Liebe Gäste,
herzlich willkommen zu unserer Festveranstaltung anlässlich des 20jährigen Bestehens des Frauenhauses. Wir freuen uns, dass so viele unserer Einladung gefolgt sind und wünschen uns einen gelungenen Nachmittag.

„In der Bewegung bleiben“ so lautet unser Motto der letzten 20 Jahre, wahrscheinlich auch der nächsten 20 Jahre. Bewegung ist ja etwas sehr Dynamisches und dies wurde von uns immer angestrebt. Eröffnet haben wir 1990 als eines der letzten Häuser, die von der Landesregierung gefördert wurden. Für die Ev. Frauenhilfe war es keine Frage, hier im Zuge ihrer langjährigen Anti-Gewalt-Arbeit die Trägerschaft zu übernehmen.

Auf Ihrer Einladungskarte sahen Sie Motive aus der “streetart“. Die Straßenkunst ist eine Form der zeitgenössischen Kunst im öffentlichen Raum. Die meisten der Werke sind illegal angebracht, so dass es häufig ein Anliegen der Künstler ist anonym zu bleiben.
Die Motivation liegt für viele im Spaß an der Sache und der Möglichkeit, das eigene Umfeld auf anarchistische und kreative Weise visuell mitzugestalten.

Warum haben wir diese Form ausgewählt, wo liegt der Zusammenhang mit unserem Motto „In der Bewegung bleiben“ und was hat das alles mit dem Frauenhaus und seiner Arbeit zu tun?

In kurzen Beiträgen werden nun die Mitarbeiterinnen des Frauenhauses versuchen, an Hand der einzelnen Arbeitsbereiche die entsprechenden Zusammenhänge herzustellen: Was wollten wir, was haben wir erreicht, was wünschen wir uns.

Ich beginne, mit einem kurzen Überblick über unsere Geschichte.
„In der Bewegung bleiben“ damit meinen wir nicht unbedingt unsere jährlichen Frauenläufe oder unsere Maßnahmen fit und schön zu bleiben. Wir sprechen von der zweiten deutschen Frauenbewegung Mitte der 70er Jahre, in der unsere Ursprünge, die Wurzeln der Frauenhausarbeit liegen.

Vor 40 Jahren wurde die alltägliche Gewalt gegen Frauen von allen Seiten beschwiegen, verleugnet, bagatellisiert und zum Einzelfall erklärt, wobei den Opfern immer auch ein Selbstverschulden unterstellt wurde. Die Frauenbewegung machte durch den Slogan „Das Private ist Politisch“ deutlich, dass die persönlichen Probleme der Frauen gesellschaftlich bedingt sind. Und damit wurde eines der größten Tabus, nämlich das der unantastbaren Familie, gebrochen.

Die neu gegründeten Projekte hatten mit ihren Hilfeangeboten keineswegs eine Ergänzung zum sozialen System im Sinn, sondern verstanden sich als eine praktisch gewordene, prinzipielle Kritik an den Institutionen unserer Gesellschaft, die das Ausmaß strukturell verankerter Gewalt gegen Frauen und Kinder weitestgehend ignorierten oder verleugneten. Das Ziel der Frauenhausbewegung war und ist nicht nur, die Gesellschaft mit einem Netz von Frauenhäusern zu überziehen, sondern die Beendigung von Gewalt an Frauen und Kindern, in der physische, psychische und sexuelle Verfügungsmacht über Frauen und Kinder nicht länger Teil unserer Geschlechterkultur ist. Parallel zu individuellen Hilfsangebote für betroffene Frauen mit ihren Kinder verstehen wir uns Teil dieser politischen Bewegung, obwohl wir mit unseren 20 Jahren noch ein relativ junger Teil sind.

Frauenarbeit
20 Jahre Frauenhausarbeit in Soest: einige Visionen haben wir loslassen müssen oder wollen. Unser Blick ist auf Gegenwart und Zukunft gerichtet in der Gewissheit von Gewalt betroffenen Frauen mit ihren Kindern individuell erarbeitete Perspektiven eröffnen zu können.

Vorweg Gedanken von Mascha Kaleko:

Tekh it ich-sie, sagen sie dir.
Noch dazu auf englisch.
„Nimm’s auf die leichte Schulter!“
Doch, du hast zwei.
Nimm’s auf die leichte.
Ich folge diesem populären humanitären Imperativ.
Und wurde schief.
Weil es die andere Schulter auch noch gibt.
Man muss sich also leider doch bequemen,
es manchmal auf die schwere zu nehmen.

