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Rede der Staatssekretärin des Ministeriums für Generationen, Familie, Frauen und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen Frau Dr. Marion Gierden - Jülich anlässlich der Feier des 10jährigen Bestehens der Beratungseinrichtung Nadeschda am 06. September 2007 in Herford

Einleitung

Sehr geehrte Festgäste, liebe Mitarbeiterinnen, liebe Vereinsfrauen,
ich freue mich sehr, heute mit Ihnen das 10jährige Jubiläum der Beratungsstelle Nadeschda feiern zu können.

10 Jahre Beratung und Begleitung für die Opfer von Menschenhandel - bestimmt haben Sie in den letzen Wochen Ihrer Vorbereitung auf die heutige Jubiläumsfeier die vergangenen Jahre einmal Revue passieren lassen - haben Ihr berufliches und soziales Schaffen quasi zurückgespult bis an den Anfang.

Bestimmt sind Ihnen hierbei viele Einzelschicksale von betroffenen Frauen und Mädchen eingefallen. Bestimmt haben Sie auch an die unzähligen Schwierigkeiten im Umgang mit Behörden und Rechtsvorschriften gedacht und konnten noch einmal intensiv nachspüren, welch hartes Stück Arbeit sich hinter dieser Art von sozialem Engagement verbirgt!

Wenn Sie dann allerdings den Blick lenken auf das heute Erreichte und dies mit dem damaligen Status Quo vergleichen, werden Sie mir ganz sicher bestätigen, dass sich Ihr unermüdlicher Einsatz gelohnt hat, dass die Erfolge alle Schwierigkeiten und Mühen bei weitem aufwiegen. Und solche Erkenntnisse sind wichtig, weil sie letztendlich unser Motor sind, weil sie Mut machen, den steinigen Weg mit frischer Kraft weiter zu gehen.

Motto der Veranstaltung

Dies ist sicherlich auch ein Grund dafür, dass Sie Ihre Einladung zu der heutigen Jubiläumsfeier ganz bewusst unter das Motto gestellt haben:

"und die Hoffnung blüht auf":

Aufblühende Hoffnung, dass sind wohlklingende Worte, die vielen von uns ein Gefühl von Zuversicht und neuem Lebensmut vermittelt. Wer hoffen kann, hat eine Zukunftsperspektive, ein Ziel vor Augen, für das es sich zu leben lohnt. Anhänger der ganzheitlichen Medizin behaupten sogar, Hoffnung sei ein wichtiger Indikator für Gesundheit und ein langes und erfülltes Leben.

Doch Hoffnung hat auch eine ganz andere Fassette - sozusagen einen negativen Hintergrund:

Sie kommt immer dann ins Spiel, wenn uns etwas belastet und hilflos macht, wenn wir Angst haben, verzweifelt sind und einen Weg suchen, alles wieder ins rechte Lot zu bringen.

Rückblick

Liebe Mitarbeiterinnen von Nadeschda,

10 Jahre Beratungs- und Betreuungstätigkeiten für die Opfer von Menschenhandel - für hilflose junge Frauen, die den kriminellen Machenschaften von profitgierigen Menschenhändlern zum Opfer gefallen sind. Frauen, die körperliche und psychische Gewalt erfahren haben, die sexuell ausgebeutet wurden und völlig verzweifelt in einem fremden Land für sich und ihre Familien keine Lebensperspektive mehr sehen.

Wenn man tagtäglich mit solchen menschlichen Schicksalen konfrontiert wird, fällt es bestimmt nicht leicht, ein Gefühl von Zuversicht und neuer Lebensperspektive zu vermitteln.

Da reicht es sicherlich auch nicht aus, dass Sie bei der Gründung Ihre Beratungsstelle "Nadeschda" - übersetzt Hoffnung - genannt haben. Es bedarf vielmehr eines unerschütterlichen Willens, diesen verängstigten und oft traumatisierten Frauen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Es erfordert viel Einfühlungsvermögen und ein hohes Maß an Flexibilität und Fingerspitzengefühl für fremde Sprachen und Kulturen.

All diese Eigenschaften haben Sie in den letzten 10 Jahren Ihres sozialen Engagements für die Beratungsstelle Nadeschda eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Dafür möchte ich Ihnen an dieser Stelle aufrichtig und aus vollem Herzen danken.

