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Überblick über die Situation des Menschenhandels in Deutschland
und die internationale polizeiliche Arbeit
Heidi Rall, Bundeskriminalamt

Vorstellung der Person
Ich bin seit 34 Jahren Vollzugsbeamtin im Bundeskriminalamt, seit zwölf Jahren im Sachgebiet "Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung" und inzwischen Leiterin des Sachgebietes.
Ich werde ihnen kurz einen Überblick über die Lage in Deutschland aus polizeilicher Sicht geben und dann Ausführungen zur internationalen polizeilichen Zusammenarbeit aus deutscher Sicht machen.

Kurzer Lageüberblick Menschenhandel
zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung in Deutschland

Das BKA erstellt seit 1994 jährlich ein Bundeslagebild Menschenhandel. Es werden alle im Berichtszeitraum durch die Länderbehörden und das BKA abgeschlossenen Ermittlungsverfahren erhoben und bewertet.

Im Jahr 2007 wurden insgesamt 454 Ermittlungsverfahren abgeschlossen.
Das bedeutet eine Steigerung gegenüber den Vergleichszahlen des Vorjahres um ca. 29%. Im Zuge der Ermittlungsverfahren wegen Menschenhandels zum Zweck der sexuellen Ausbeutung wurden u.a. noch folgende Delikte als Begleit- und Logistikstraftaten zum Menschenhandel polizeilich ermittelt: Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, Gewaltdelikte, Schleusungsdelikte, Verstöße gg. das Betäubungsmittelgesetz etc.

Es wurden 714 Tatverdächtige registriert, ca. 80% davon Männer. Knapp die Hälfte der Tatverdächtigen hat die deutsche Staatsangehörigkeit und rund 10% der deutschen Staatsangehörigen hatten eine abweichende Geburtsstaatsangehörigkeit, wie z.B. Polen, Kasachstan, Russland und die Türkei.

Entsprechend der Entwicklung in den letzten Jahren stammte auch in 2007 der Großteil der insgesamt 689 Opfer aus dem europäischen Raum. Die Zahl der deutschen Opfer, die mit 27% erneut den größten Anteil hatten, stieg leicht an.

Auffällige Steigerungen wiesen bulgarische, nigerianische und ungarische Opfer auf. Welche Umstände für die Entwicklung bei den bulgarischen Opfern - auch bei den bulgarischen Tatverdächtigen war ein leichter Anstieg festzustellen - ursächlich sind, kann nicht mit Sicherheit bestimmt werden.

Bereits seit Jahren ist festzustellen, dass hauptsächlich junge nigerianische Frauen von Nigeria nach Deutschland und in andere europäische Staaten organisiert eingeschleust werden. Die zu schleusenden Personen werden in Nigeria mit falschen Pässen ausgestattet und durch Sprachtests und Rollenspiele auf die Schleusung vorbereitet. Nach der Einschleusung werden die Frauen den Auftraggebern, in der Regel den als „Madams“ bezeichneten nigerianischen Zuhälterinnen, übergeben.
Die Zuhälterinnen sind in der Regel vor Jahren selbst nach Deutschland eingeschleust und der Prostitution zugeführt worden. Nach der Abzahlung der Schuldbeträge (z.B. Schleusungskosten) übernehmen sie selbst eine Zuhälterrolle. Die Opfer, die in Europa meist als Prostituierte arbeiten, müssen den „Madams“ hohe Geldbeträge als Preis für die Schleusung zurückzahlen. In vielen Fällen müssen die Frauen im Rahmen eines Voodoo-Rituals schwören, dass sie den Anweisungen der „Madams“ Folge leisten und den genannten Betrag zahlen. Auf diese Weise werden sie in eine psychische Zwangslage gebracht.

Die 2007 festgestellten 31 ungarischen Opfer sind auf einzelne Ermittlungsverfahren zurückzuführen. Eine zunehmende und bleibende Bedeutung Ungarns für den Menschenhandel kann daraus noch nicht abgeleitet werden.

Die Zahl der tschechischen Menschenhandelsopfer ist stark zurückgegangen.
Die vergleichsweise hohe Anzahl tschechischer Opfer im Vorjahr ging auf zwei Großverfahren zurück.