„Wissen Sie was, Frau Brunnberg“, so werde ich häufig gefragt, “ warum gehen die Frauen nicht einfach,? wenn so etwas mir passieren würde, dann wäre ich weg, ganz schnell.“

In den 20 Jahren unseres Bestehens haben über 1500 Frauen bei uns gewohnt, die gleiche Anzahl von Hilfesuchenden hat unsere Ambulante Beratung in Anspruch genommen. Bei keiner Frau habe ich eine einfache Trennung erlebt.

Begonnen habe ich vor 20 Jahren meine Berufstätigkeit in der Mädchenarbeit.
Alle Mädchen, die zu uns kamen, waren verletzt und traumatisiert, aufgewachsen in einer gewalttätigen Familie, missbraucht und gedemütigt. Im Sog der Frauenbewegung war parteiliche und emanzipatorische Arbeit mit den Mädchen die Grundlage für mein pädagogisches Handeln. Trotz massiver Gewalterlebnisse war für keines der Mädchen die Trennung einfach.

Wie die junge Frau auf dem Mauerbild suchten die Mädchen und auch ich mühsam nach Wegen aus dem Leid und der Trauer, suchten wir nach Ansätzen hin zu einem „guten Leben“.

Vor 10 Jahren begann ich meine Arbeit im Frauenhaus. Alle Frauen, die zu uns kommen, sind verletzt, traumatisiert und gedemütigt. Ausgehend von der Bewegung arbeiten wir weiterhin parteilich und emanzipatorisch. Trotzdem können viele Frauen die Trennung nicht einfach vollziehen: weil es für sie nicht einfach ist.

Die Trennungszeit ist für misshandelte Frauen eine sehr gefährliche Zeit, viele Gewaltdelikte passieren genau dann, wenn die Frauen gehen wollen. Die Angst vor weiterer massiverer Gewalt, die nicht nur gegen die Frau selbst gerichtet ist, sondern auch gegen ihre Kinder oder nahen Verwandten, ist extrem hoch. Der soziale Abstieg kann die Frau hindern, zu gehen. Der Verlust des vertrauten Umfeldes, gerade auch für die Kinder, kann die Frau zum Bleiben verleiten. Ökonomische Abhängigkeiten und mangelndes Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten und Stärken tragen dazu bei, bei dem Gewalttäter zu bleiben. Letztendlich sind auch gesellschaftliche Moralvorstellungen und Glaubenssätze nicht unerheblich für die Entscheidungsfindung. Und wenn es dann noch an vorurteilsfreier Unterstützung von außen fehlt, ist nichts mehr, gar nichts mehr einfach. Auch in dieser Situation bedarf es großer Anstrengung oder hockend verharrend, um nächste Schritte gehen zu können.

Die Erwartungshaltung an Frauen in Gewaltbeziehungen ist extrem hoch, sie selbst, in einer Krisensituation soll verändern. Wertende Blicke sind auf sie gerichtet, stigmatisierend: Na, so schlimm kann es ja wohl nicht sein, sonst hätte sie doch schon etwas unternommen. Natürlich unterstützen wir die Eigenanteile und -initiativen, trotzdem plädiere ich dafür den Blickwinkel zu erweitern: was können wir dazu beitragen, den betroffenen Frauen und Mädchen, Sicherheiten und Schutz zu gewährleisten, um ein gewaltfreies Leben ganz einfach zu gestalten.

Hauswirtschaft
Marlene Kiefer, mein Name, ich arbeite seit 20 Jahren im Frauenhaus, in wechselnden Arbeitsbereichen von der Kinderbetreuung bis zur Frau für alle Fälle. Frauenhausarbeit bedeutet für mich durch Beziehungsarbeit Verantwortlichkeiten zu vermitteln.
Hierzu möchte ich gemeinsam mit dem Kommissar Wallander zu der Frage Stellung nehmen, ob das Leben, der Alltag in den letzen 20 Jahren schwerer geworden ist.

Vielleicht hat es damit zu tun, dass wir aufgehört haben, unsere Strümpfe zu stopfen. Als ich groß wurde, stopften wir noch Strümpfe. Ich habe es sogar noch in der Schule gelernt. Dann plötzlich eines Tages war Schluss damit. Kaputte Strümpfe wurden weggeworfen. Keiner stopfte mehr seine Wollsocken. Die ganze Gesellschaft veränderte sich. Verbrauchen und Wegwerfen wurde zur einzigen Regel, die wirklich alle vereinte. Solange es nur die Strümpfe betraf, war die Veränderung nicht so gravierend. Aber das Prinzip griff um sich. Schließlich wurde es zu einer Art unsichtbarer aber ständig gegenwärtiger Moral.

