Dokumentation

5 Jahre TAMAR Südwestfalen | 13.12.2019

Frauenhilfe berät und begleitet durch TAMAR Mädchen und Frauen in Südwestfalen, die in Clubs, Bars, Appartements, Wohnungen, Wohnwagen und Kneipen sexuelle Dienstleistungen anbieten.

Angelika Weigt-Blätgen

Andacht von Pfarrerin Angelika Weigt-Blätgen

Evangelische Frauenhilfe in Westfalen e.V.

 „Lobe den Herrn meine Seele! Du mein Gott bist sehr herrlich; schön und prächtig geschmückt. Licht ist dein Kleid, das du anhast. Du breitest den Himmel aus wie einen Teppich.“
Ich heiße Sie alle herzlich willkommen mit dem Lob aus dem 104. Psalm, das Gott mit dem Himmel und dem Licht und mit der Seele des Menschen verbindet. Ich begrüße alle, die aus Politik und öffentlicher Verwaltung, aus den Frauenhilfen und Verbänden, aus befreundeten Einrichtungen und Beratungsstellen und aus den Einrichtungen der Frauenhilfe gekommen sind. Ich begrüße die Unterstützerinnen der Arbeit von Tamar, die uns mit Geld und Gebet, mit politischem Willen und Solidarität begleiten.

Den Mitarbeiterinnen von Tamar mit ihrer Leiterin, Pfarrerin Birgit Reiche, und der Vertreterin unseres Vorstands, Erika Denker; gilt mein besonderer Gruß.
Sie alle spreche ich aber zunächst – unabhängig von Titel und Position – als Frauenhilfegemeinde an. Also:

Liebe Gemeinde,
am vierten Advent werden wir die längste Nacht und den kürzesten Tag dieses Jahres erleben – die Wintersonnenwende, auch Thomasnacht genannt. Von da an wird es wieder heller – ein Trost für alle Tageslichtfreundinnen und vom Winterblues Belastete. Auf die Märchen und Geschichten rund um die Rauhnächte will ich an dieser Stelle nicht eingehen.

Die Bibel beginnt am ersten Schöpfungstag damit, dass Gott das Chaos beseitigt, die kraftverzehrende Dunkelheit und Unübersichtlichkeit, hebräisch Tohuwawou. „Es werde Licht; und es ward Licht; und Gott sah, dass das Licht gut war“. So schreibt es ein Priester auf, einer ohne Tempel, vertrieben, weit weg von zu Hause. Er schreibt es für alle, die heimat- und orientierungslos sind und in Gefahr, sich im Dunkeln zu verlieren.

Jahrhunderte vor der Geburt Jesu wird der Prophet Jesaja den verzweifelten Jüdinnen und Juden sagen: „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und über denen, die da wandeln im finstern Lande, scheint es hell“. Dieser Satz ist Teil der Weihnachtsliturgie in unseren Gottesdiensten; verstanden als Hinweis auf den, der später von sich sagen wird „Ich bin das Licht der Welt“ – Jesus von Nazareth. Und er wird sagen „Ihr seid das Licht der Welt“.
„Ihr seid das Licht der Welt“ – Am 20. Oktober wurde in Frankfurt der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen – zum ersten Mal in der Geschichte dieses Preises nicht an einen Schriftsteller, eine Autorin, sondern an einen Fotografen: Sebastiao Salgado. Er zeigt in eindrucksvollen Schwarz-Weiß-Bildern Menschen, die durch Kriege und Klimakatastrophen entwurzelt sind. Er hat uns mit seinem Bildband „Genesis“ die Schönheit und die Gefährdung unserer Welt ans Herz gelegt. „Er macht die geschändete Erde ebenso sichtbar wie ihre fragile Schönheit“ sagte der Regisseur Wim Wenders in seiner Laudatio. Salgado bereiste 120 Länder, lebte oft monatelang mit den Menschen, die er fotografierte; einer der genau hinsieht, der die unmittelbare Begegnung nicht scheut; ein Weltzeuge, ein demütiger Künstler. „Er blickt so tief in das Herz der Dunkelheit, fast wäre er daran zerbrochen“, so der Laudator. „Meine Sprache ist das Licht. Meine Mission ist es, Licht auf Ungerechtigkeit zu werfen“, so der Künstler in seiner Dankesrede.
Die Sprache Gottes ist das Licht. Und Gott neigt nicht zu Illusionskunst, Blinkezauber oder Weichzeichner. Auch wenn wir das gerade Weihnachten so gerne hätten.
Und wir; wir mit dem Satz im Kopf: „ Ihr seid das Licht der Welt“? Was machen wir damit? Was ist der Auftrag? Unsere Mission?

