Dokumentation

5 Jahre TAMAR Südwestfalen | 13.12.2019

Frauenhilfe berät und begleitet durch TAMAR Mädchen und Frauen in Südwestfalen, die in Clubs, Bars, Appartements, Wohnungen, Wohnwagen und Kneipen sexuelle Dienstleistungen anbieten.

Anja Butschkau

Grußwort
Anja Butschkau MdL

Frauenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Landtag NRW

Sehr geehrte Damen und Herren,
wir feiern heute fünf Jahre Beratungsstelle Tamar Südwestfalen. Ein ganz kleines Jubiläum, aber wie ich hoffe, bei weitem nicht das letzte. Denn Tamar leistet wichtige Arbeit.
Man denkt nicht gerade an das Sauerland, das Siegerland oder die Soester Börde, wenn man von Prostitution spricht. Da fallen einem eher die großen Städte an Rhein und Ruhr ein.
Und mancher Kommunalpolitiker mag das Thema auch gerne verdrängen.
Denn Sexarbeit ist auch heute noch ein Tabuthema und viel zu oft werden Sexarbeiterinnen stigmatisiert.

Aber auch in ländlichen Regionen gibt es Prostitution.
Auch hier brauchen wir starke und engagierte Sozialarbeiter*innen, die über Rechte und Hilfsangebote informieren, zu Behörden begleiten oder den Ausstieg aus der Prostitution unterstützen.
Gerade im ländlichen Raum sind die Wege weit und die Frauen schwieriger zu erreichen.
Das ist ohne eine auskömmliche finanzielle Förderung - sei es durch EU, Bund, Land oder Kommune – nicht möglich. Und daher setzen wir uns dafür ein, dass Tamar mehr Unterstützung erfährt und auch zukünftig durch das Land gefördert wird.

Denn zwei Dinge dürfen nicht geschehen:

  • zum einen dürfen wir die Sexarbeiterinnen hier in der Region nicht im Stich lassen
  • und zum anderen dürfen wir das Wissen und die Kompetenzen, die in den letzten fünf Jahren aufgebaut wurden, wieder verlieren.

Sehr geehrte Damen und Herren,
ich möchte noch ein paar Worte zu der aktuellen Debatte um das Verbot der Prostitution verlieren.
Befürworterinnen sprechen vom Nordischen Modell.
Ich denke, dass wir diese aktuelle Debatte führen müssen. Keine Frage.
Momentan erlebe ich allerdings eine sehr einseitige Debatte in der Öffentlichkeit. Und in der kommen mir diejenigen zu kurz, die das Arbeitsfeld der Prostitution kennen: Nämlich die Sexarbeiterinnen selbst. Aber auch die Expertinnen aus den spezialisierten Beratungsstellen, die Tag für Tag erleben, mit welchen Hürden, Diskriminierungen und Gefahren Sexarbeiterinnen umgehen müssen.
Wir müssen viel stärker darüber diskutieren, was wir eigentlich bekämpfen wollen.
Ist es die Prostitution an sich oder sind es Zwangsprostitution und Menschenhandel?
Letztere sind bereits heute verboten – sind eine Straftat.
Warum sollten sie durch ein Verbot der Prostitution verschwinden? Ich glaube, dass die Zahl der Fälle eher steigen wird. Es ist außerdem zu erwarten, dass Frauen, die heute in der Legalität arbeiten, ins Verborgene verdrängt werden. Dort, wo Polizei und Justiz, aber auch die Beratungsstellen kaum Einblicke erhalten und Kontrolle kaum ausgeübt werden kann.
Die Arbeitsbedingungen der Frauen werden sich deutlich verschlechtern.
Sie werden häufiger Gewalt ausgesetzt sein und wir werden mehr Fälle von sexuell übertragbaren Krankheiten erleben.

Sehr geehrte Damen und Herren,
wenn jemand für sich die autonome Entscheidung trifft, in diesem Gewerbe arbeiten zu wollen, dann müssen das Gesellschaft und Staat respektieren.
Ich finde die Argumentation der Befürworterinnen des Nordischen Modells sehr befremdlich, wenn sie behaupten, dass es keine Frau gibt, die die Arbeit freiwillig machen würde.
Dass selbst diejenigen, die nicht von anderen gezwungen werden, den Job nur aus wirtschaftlichen Zwängen machen würden.
Mit dieser Argumentation müssten dann aber auch viele andere Berufe zur Disposition gestellt werden.
Ich finde es genauso befremdlich, wie die Befürworterinnen des Nordischen Modells alle Sexarbeiterinnen per se zum Opfer machen. Das ist ungerecht und hilft keiner Frau weiter, ihre Lage zu verbessern. Statt ihnen einzureden, was sie Schlechtes tun oder ertragen müssen, sollten wir uns lieber dafür einsetzen, ihre Situation zu verbessern.
Durch bessere Bekämpfung von Menschenhandel und Zwangsprostitution, durch besseren Zugang zur Gesundheitsversorgung, durch mehr Betreuung und Beratung. Und nicht zuletzt durch Respekt und Anerkennung.

Sehr geehrte Damen und Herren,
auf dem Weg dorthin brauchen wir starke Stimmen, die für die Frauen in der Sexarbeit sprechen. Wir brauchen starke spezialisierte Beratungsstellen – in der Stadt, wie auf dem Land.
Und da brauchen wir vor allem Tamar.

Ich danke allen Mitarbeiterinnen von Tamar, der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen und allen Unterstützerinnen und Unterstützern für ihre Arbeit und ihr Engagement.
Ich freue mich, wenn wir in fünf Jahren gemeinsam das erste größere kleine Jubiläum feiern würden.

In diesem Sinne: Herzlichen Glückwunsch!