Ich glaube, das hat unsere Auffassung von richtig und falsch verändert, was man gegenüber anderen Menschen tun durfte und was man nicht tun durfte. Alles ist so viel härter geworden. Immer mehr Menschen fühlen sich überflüssig oder unwillkommen. Wie reagieren sie? Mit Aggression und Verachtung. Es wächst im Moment eine Generation auf, die mit großer Aggressivität reagieren wird. Und die haben keine Erinnerung daran, dass es tatsächlich einmal eine Zeit gegeben hat, wo wir unsere Wollsocken gestopft haben. Wo wir weder Wollsocken noch Menschen verbraucht und weggeworfen haben.

Bitte lächeln Sie jetzt nicht, natürlich vermittle ich nicht die Fertigkeit Socken zu stopfen, aber ich sehe die Notwendigkeit, Achtsamkeit und Wertschätzung gegenüber Menschen, Dingen und Handeln zu vermitteln.

Kinderbereich
„Heile, heile Segen, drei Tage Regen, drei Tage Sonnenschein, bald wird’s wieder besser sein.“ Sonja Heyna ist mein Name, als Berufsanfängerin, gerade fertig mit meiner Ausbildung habe ich vor 10 Jahren als Erzieherin im Frauenhaus angefangen. Meine Vorerfahrungen waren idealistisch: heile Kinderwelt, sonnige Kindheit mit Spiel und Spaß, Lernen, Förderung, Neugierde und Wachstum. Die Arbeit im Frauenhaus war wie ein Sprung ins kalte Wasser. Die Vorerfahrung, Erlebnisse und Alltag, der mir begegneten Kinder waren alles andere als sonnig, dass Kindheit auch Hölle sein kann, wurde mir aufs stärkste bewusst.

Alle Kinder in den Frauenhäusern haben Gewalt erlebt. Dies geschieht in einer sehr differenzierten Art und Weise und muss in den verschiedenen Facetten wahrgenommen werden. Oftmals begonnen mit ihrer Zeugung durch die Vergewaltigung der Mutter setzt sich für viele Ungeborenen die Gewalt während der Schwangerschaft fort.
Ein großer Teil unserer Kinder wurde später in die Gewalthandlung gegen die Mutter direkt mit einbezogen. Unmittelbare Misshandlungserfahrungen, körperlicher oder seelischer Art können sich in jedem Lebensjahr weiter fortsetzen. Auch wenn unsere Kinder nicht direkt betroffen sind, wachsen sie in einem gewalttätigen Klima auf: Vernachlässigung, mangelnde Entwicklungsförderung, nicht kindgemäße Verantwortungen bestimmen in diesen Fällen die Phase der Kindheit.

Wie in allen anderen Frauenhäusern haben wir die Kinder in ihren Befindlichkeiten immer ernst genommen und eben nicht quasi als „Handgepäck“ der Mütter wahrgenommen. Unsere Kinder sind Betroffene, die sich in einer Ausnahmesituation befinden und gemäß ihren individuellen Bedingungen die optimale Förderung und Zuwendung erhalten. Ich habe in den letzten zehn Jahren viel über Gewalt an Kindern gelernt und die parteiliche Arbeit, zu der ich mich verpflichte, für mich konkretisiert.

Ich weiß, dass die Parteilichkeit für Kinder sich zeitweise auch in Konfrontation mit den Müttern äußern kann. Diese Aufgabe nehmen wir wahr, wissen jedoch, dass wir parteiliches Fachpersonal auch außerhalb des Frauenhauses brauchen, Menschen, die vernetzt arbeiten können und Kooperationen bilden. Wenn sich in diesen Kreisen auch noch die Erkenntnis durchsetzen würde, dass bei häuslicher Gewalt die Partnerebene nicht von der Elternebene zu trennen ist, wäre schon einiges für die Kinder gewonnen.

Ambulante Beratung
„Blijf van mijn Lijf“ Ihr wundert euch vielleicht was das bedeutet. „Bleib mir vom Leib“ ist die Bezeichnung von den Frauenhäusern in den Niederlanden. Ich heiße Siti Jeuring und bin seit 5 Jahren für den Ambulanten Bereich im Frauenhaus zuständig. Ich habe in den Niederlanden mein Studium Pädagogik absolviert und bin schon während meines Studiums in Berührung gekommen mit der sehr differenzierten und Personenbezogenen Frauenarbeit, die in den Niederlanden schon vor zwanzig Jahr zum Alltag gehörte. Was die Frauenarbeit da ausmacht ist, dass jede Frau individuell begleitet wird und dass jede Frau maßgeschneiderte Hilfe erwarten konnte.
Es gab damals schon Einrichtungen für Frauen mit Gewalterfahrungen, für Frauen mit Suchtproblemen, mit psychischen Problemen oder mit gesundheitlichen Problemen. Es gab Hilfe für junge Mütter mit Kindern. Kurz gesagt: Viele gute Ideen konnte ich mitnehmen aus meinem Geburtsland in meiner Arbeit im Frauenhaus.

