Predigt von Pfarrerin Angelika Weigt-Blätgen
zur Eröffnung der Beratungsstelle Tamar-Münsterland und Einführung der Mitarbeiterinnen

Begrüßung

Herzlich begrüße ich Sie zu unserem Gottesdienst zur Eröffnung der Beratungsstelle Tamar Münsterland und zur Einführung der Mitarbeiterinnen, die in Zukunft hier in dieser Region unterwegs sein werden, um Frauen aufzusuchen, die in der Prostitution tätig sind. Sie werden Kontakte zu Behörden und Beratungsstellen knüpfen – kurz: Sie werden ein Netz, ein Hilfe- und Beratungsnetz spannen und selbst ein Teil des schon vorhandenen Netzes werden. Für unsere Mitarbeiterinnen und alle, die sie unterstützen, die für sie beten, die mit ihnen zusammenarbeiten werden, bitten wir um Gottes Geleit und Segen. Um offene Herzen und Ohren und Augen bitten wir. Und um Schwung und Kraft für alles, was heute beginnt. Schön, dass Sie alle hier sich mit uns in Gebet und Segen verbinden. Ich wünsche uns einen gesegneten Gottesdienst.

Predigt zu Jesaja 35, 1-10

Die Liebe Gottes, die Gnade Jesu Christi und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

Liebe Gemeinde, liebe Mitarbeiterinnen,

„Sie machen eine großartige Arbeit. Ich bewundere Sie dafür, wie Sie auf Frauen zugehen, zu denen wir gar keinen Kontakt haben" – ich bin sicher, solche Sätze haben diejenigen von Ihnen schon gehört, die bereits länger in der Beratungsarbeit in Südwestfalen unterwegs sind und Sie, die Neuen werden solche Sätze hören. Und was antworten Sie? Vielleicht „Wir versuchen unsere Arbeit so professionell wie möglich zu machen" oder „dazu sind wir angestellt worden" oder „wir geben uns Mühe", die ganz Coolen sagen „dafür werde ich bezahlt". Nicht zu viel versprechen, nicht zu hohe Erwartungen wecken, gewisse Bedenken gegenüber zu viel Begeisterung und Überschwänglichkeit. Das ist menschlich, vor allem frauen-menschlich und protestantisch, auch wenn Sie sich konfessionell hier nicht alle zuordnen.

„Die Wüste und die Einöde werden frohlocken und die Steppe wird jubeln und wird blühen wie Lilien, sie wird blühen und jubeln in aller Lust und Freude. Sie sehen die Herrlichkeit und die Pracht Gottes" – so beinahe irrational hoffnungsfroh, so vielleicht verzweifelt bemüht, den Menschen eine Zukunft vor die Augen und die Seele zustellen spricht der Prophet Jesaja in der hebräischen Bibel, dem Alten Testament. Ob seine Worte für die Menschen damals eine Ermutigung waren? Sie waren nach dem Krieg vertrieben, verschleppt worden, aus ihrer Heimat. Sie hatten Sehnsucht nach ihrer Heimat Jerusalem. Dort in Jerusalem waren sie zu Hause – auch wenn wohl möglich nicht mehr viel übrig war, von dem, was ihnen vertraut war. Sie wollten in ihre Heimat, denn dort fühlten sie sich nahe bei ihrem Gott.

So mögen Jesajas Worte tatsächlich ein Trost gewesen sein, weil sie die Hoffnung wach hielten, die Hoffnung auf eine Rückkehr nach Jerusalem. Bis heute steht am Ende jedes Pessach-Essens der Satz „nächstes Jahr in Jerusalem" – die Hoffnung trägt weiter.
Um Hoffnung geht es und um Trost — um Hoffnung, die wir nicht immer aus unseren eigenen Fähigkeiten schöpfen müssen, um gegenseitigen Trost in der Gemeinschaft, die immer über sich hinausweist.

Die Wüste wird frohlocken — 40 Jahre war das Volk Israel in der Wüste unterwegs gewesen. Lange Jahre auf dem Weg in das von Gott versprochene Land.  Und die Menschen haben erfahren: Gott geht mit uns. Er gab ihnen zu essen, wenn sie zu verhungern drohten; er hat ihren Durst gestillt und er ließ nachts die Sterne hell für sie leuchten, damit sie den Weg fanden. Gott geht mit — aus Ägypten heraus, durch das Schilfmeer und durch die Wüste. Gott geht mit. Gott ist treu. Gott ist für seine Menschen Schutz und Hilfe, Halt und Nahrung, Orientierung und Trost.

Die Wüste wird frohlocken — wenn es also ein Bild gab, dass den Menschen Mut machte, ein Bild, das sie stark machte, sich auf den Rückweg zu machen in ein zerstörtes Jerusalem, dann das Bild der Wüste. Es erinnert und verspricht: Gott wird auch diesmal mit euch gehen, wird euch auch diesmal beschützen. Die Wüste wird ihre Schrecken verlieren, es wird ein guter Weg für euch entstehen. Später im Text heißt es sogar: ein heiliger Weg wird durch die Wüste führen.

Und dann sagt Jesaja: Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie. Sagt den verzagten Herzen: Seid getrost, fürchtet euch nicht. Seht da ist euer Gott. Er kommt und wird euch helfen. Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. Dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch, und die Stimme der Stummen wird frohlocken.

Sich aufmachen, den Weg unter die Füße nehmen, sich der Wüste aussetzen – das müssen die Menschen selbst tun. Dazu müssen sie sich gegenseitig stärken, sich ermutigen; sich gegenseitig einladen, ermahnen und erinnern.

„Stärkt die müden Hände, macht fest die wankenden Knie,
sagt den verzagten Herzen: Seid getrost, fürchtet euch nicht.
Seht, da ist euer Gott."