Vielleicht ist es das: dunkle Ecken ausleuchten, auch die in unseren eigenen Herzen und Seelen, die so gerne als Besserwisserei oder als „unwichtig abtun“ daher kommen und uns keines weiteren Blickes mehr wert sind. Dunkle Ecken ausleuchten, damit niemand darin vergessen wird oder darein gedrängt wird.
Vielleicht ist es das: Entscheidungen von Menschen ernst nehmen und ihre Wege in ihrem Licht, mit ihren Augen sehen – nicht mit Draufblick und vermeintlichem Überblick.

Vielleicht ist es das: Gemeinsam ein neues Licht werfen auf bisher unbekannte Wege, auf neue Möglichkeiten, unentdeckte Begabungen.
Vielleicht ist es das: Keine strahlt immer hell; keine hat in jeder Situation den Schalter für die richtige Lux-Zahl; keine ist immer nur ein kleines Licht; keine ist immer eine trübe Funzel. Manchmal müssen wir aufeinander Acht geben, den glimmenden Docht hüten oder Sorge tragen für die, die von beiden Seiten brennen.
Vielleicht ist es das: uns gegenseitig die Sicherheit und das Vertrauen geben: Du bist gut so wie du bist – du bist das Licht der Welt.

Denn das hat Jesus genauso gemeint, als er zu diesem Haufen dort irgendwo im nirgendwo Galiläas zu ihnen sprach, zu den Armen, Entwurzelten, Neugierigen, Verzweifelten, Suchenden. „Du musst nicht erst dieses oder jenes leisten, tun, ändern. Du musst nicht erst ein Bekenntnis ablegen, beichten oder was auch immer. Du bist … und genauso versuche ich dich zu sehen“.
„Er findet das Paradies, oder zeigt uns, dass es das noch gibt“ sagt Wim Wenders über Salgado und seine Bilder.

So weit will ich nun nicht gehen - für uns, hier heute Morgen und vom Paradies sprechen.
Aber: Uns daran erinnern, dass Gott es gut gemacht und gut gemeint hat. Uns daran erinnern, dass Gott selbst durch alle Dunkelheiten gegangen ist, damit es hell werden kann, damit Recht und Gerechtigkeit sich durchsetzen, damit Leben und Würde aller geschützt wird, damit alle Menschen so leben können, das sie Anteil haben an der Fülle, die Gott geschaffen und versprochen hat – davon können wir erzählen – nicht nur zur Weihnachtzeit. Danach können wir die Grundsätze unserer Arbeit ausrichten. Damit haben wir einen Leitstern und immer mal wieder ein Spotlight – sie wissen schon: für die dunklen Ecken.
Amen

Pfarrerin Angelika Weigt-Blätgen,
Fünf Jahre Tamar, Prostituierten- und Ausstiegsberatung Südwestfalen
13. Dezember 2019

 

Literatur:
Sebastiao Salgado, Mein Land, unsere Erde, Zürich 2019
Sebastiao Salgado, Genesis, Bildband 2013
Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2019, Sebastiao Salgado, Ansprachen aus Anlass der Verleihung, 2019

 

Und wenn Sie noch ein Weihnachtsgeschenk brauchen: der Bildband Genesis von Salgado oder die Reden anlässlich der Preisverleihung oder seine Autobiografie „Mein Land, unsere Erde“ sind zu empfehlen – nicht nur Fotokünstlern.