Bei der Ambulanten Beratung ist es für mich wichtig, dass Frauen schnell und unbürokratische Hilfe erwarten können, ohne dass ein Wohnen im Frauenhaus Voraussetzung ist. Das Gewaltschutzgesetz hat 2002 eine wichtige Struktur geschaffen, Sie sehen den Mann mit dem roten Schirm, dies unterstützend für die Betroffenen zu gestalten, ist aktuell eine meiner Aufgaben und auch zukünftig zu sichern.

Was für mich besonders wichtig ist und meiner Meinung nach sehr erfolgreich, ist das Gruppenangebot „Meine Stärken stärken“. Da lernen Frauen wieder an sich selber zu glauben, mehr Selbstvertrauen zu entwickeln und das Leben leichter zu nehmen.

Anders gesagt: „Und jetzt ich!“
Diese Aussage ist der Anfang eines neuen gewaltfreien Lebens. Viele Frauen schaffen ein selbständiges Leben in einer eigenen Wohnung, manche arbeiten wieder. Und was am Allerwichtigste ist: Die Frauen lachen wieder und sehen neue Perspektive. In den Niederlanden sprechen wir von “weerbaarheid“, körperlich und geistige Wehrhaftigkeit. Die Frauen entwickeln ein positives Selbstbild, ein größeres Selbstwertgefühl und Selbstrespekt und trauen sich vielleicht im übertragenen Sinn offensiv und fröhlich in „hun neus te peuteren“. (In der Nase zu bohren)

Ähnlich wie bei Kleidern entwickeln wir Hilfen in den Größen S bis XXL. Das Know-How besitzen die Mitarbeiterinnen der Frauenhäuser, leider fehlt es uns an öffentlichen Mitteln. Mein Dank geht an die Sponsorengruppen, die meine ambulante Beratung ermöglichen: Zonta Frauengruppe Lippstadt und die Autoren des Wort zum Sonntag.

Abschluss
So viele Gedanken, ermutigende und bedrückende, wegweisende und traditionsbehaftete, lähmende und aktivierende. Ich möchte Beispiele nennen:

Bedrückung und Ermutigung
Häusliche Gewalt gilt weltweit als die häufigste Todesursache von Frauen.
In Deutschland gibt es derzeit rund 360 Frauenhäuser, in Europa sind es zirka 1.500 Frauenhäuser. Unicef teilte in einem der letzten Jahresberichte wieder mit, dass Gewalt gegen das weibliche Geschlecht weltweit die häufigste Verletzung von Menschenrechten ist: das Ausmaß, die Facetten sind erschütternd: Zwangsprostitution, Verstümmelungen, offizielle Rechtfertigungen von Brutalitäten an Frauen. Gleichzeitig erleben wir, dass Gewalt gegen Frauen und Mädchen im Verlaufe der letzten 10 bis 20 Jahre zu einem dringenden Thema internationaler und europäischer Politik geworden ist. Konkretisiert auf unsere Kommune stellen wir fest, jede 4te Frau ist von Gewalt betroffen, aber dies wird mittlerweile nicht nur als Arbeitsauftrag des Frauenhauses angesehen, Kooperationen, Vernetzungen, runde Tische haben sich mit großem Erfolg gegründet und sind zu nachhaltigen Arbeitsergebnisse gekommen.

Traditionen und Wegweisungen
Noch immer bezahlen die Frauen, die zu uns kommen formal für ihren Frauenhausaufenthalt selbst, wie bizarr ist diese Tatsache? Menschenrechtsverletzung, Straftat, Recht auf Schutz und noch immer wird durch den Zwang der Eigenfinanzierung so getan, als sei die Frau doch im Grunde selber schuld. Durch politischen Druck, zahlreiche Kampagnen und Aktionen wird diese Diskriminierung betroffener Frauen und ihren Unterstützungseinrichtungen zur Disposition gestellt und so unser Bestreben in ein anderes Finanzierungsmodell verändert.

Lähmend und Aktivierend
Gewalt an Kinder, eine sich immer schneller drehende Gewaltspirale, die soziale Vererbung von Gewaltstrukturen, sich immer weiter verschärfender Missbrauch und Misshandlung, wir wissen und erleben die Unverzichtbarkeit von Frauenhäusern in Vergangenheit und nach 20 Jahren weiterhin. Dies ist der Motor für unsere weitere Arbeit.