Stärkt die müden Hände. Müde Hände können nicht mehr handeln, müde Hände können sich nicht mehr wehren; müde Hände können nicht mehr streicheln, müde Hände lassen sich nicht mehr ausstrecken. Man kann müde Hände aber auch nicht ruhig und zufrieden in den Schoß legen. Viele von uns, von Ihnen, haben schon müde Hände in ihren Händen gehalten. Müde Hände erzählen uns Lebensgeschichten, Geschichten von erschöpfendem, verletztem und kraftlos gewordenem Leben, von verpasstem und vergeudetem Leben. Auch Sie werden in Ihren Beratungsgesprächen auf müde Hände blicken.

Macht fest die wankenden Knie. Wankende Knie tragen die Menschen nicht länger. Wankende Knie bringen nicht ans Ziel, machen verzagt; wankende Knie machen schwach, lassen einknicken, wenn Standfestigkeit gefragt wäre; wankende Knie und aufrechter Gang passen nicht zueinander. Wie viele von uns, von Ihnen, haben schon Menschen gestützt und getragen, deren Knie wankten! Wankende Knie schreien nach Hilfe. Schwäche wird sichtbar. Auch Ihnen werden Frauen mit  wankenden Knien entgegen kommen – sichtbar oder um Haltung bemüht.

Sagt den verzagten Herzen: Fürchtet euch nicht. Verzagte Herzen – Martin Buber spricht von Menschen, die „herzverscheucht" sind. Herzverscheuchte sind Menschen, die nicht mehr wissen, wie sie sich entscheiden sollen und worauf sie noch vertrauen können. Sie sind bestürzt über Gottes Abwesenheit, sie zweifeln an Gott und der Welt und an sich selbst. Sie trauen dem eigenen Herzen nicht mehr. Sie selbst, ihre Seele, ihr Herz sind heimatlos und haltlos. Wie viele von uns, von Ihnen, haben schon Herzverscheuchten Halt und Wegweisung geben können! Ihnen werden Frauen begegnen, die sich aus ihrem Leben und ihren Herzen verscheucht fühlen.
Sagt den verzagten Herzen: „Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott. Er kommt und wird euch helfen." „Fürchtet euch nicht“ – Immer und immer wieder wird dieses Trost- und Mut-Mach-Wort in der Bibel den Menschen zugesagt – von den Engeln, den Boten Gottes, und den Propheten.

Stärkt die müden Hände, macht fest die wankenden Knie, sagt den verzagten Herzen „Fürchtet euch nicht“.

Stärken - machen – sagen – drei Tätigkeitsworte, die gut zu einem Verband passen, der „Hilfe“ schon im Namen trägt. Der Auftrag zur Hilfe ist uneingeschränkt - er umfasst den ganzen Menschen mit Leib und Seele, mit Hand und Knie und Herz. Und alles Stärken, Machen und Sagen hat eine Richtung: Seht, da ist euer Gott. Der Prophet versucht den Blick der Müden, Verzagten, Wankenden auf Gott hin, auf die Zukunft hin auszurichten.

In der Frauenhilfe, in unseren Einrichtungen und Beratungsstellen, versuchen wir, versuchen Sie, genau dieses: den Blick der Müden, der müde gewordenen, der Verzagten, der Traurigen, der Herzverscheuchten, auf die Zukunft hin auszurichten.

Seht da ist euer GottFürchte euch nichtFürchte dich nicht :euer Gott, dein Gott, der mit dir gehen will, gerade mit dir; der um dich weiß, der für dich in diese Welt gekommen ist, der den Weg durch die Wüste ganz gegangen ist; der überwunden hat, was Menschen verzweifeln lässt; was Menschen in Todesstarre fallen lässt.
Seht da ist euer Gott - euer Gott, dein Gott, der dich sieht, der gerade deine müden Hände, deine wankenden Schritte, dein ängstliches, orientierungsloses Herz ansieht.

Wenn es uns gelingt, wenn es Ihnen gelingt, bei Ihren Besuchen und Gesprächen durch Worte, durch Ihre Nähe, durch Ihre Zuwendung den Blick auf Gott hin auszurichten, den Glauben stark zu machen, dass Gott in jeder Lebenssituation Zuflucht sein will, dann kann es gelingen- und das wünsche ich Ihnen allen - Frauen zu stärken; Menschen zu stärken für einen Aufbruch, für Schritte in die Zukunft, kleine zunächst und unsichere vielleicht; dann kann den Frauen Kraft für den Weg zuwachsen.

„In der Wüste des Alltags Rosen pflanzen" - so lässt sich das was wir tun, was Sie tun, in der poetischen Sprache jüdischer Weisheit ausdrücken.
In der Wüste des Alltags Rosen pflanzen - Menschen auf Gott hinweisen, der ihnen – vielleicht mit unserer Hilfe, Hilfe und Halt, Orientierung und Trost geben will.

Die Wüste wird blühen: ein Leben in Fülle und Gerechtigkeit und in Gegenseitigkeit ist uns versprochen.

Seht da ist euer Gott. Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.

Gott kommt uns entgegen. Gott will mitgehen. Gott will unseren Menschenweg mit uns gehen. Wir glauben mit vielen, vielen Menschen, dass Gott mit der Geburt Jesu unseren Menschenweg eingeschlagen hat. Wir sehen in Jesus den Gesandten der Liebe und Zuwendung Gottes. Er hat gezeigt, was es bedeutet, müde Hände zu stärken, wankende Knie fest zu machen, verzagten Herzen Mut zu machen.

Die Wüste und Einöde wird frohlocken und die Steppe wird jubeln und wird blühen wie die Lilien ... sagt den verzagten Herzen: Seht da ist euer Gott. Fürchtet euch nicht.

Amen