Eine der Hauptschwierigkeiten in der Ermittlungsführung ist die Identifizierung von Opfern, denen in Bezug auf die Einleitung von Ermittlungsverfahren und dem Führen von Personenbeweise eine zentrale Bedeutung zukommt. Viele Frauen fühlen sich aufgrund ihrer Sozialisation nicht als Opfer, haben Angst vor ihren Zuhältern oder schämen sich und wollen vermeiden, dass ihre Angehörigen erfahren, dass sie sich prostituiert haben. Um Opfer identifizieren zu können, ist der Kontakt mit ihnen zwingend notwendig.

Die Ausübung der Prostitution ist in Deutschland grundsätzlich erlaubt und im Prostitutionsgesetz geregelt. Seit der EU-Osterweiterung haben immer mehr Menschen die Möglichkeit eines legalen Aufenthaltes in Deutschland. Prostituierte aus den EU-Staaten können legal als selbständige Dienstleisterinnen arbeiten. Dies erschwert der Polizei das Erkennen potenzieller Opfern von Menschenhandel. Was in Deutschland fehlt ist ein Schlüssel, der den Behörden Zugang zu den Orten verschafft, an denen Prostitution ausgeübt wird und eine bundeseinheitliche „Regelung der Prostitution - eine Erlaubnispflicht für Prostitutionsstätten“. Derzeit sind vor allem bulgarische und rumänische Prostituierte als sogenannte selbständige Dienstleisterinnen im Milieu tätig. Die Frauen haben teilweise ein sehr niedriges Bildungsniveau, arbeiten zu Dumpingpreisen und ohne Kondome. Aufgrund ihrer Sozialisation empfinden sie sich selbst nicht als Opfer. Das ist aktuell in verschiedenen Städten in Deutschland ein Problem.

Zurück zum Lagebild:
12% der 689 festgestellten Opfer des Menschenhandels zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung waren minderjährig; knapp die Hälfte davon waren Deutsche. Sieben als Opfer registrierte Personen (1%) waren zum Tatzeitpunkt unter 14 Jahre alt, darunter vier mit deutscher und je eine mit polnischer, albanischer und türkischer Staatsangehörigkeit.
Der Schwerpunkt lag mit 392 Opfern (57%) im Alterssegment der unter 21-Jährigen, was eine geringfügige Steigerung im Vergleich zum Jahr 2006 bedeutet. Auch hier haben deutsche, gefolgt von rumänischen und polnischen Staatsangehörigen einen vergleichsweise großen Anteil. Ursächlich für den signifikanten Anteil der unter 21-jährigen ist mit hoher Wahrscheinlichkeit der Umstand, dass diese Altersgruppe aufgrund der Strafnormierung des § 232 I Satz 2 StGB deutlich einfacher als Opfer von Menschenhandel identifiziert werden kann. Die Zahlen belegen indes nicht zwingend, dass immer mehr jüngere Frauen Opfer von Menschenhandel werden.

Anwerbung der Opfer
Etwas mehr als ein Drittel der 2007 ermittelten Menschenhandelsopfer gab an, mit der Prostitutionsausübung einverstanden gewesen zu sein. 25% wurden über den tatsächlichen Grund der Einreise getäuscht, 16% unter Gewaltanwendung zur Prostitution gezwungen und 15% professionell z.B. durch angebliche Model- und Künstleragenturen oder über Inserate in Zeitungen angeworben.

Diese Erkenntnisse decken sich im Wesentlichen mit denen des Vorjahres.
Der Anteil derer, die ihr Einverständnis zur Prostitutionsausübung gegeben haben, lag damit erneut relativ hoch. Erfahrungsgemäß wurden Frauen, die sich mit der Prostitutionsausübung einverstanden erklärten, nicht selten über die tatsächlichen Umstände getäuscht. Vielen Opfern wurden hohe Verdienstmöglichkeiten und damit verbunden bessere Lebensbedingungen in Aussicht gestellt. Verschwiegen wurde dabei häufig die Tatsache, dass zunächst ein Schuldenbetrag für z.B. Pass- und Visabeschaffung, Reise-, Verpflegungs- und Unterbringungskosten abzuarbeiten ist, wodurch gezielt ein Abhängigkeitsverhältnis zu den Tätern geschaffen wird. Den Opfern bleibt keine andere Möglichkeit, als sich auf die Bedingungen einzulassen und der Prostitution nachzugehen.

