20 Jahre Frauenhaus Soest - „In der Bewegung bleiben“

„Nicht mit Macht und nicht mit Gewalt, sondern durch meine Geistkraft (soll es geschehen), spricht Gott.“ (Sacharja 4,6)

Seit 1731 gibt es die sogenannten Losungen der Herrnhuter Gemeinschaft.
Für jeden Tag, für jede Woche, wird ein Bibelvers ausgelost. Für die Wochentage aus 1800 alttestamentlichen Bibelversen. Viele Christinnen und Christen leben mit diesen Losungen. Mal sind sie ärgerlich, mal nichtssagend, mal sind sie uns eine Hilfe, mal habe ich sie - kaum gelesen - wieder vergessen. Für diese Woche nach dem Pfingstfest, für die Woche unseres Frauenhausjubiläums nun dieses Wort: „Nicht mit Macht und Gewalt, sondern durch meine Geistkraft (soll es geschehen) spricht Gott.“ Ein Satz aus dem Buch eines Propheten, des Propheten Sacharja.

Kaum jemand unter Ihnen wird noch nicht mit ihm in Kontakt gewesen sein.
Die Weihnachtslieder, die von der Tochter Zion singen, gehen auf seine Texte, auf seine Visionen zurück. Er schreibt, spricht, predigt in einer Zeit, wie er sie selbst nennt „armseliger Anfänge“ nach der Zerstörung Jerusalems und des Tempels. Sacharja sieht in den armseligen Anfängen eine Möglichkeit der Rückkehr zu Gott.
Und: Auch Gott wird zu seinem Volk umkehren mit der Verheißung sicheren, gerechten und erfüllten Lebens.

Sacharja spricht die ganze Stadt Jerusalem als Frau an - als Frau Zion. Er spricht sie in ihren verschiedenen Rollen an: als Tochter, Ehefrau, Mutter, Witwe und anderen Rollen. Alle Erfahrungen weiblichen Lebens spiegeln sich und bieten Identifikationsmöglichkeiten - wenngleich mit der Einschränkung, dass der Text aus einer im Grundsatz männlich-patriarchalen Perspektive geschrieben ist.

Über allem aber steht die Hoffnung auf das Eingreifen Gottes für die Unterdrückten.
Und diese Hoffnung - und das macht die Frauenbilder so stark - bezieht sich nicht nur auf die weltpolitischen und militärischen Ereignisse, sondern auch auf das persönliche, das private Leben der Menschen, der Frauen, auf den Alltag eben.

Das Politische ist privat und umgekehrt. Gottes Segen zeigt sich in einem Leben ohne Bedrohung durch Gewalt oder Hunger. Die jubelnde Tochter Zion begrüßt Gott als König, der diesen Segen im Land und in der ganzen Welt garantiert.

„Nicht mit Macht und nicht mit Gewalt, sondern durch meine Geistkraft …“
Die Bibel gibt ein ungeschöntes Bild zahlloser Gewalterfahrungen - auch innerhalb von Familien - und oft von Männern gegen Frauen.

Und sie setzt - wenn man es so nennen will - unter anderem auf eine Strategie: Nämlich: Mit der Überwindbarkeit der Gewalt zu rechnen. Nicht aufzuhören, mit der Überwindbarkeit der Gewalt zu rechnen. Dazu entwirft die Bibel Hoffnungsbilder, die ermutigen, die stark machen, Gewalt nicht als unausweichliches Schicksal, als unausrottbar oder gar als Teil einer gottgewollten Ordnung zu verstehen. Gott will Recht und Gerechtigkeit, Gott wird den Menschen ein neues Gesetz, eine gute Lebensordnung in ihre Herzen legen. Gott will ein Reich des Friedens und der Gerechtigkeit, der Gewaltlosigkeit und des guten Lebens, eines Lebens in Fülle für alle Menschen - für Frauen, Männer und Kinder. Vergebung und Versöhnung und Ent-schuldung sollen sein.

In dieser Bewegung wollen wir bleiben; in der Bewegung, deren Motor die größtmögliche aller Visionen ist, die Vision vom Reich Gottes, vom Reich Gottes der Gerechtigkeit, der Gewaltlosigkeit und des Friedens. In der Bewegung wollen wir bleiben, ja genau, denn wir glauben: eine andere Welt ist möglich. Und immer und immer wieder tauchen über die Jahrhunderte Frauen in dieser Bewegung auf, die statt mit Gewalt vorzugehen, das Leben weiterschmuggeln. Denn „Nicht mit Macht und nicht mit Gewalt, sondern durch meine Geistkraft soll es geschehen.“ Bleiben Sie mit uns in der Bewegung. In der Bewegung, die mit der Überwindbarkeit der Gewalt rechnet.
In der Bewegung, die auf die größtmögliche aller Visionen setzt, auf die Vision des Reiches Gottes; in der Bewegung, die eine andere Welt für möglich hält.

Sie sind uns alle herzlich willkommen: aus der Stadt und dem Kreis Soest, aus den vielen Einrichtungen und Institutionen, die mit dem Frauenhaus kooperieren, aus dem Vorstand und den Einrichtungen der Evangelischen Frauenhilfe. Wir freuen uns auf die Grüße und Glückwünsche, die einige von Ihnen für uns mitgebracht haben.
Wir sind gespannt auf den Vortrag von Dr. Antje Schrupp. Bereits gehört haben wir ANA & ANDA, die unser Festprogramm musikalisch begleiten. Sie brechen das Schweigen über Gewalt und Menschenrechtsverletzungen musikalisch. Sie setzen sich mit Kultur gegen Gewalt ein. Neue Kunstlieder nennen sie die musikalische Form, die sie dafür gefunden haben und die sie an Klavier, Akkordeon und Perkussion umsetzen.

Schön, dass sie alle da sind.

Angelika Weigt-Blätgen
Leitende Pfarrerin