Dokumentation

5 Jahre TAMAR Südwestfalen | 13.12.2019

Frauenhilfe berät und begleitet durch TAMAR Mädchen und Frauen in Südwestfalen, die in Clubs, Bars, Appartements, Wohnungen, Wohnwagen und Kneipen sexuelle Dienstleistungen anbieten.

Johanna Thie

Grußwort
Johanna Thie

Diakonie Deutschland,
Arbeitsfeld Hilfen für Frauen, Berlin

Sehr geehrte Frau Weigt-Blätgen,
sehr geehrte Frau Platzmann-Scholten,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen,

für Ihre Einladung bedanke ich mich ganz herzlich und ich freue mich, dass ich ein paar Worte sprechen darf.

Zuerst möchte ich Ihnen ganz herzliche Glückwünsche von unserem sozialpolitischen Vorstand Maria Loheide überbringen. Sie setzt sich schon viele Jahre für Beratungsstellen für Menschen in der Prostitution ein und weiß deren Arbeit deshalb ganz besonders zu schätzen. Herzlichen Glückwunsch.

Es verdient sehr hohe Anerkennung, dass sich die Westfälische Frauenhilfe vor mehr als 5 Jahren entschieden hat, ihre bereits bestehenden Angebote im Frauenbereich weiter auszubauen.

Nach wie vor ist es eher außergewöhnlich, sich in der Arbeit mit Menschen in der Prostitution zu engagieren. Kaum ein anderes Thema wie die Prostitution wird in der Gesellschaft derart emotional diskutiert. Es ist ein komplexes Feld, in dem es auf viele Fragen keine einfachen Antworten gibt.

Die Komplexität lässt sich nicht auf ein „pro und kontra“ reduzieren. Die Verteidigung der individuellen Rechte der Sexarbeiter*innen und die Anerkennung von sexuellen Dienstleistungen als gesellschaftliche Realität auf der einen Seite und die Forderung nach Abschaffung und Verbot der Prostitution als menschenunwürdig und ausbeuterisch  auf der anderen Seite stehen einander unversöhnlich gegenüber.

Auch unter evangelischen Christ*innen und innerhalb der Diakonie gehen die Meinungen vielfach auseinander und es wird heftig gestritten.

Handlungsleitend für uns als Diakonie ist aber die soziale Situation von Prostituierten. Wir sind dort, wo sich Menschen in Notlagen befinden, verletzlich sind, ausgegrenzt sind. Wir setzen uns als deren Anwalt dort ein, wo Menschen stigmatisiert und diskriminiert werden. Vieles trifft in unterschiedlichem Ausmaß bei Menschen in der Prostitution zu.

Prostitution ist keine Arbeit wie jede andere. Sie beinhaltet körperliche Berührungen, die gewöhnlich der Privatsphäre zugeordnet werden, damit aber auch hohe Risiken für die körperliche und seelische Gesundheit der Prostituierten. Was die Prostitution darüber hinaus von anderen Dienstleistungen unterscheidet, ist die immense ethisch-moralische Aufladung durch eine Jahrhunderte lange Kriminalisierung und Stigmatisierung, die auch immer wieder die Gefahr rechtlicher Grauzonen birgt. Das Ausmaß der Belastung durch diese Arbeit hängt somit ganz entscheidend mit den gesellschaftlichen Bedingungen zusammen, unter denen Prostituierte ihrer Tätigkeit nachgehen.

Die aktuell entbrannte Diskussion um ein sogenanntes Sexkaufverbot nach skandinavischem Vorbild - also die Bestrafung von  Personen, die sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nehmen, während die Prostituierten selbst straffrei bleiben - sehen
wir als Diakonie Deutschland deshalb mit großer Sorge. Es ist nach wie vor nicht leicht diese Menschen zu erreichen. Durch aufsuchende Arbeit mit einer akzeptierenden Haltung, einem ergebnisoffenen Ansatz auf Augenhöhe soll Vertrauen aufgebaut und Unterstützung gegeben werden. Der Zugang ist schon jetzt schwer.

Mit einem Sexkaufverbot verschwindet Prostitution nicht, sie findet nur im Verborgenen statt. Es wird für Fachberatungsstellen und Gesundheitsämter dann noch schwerer, in Kontakt mit den Prostituierten zu kommen, um sie über ihre Rechte, Gesundheitsangebote und Ausstiegsmöglichkeiten zu informieren. Die Menschen, die man eigentlich schützen will, werden dadurch in prekäre und gefährliche Arbeitsbedingungen gezwungen. Prävention wird so gut wie unmöglich.

Schlimmstenfalls könnten sogar Hilfestellungen jeglicher Art für die Prostituierten als Beihilfe zu strafbaren Handlungen gewertet werden. Dies ist keine taugliche Ausgangsbasis für die soziale Arbeit für Menschen in der Prostitution.

Eine Reihe von internationalen wissenschaftlichen Studien bestätigt, dass Verbote weder Prostitution verhindern, noch deren negative Auswirkungen eindämmen, noch Menschenhandel bekämpfen. Wo tatsächlich Zwang und Gewalt eine Rolle spielen, bieten Verbote keinen Schutz.

Diskriminierung, Stigmatisierung und Abwertung wirken sich in vielfacher Hinsicht schädlich aus. Sie machen Menschen schwächer statt stärker und schränken die Möglichkeit ein, selbstbewusst für sich und andere Verantwortung zu übernehmen.

Das wollen wir nicht. Wir wollen die Situation der Sexarbeiter*innen verbessern. Sie haben Grundrechte wie alle anderen Menschen, und diese Grundrechte sind nicht verhandelbar.

Unabhängig von einer moralischen Bewertung der Prostitution ist unser Staat grundsätzlich verpflichtet, die Rechte von Sexarbeiter*innen auf Gesundheitsversorgung, Schutz vor Gewalt und Ausbeutung sowie vor Diskriminierung zu gewährleisten.
Deshalb haben wir ein Bündnis aus dem Jahr 2015 wieder aktiviert. Mit der Deutschen Aidshilfe, dem Deutschen Frauenrat, dem Deutschen Juristinnenbund und zwei Fachberatungsstellen, der Dortmunder Mitternachtsmission und contra Kiel sind wir am 22.11.2019 in Berlin an die Presse gegangen und haben unsere großen Bedenken für ein Sexkaufverbot der Öffentlichkeit präsentiert. Wir werden das Bündnis öffnen und würden uns sehr freuen wenn die Westfälische Frauenhilfe zu den ersten Unterstützerinnen gehören würde. Das wäre ein großartiges Signal.

Die Diakonie hat den Auftrag, die Selbstverantwortung der Prostituierten zu unterstützen, ihnen beratend zur Seite zu stehen, denen, die es wünschen, Ausstiegsangebote zu machen und anwaltschaftlich für die Verbesserung der Rahmenbedingungen ihrer ausgeübten Tätigkeit einzutreten.

Die Soziale Arbeit in diesem Milieu ist kein leichter Job. Das wissen wir alle. Doch es ist auch diese Arbeit, die uns als Diakonie ausmacht. Dafür möchte ich an dieser Stelle Danke sagen. Danke, dass Sie diese wichtige Arbeit machen. Sie verdienen hohe Anerkennung und Respekt dafür.

Das Weiterbestehen von Tamar ist leider noch nicht vollständig gesichert. So weit es in unseren Möglichkeiten steht, werden wir uns als Diakonie aber dafür einsetzen dass Tamar uns erhalten bleibt.

Ich wünsche Ihnen allen weiterhin viel Kraft und Gottes Segen für Ihre unverzichtbare Arbeit.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!