Von der Gesamtzahl der 689 als Opfer des Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung registrierten Personen wurden 143 (21%) im Laufe der Verfahren von Fachberatungsstellen betreut, während dies in 509 Fällen (74%) nicht der Fall war.
Bei 37 Opfern (5%) ist dieses nicht bekannt.

Internationale polizeiliche Arbeit

Die Bekämpfung des Menschenhandels erfordert ein koordiniertes, strukturiertes und konsequentes Vorgehen aller beteiligten Stellen, da es sich um schwierige und zeitintensive Ermittlungen handelt. Die Straftaten können oft nur durch den Personenbeweis, d.h. die Aussage der Opferzeugen/innen zur Anklage gebracht werden. Daher kommt diesen Aussagen ein hoher Stellenwert zu. Die betroffenen Opfer brauchen Schutz und eine professionelle Betreuung.

Menschenhandel ist fast immer ein staatenübergreifendes Delikt, das nur dann nachhaltig bekämpft werden kann, wenn Ermittlungen in allen beteiligten Staaten geführt werden. Die Zusammenarbeit mit anderen Staaten ist gesetzlich geregelt.
Die polizeiliche Kooperation läuft in der Regel über:

Interpol
Interpol: IKPO "Internationale Kriminalpolizeiliche Organisation" ist der älteste multilaterale Kooperationsrahmen für grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit. Derzeit sind 186 Mitgliedstaaten zusammengeschlossen.

Europol
Europol, als polizeilicher Kooperationsrahmen innerhalb der Europäischen Union, befasst sich mit Informationsaustausch und kriminalpolizeilicher Auswertung.
Europol hat ein Mandat zur Bekämpfung des Menschenhandels. Voraussetzung des Tätigwerdens von Europol ist, dass zwei oder mehrere Mitgliedsländer betroffen sind.

Bei besonders bedeutenden oder eiligen Sachverhalten besteht die Möglichkeit, den Informationsaustausch über die Verbindungsbeamten des BKA zu forcieren. Inzwischen sind in allen wesentlichen Herkunftsstaaten von Opfern und Tätern des Menschenhandels angesiedelt.

Zuständig für den internationalen polizeilichen Informationsaustausch ist das Bundeskriminalamt. Die Polizei in der Bundesrepublik Deutschland ist föderalistisch aufgebaut, d.h. es gibt 16 Länderpolizeien. Darüber hinaus bestehen die Polizeien des Bundes und die Zollbehörden. Jedes Land hat eine eigene Zentralstelle der Kriminalpolizei, das Landeskriminalamt. Die Verfolgung sowie die Verhütung von Straftaten und die Aufgabe der sonstigen Gefahrenabwehr ist in erster Linie Sache der Länder. So werden in der Regel auch hier die Ermittlungsverfahren wegen Verdachts des Menschenhandels geführt.

Aufgrund der Erhebungen im Lagebild stammt die überwiegende Anzahl der Opfer des Menschenhandels aus dem europäischen Raum. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit einer engen Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden dieser Staaten. Da jedoch häufig ein Ringtausch mit den Frauen stattfindet, d.h. sie werden z.B. von Deutschland in die Niederlande, Spanien oder andere Staaten verbracht, muss nicht nur die Zusammenarbeit mit den Herkunftsstaaten der Opfer, sondern auch mit den anderen europäischen (Ziel)-Ländern intensiv erfolgen.
Aufgrund der Internationalität dieses Deliktes ist eine gute Kooperation zwischen den Strafverfolgungsbehörden notwendig.

