Grußwort von Lore Wörmann (Herford)
Mitglied des Begleitgremiums und der Prozessbegleitgruppe Nadeschda

Liebe Mitarbeiterinnen von Nadeschda,

15 Jahre sind eine lange Zeit.

Wir Frauen vom Begleitgremium und der Prozessbegleitgruppe haben mit Euch manche Veränderung erlebt. Am Anfang wurde Euch und dem Thema Menschenhandel, der ohne Prostitution und illegale Geschäfte nicht zu denken ist, viel Misstrauen entgegengebracht -gerade in unserer Kirche, die davor warnte, sich auf dieses kriminelle Terrain einzulassen und dabei ihr Unbehagen spüren ließ, sich diesem Thema zu nähern und die Arbeitsstelle lieber weltlichen Trägern überlassen wollte.
Längst gehört ihr zu den Vorzeigeprojekten unserer Landeskirche und die Prozessbegleitgruppe hat eine Auszeichnung erhalten.

Wir haben Eure Umzüge miterlebt: vom Kreiskirchenamt, das einfach einen Besprechungsraum räumen musste, weil Eure Arbeit anfing... hin zur Etage auf der gegenüberliegenden Straßenseite, wo es noch möglich war, ein ganzes Zimmer mit Kleidung für Eure Klientinnen bereit zu halten... und dann zur jetzigen Etage in der Bielefelder Straße, in der alle Räume und Ecken mit Schreibtischen besetzt sind und in Stosszeiten die Kartons mit Säuglingskleidung, Maxi cosis für die Kinder Eurer Klientinnen sich im Treppenhaus stapeln...

Wir haben erlebt und erfahren, wie sich die Prozesse verändert haben. In den ersten Jahren fanden sie an Amtsgerichten in Herford oder Bad Oeynhausen statt. In den letzten Jahren werden sie meist an Landgerichten in Dortmund oder Hamm verhandelt. Die Ermittlungen dauern länger, weil das Netz der Täter größer und internationaler geworden ist. Waren zu Beginn der Prozesse Richterinnen und Richter den Klientinnen gegenüber skeptisch bis abwertend und ließen es zu, dass die Verteidiger der Täter breiten Raum einnehmen konnten, so hat sich dies Bild grundlegend geändert: Richterinnen und Richter und die Staatsanwaltschaften haben ein eindeutiges Interesse.

Doch nun zu Euch Mitarbeiterinnen und zu uns Frauen von der Prozessbegleitgruppe.
Gemeinsam haben wir, dass wir älter geworden sind.
15 Jahre sind ein wesentlicher Abschnitt in einem Leben. Fast alle Frauen sind schon lange dabei und das heißt, dass Menschenhandel zu einem Thema in ihrem Leben geworden ist. Aber eben nicht so, als wenn man sich ein Thema erarbeitet, sondern wir sind durch das Erleben in Eure Arbeit und das Leben der Frauen, die in den Menschenhandel geraten sind, hineingewachsen.
Ich möchte es, vielleicht etwas anmaßend, so formulieren: Vielleicht sind wir diejenigen, die Eurer Arbeit am nächsten stehen.

Wir erleben nicht den mühsamen Weg, den ihr mit den Frauen geht, bis sie wieder nach Hause fahren oder sie endlich bei einer Gerichtsverhandlung aussagen können.
Aber wir erleben in der Gerichtsverhandlung Eure Klientin, die bereit ist, ihr Leben aufzublättern, um als Zeugin dazu beizutragen, einen oder mehrere Täter zu überführen. Wir erfahren ihren Lebenslauf, viele entwürdigende Erlebnisse und wir spüren die Angst dieser Frau auszusagen, weil ihr oder ihrer Familie Repressionen drohen.

Wir erleben die dreisten Täter, man kann es spüren, wie sie lügen...
Wir erleben die Verteidiger der Täter, die versuchen, die Zeugin zu verunsichern und sie in Fallen zu locken. Und wir sitzen da und wünschen, dass Olga oder Irina durchhält, dass sie nicht zusammenbricht, dass sie sich nicht treffen lässt von den Blicken ihrer Täter, die wenige Zentimeter von ihr entfernt sitzen.

Wir hoffen auf ein engagiertes Plädoyer der Staatsanwaltschaft und einen gerechten Richterspruch.
Es sind nur drei manchmal mehr Stunden, in denen wir ein Menschenleben miterleben, aber diese Erlebnisse bleiben für immer. Manchmal dauert es Tage, bis wir die Wut abgebaut haben, über dass was wir an scheinbar Unmöglichem miterlebt haben.

Umso mehr bewundern wir, wie ihr eure tägliche Arbeit macht - die Prozessbegleitgruppe wie auch das Begleitgremium.
Wir erleben, dass ihr immer mit Respekt von Euren Klientinnen sprecht.
Wir wissen, dass ihr oft mit Terminen zugedeckt seid und die Vorgänge kompliziert sind und ihr hartnäckig am Ball bleiben müsst.
Aber wir haben Euch noch nie missmutig erlebt. Immer vermittelt ihr uns den Eindruck, dass ihr noch Energie abgeben könnt und dass die Arbeit Euch nicht runterzieht, so dass ihr ein gutes Leben mit Familie, Freundinnen und Freunden und Hund…leben könnt.
Wir danken Euch, dass Ihr uns an Eurer Arbeit teilhaben lasst. Ihr hegt und pflegt uns, habt Zeit für uns und empfangt uns mit einem guten Frühstück, wenn wir eine Sitzung haben.

Bis jetzt habe ich die Trägerin der Beratungsstelle nicht erwähnt: die Westfälische Frauenhilfe.
Ich glaube, dass vor 15 Jahren viele Institutionen überrascht waren, als der Vorstand der Frauenhilfe in einem zeitlich sehr kurzen Entscheidungsprozess die Verantwortung und damit die Trägerschaft für ein damals ganz neues Thema übernommen hat. Aber so ist sie die Frauenhilfe: eng an der Seite von Frauen, konkret, mutig, mit einem klaren Blick in die Zukunft.
Dass damit viel Mühe und Herzblut verbunden ist, wie diese Arbeit finanziert werden kann, wie sie weiterentwickelt wird, wo neue Impulse gesetzt werden müssen, wem sage ich das.
Nicht unerwähnt lassen möchte ich das Engagement der Basis, der vielen Frauenhilfsgruppen, die die Arbeit von Nadeschda mittragen.

Zum Schluss möchte ich Euch allen, Mitarbeiterinnen und Trägerinnen, sagen, dass ich und sicher auch die anderen Frauen sich jedes mal auf die Begegnung mit Euch freuen.

Wir wünschen Euch, dass weiter Gottes Segen auf Eurer Arbeit liegt und dass ihr alle Euch getragen und behütet wisst.

Dies sollte ein Grußwort sein: ich grüße Euch mit Hochachtung und herzlicher Verbundenheit.