sind, zu bewältigen. Edelgard Spiegelberg war häufig genug eine Stimme der Vernunft und eine Kämpferin für diejenigen, die oft keine Stimme haben.

Auch die anderen Arbeitsbereiche der Frauenhilfe, insbesondere die Beratungsstellen für Betroffene des Menschenhandels und Prostituierte sowie das Frauenhaus, haben Sie, Edelgard Spiegelberg, unterstützt, wo es Ihnen möglich war.

Liebe Edelgard Spiegelberg, heute ist der Tag, an dem wir Ihnen für all Ihre Taten, Ihre Inspiration und Ihren unermüdlichen Einsatz danken möchten. Sie haben das Leben vieler Menschen berührt und einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Im Namen aller, die von Ihrer Arbeit und Ihrem Wirken profitiert haben, wünschen wir Ihnen einen wohlverdienten Ruhestand. Mögen die kommenden Jahre voller Glück, Gesundheit und Zufriedenheit sein. Sie haben sich diese Zeit der Ruhe und des Genießens redlich verdient. Und wenn Sie einmal Halsschmerzen haben, haben Sie ja von mir einen Tipp bekommen, was sicherlich dagegen helfen wird…

Siehe ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst. Nun ziehen Sie in den Ruhestand. Der Segen geht aber noch weiter: Siehe ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst, und will dich wieder herbringen in dies Land.

Wir hoffen, dass Sie sich nach einer angemessenen Ruhepause auch einladen lassen zu Ehemaligentreffen und Festen und dass sie die Geschicke des Frauenheims mit ihren Gebeten und guten Gedanken begleiten.

Danke, Edelgard Spiegelberg, für alles, was Sie getan haben.
Herzlichen Glückwunsch und alles Gute!