Die Ermittlungen im Deliktsbereich Menschenhandel gestalten sich auch deshalb schwierig, weil die Aufklärung des Deliktes nicht nur von den Aktivitäten der Polizei geprägt ist, sondern es sich auch um eine Straftat handelt, deren Nachweis sehr stark vom sogenannten Personenbeweis abhängig ist. Das bedeutet, dass der Aussage der betroffenen Frauen eine entscheidende Bedeutung zukommt. So können die Menschenhändler oft nur durch die Aussage der Frauen verurteilt werden.

Dies wird jedoch dadurch erschwert, dass die Frauen sich häufig aufgrund ihrer Sozialisation selbst nicht als Opfer empfinden. Durch ihre Aussagen begeben sich die Frauen sehr häufig in Gefahr und brauchen den Schutz der Behörden.
Bei Menschenhandel ist grundsätzlich eine deliktsimmanente Gefährdung der Opferzeug/-innen zu unterstellen. Das Bundeskriminalamt hat die Bekämpfung des Menschenhandels priorisiert. Das spiegelt sich nicht nur in operativen Aktivitäten wie eigenen Ermittlungsverfahren sondern auch auf dem Gebiet der Forschung bzw. grundsätzlicher Arbeiten zur nachhaltigen Bekämpfung des Menschenhandels wider.

So wird in Kürze ein sogenannter Traumaleitfaden veröffentlicht werden, der in Kooperation mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend von Fachleuten erarbeitet wurde. Er soll Personen, die mit Opfern von Menschenhandel beruflich befasst sind, Informationen zu Traumata und den Auswirkungen z.B. auf die Aussagebereitschaft von Opferzeugen geben und so zu einem professionellen Umgang mit den Opfern beitragen.

Darüber hinaus werden beim BKA selbst noch verschiedene Forschungen zur Optimierung der Bekämpfung des Menschenhandels durchgeführt. Das Bundeskriminalamt arbeitet seit mehr als zehn Jahren sehr intensiv mit Fachberatungsstellen zusammen. Dies basiert auf der Überzeugung, dass nur gut betreute Opfer auch gute Zeuginnen sind und nicht nur aus humanitären Gründen sondern auch zur Sicherung des Strafverfahrens eine gute Opferzeugenbetreuung unabdingbar notwendig ist. Auch im Bereich der Fachberatungsstelle ist eine internationale Kooperation unerlässlich, da auch den zurückgekehrten Opfern die Integration erleichtert werden muss.

Lassen sie mich zum Schluss noch einige wesentliche polizeiliche Kernforderungen zur optimalen Bekämpfung des Menschenhandels thematisieren:

  • Die Einrichtung von Spezialdienststellen in Milieunähe und Einsatz spezialisierter Beamter auch in ländlicher Region ist ein wesentlicher Aspekt zur qualifizierten Strafverfolgung. Die stärkere Präsenz und Kontrolle des Milieus durch sog. polizeiliche Milieuaufklärer verbessert die polizeiliche Erkenntnislage und erhöht die Anzeige- und Kooperationsbereitschaft.
  • Die Polizei benötigt zur Erkennung von Opfern verbesserten Zugang in das Milieu, rechtlich gleichbedeutend mit bundeseinheitlichen Zutritts- und Kontrollrechten.
  • Die Einführung der Strafbarkeit des Freiers, der die Dienste von Opfern des Menschenhandels in Anspruch nimmt, ist in engem Zusammenhang mit der Erlaubnispflicht von Prostitutionsstätten und Prostitutionsdienstleistungen umzusetzen.
  • Die dauerhafte Einrichtung von lokalen, regionalen und überregionalen behördenübergreifenden Kooperationsformen unter Einbeziehung der Fachberatungsstellen im Sinne von "Runden Tischen" ist ein Schlüsselelement zur ganzheitlichen Bekämpfung des Menschenhandels. Ebenso ein regelmäßiger Informationsaustausch zwischen den Kooperationen über Bundesländergrenzen hinweg.
  • Entgegen der Festlegung der 79. Gesundheitsministerkonferenz der Länder sollte die Pflichtuntersuchung von Prostituierten durch die Gesundheitsämter erneut eingeführt werden. Dies hatte sich seinerzeit für die Kontaktaufnahme und das Erkennen von Menschenhandelsopfern bewährt.

 

Landesverband der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V. Feldmühlenweg 19 59494 Soest
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