Mit Ihrem unermüdlichen Schaffen haben Sie vielen Frauen in ihrer wahrscheinlich schmerzlichsten Lebensphase beigestanden, ihnen Schutz und Hilfe geboten, sie beraten und begleitet und damit den Boden bereitet für ein neues aufkeimendes Pflänzchen nach all diesem Leid: der wiederkehrenden Hoffnung!

Hoffnung, das war sicherlich für viele spätere Opfer das Motiv für ihren Entschluss, ihr Heimatland zu verlassen und in der Ferne ihr Glück zu suchen - Hoffnung auf ein besseres Leben für sie und ihre Familien, ein Weg aus der Armut und Perspektivlosigkeit - meist genährt durch Täuschung und falsche Versprechungen von Menschenhändlern in ihrem Heimatland.

Diese Hoffnung hat sich leider für die betroffenen Frauen und Mädchen als trügerisch erwiesen - als eine fatale Fehleinschätzung mit existenziellen und mitunter lebensbedrohlichen Auswirkungen.

Kein Wunder also, wenn diese meist sehr jungen Frauen nach den erlittenen Qualen und Ausbeutungen den Glauben an das Gute im Menschen verloren haben. Kein Wunder, wenn sie Angst davor haben, der Polizei ihre Leidensgeschichte zu offenbaren oder vor Gericht gegen ihre Peiniger auszusagen. Diesen verzweifelten Frauen wieder ein Stück Sicherheit zu geben und langsam verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen ist vielleicht der schwierigste Teil Ihrer täglichen Arbeit.

Vernetzung

Allein ist dies sicherlich oft gar nicht zu schaffen.

Insbesondere die besondere Gefahrenlage der Betroffenen und die meist sehr schlechte körperliche und seelische Verfassung der Frauen und Mädchen erfordern ein schnelles und koordiniertes Vorgehen aller beteiligten Institutionen. Eine gute Vernetzungsarbeit kann wesentlich zur Stabilisierung der Opfer beitragen.

Auch in diesem Bereich haben Sie in den vergangenen 10 Jahren sowohl auf örtlicher Ebene als auch überregional Erfolgreiches geleistet.

So haben Sie in dieser Zeit ein vertrauensvolles Verhältnis zu vielen Polizeidienststellen und kommunalen Einrichtungen in Ostwestfalen-Lippe aufgebaut - geprägt von einer fairen Zusammenarbeit, die sicherlich nicht selbstverständlich ist in diesem Aufgabenbereich.

Sie haben an Runden Tischen und zielgruppenübergreifenden Fortbildungsveranstaltungen mitgewirkt.

Sie, liebe Frau von Mach, haben in dieser Zeit mit viel Engagement unter anderem die Aufgaben der Vernetzungssprecherin der landesgeförderten Fachberatungsstellen für die Opfer von Menschenhandel wahrgenommen.

Und auch die von der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen im Jahr 2003 organisierte internationale Fachtagung "Gemeinsam gegen Frauenhandel" hat sich - im Zusammenhang mit der Prüfung von Arbeitsperspektiven angesichts der EU-Osterweiterung - intensiv mit der Vertiefung nationaler und internationaler Kontakte beschäftigt.

Nicht unerwähnt lassen möchte ich an dieser Stelle die Sitzungen des von meinem Haus organisierten landesweiten Runden Tisches zur "Bekämpfung des internationalen Menschenhandels mit ausländischen Frauen und Mädchen in NRW", an denen auch Mitarbeiterinnen Ihrer Beratungsstelle regelmäßig teilnehmen.

Diesen fachliche Austausch von Vertreterinnen und Vertretern der zuständigen Landesministerien mit Mitarbeiterinnen von Fachberatungsstellen, der Betreuungsgruppen des Hafthauses Neuss sowie einer Vertreterin der kommunalen Gleichstellungsstellen schätze ich sehr - er ist innovativ, trägt zu einer Schärfung des Problembewusstseins bei und eröffnet Problemlösungen und neue Handlungsfelder.

Aufgabenspektrum

Doch erfolgreiche Kooperationsarbeit allein reicht leider nicht aus.

Vielmehr bedarf es einer Vielzahl individueller Maßnahmen, um den zumeist bei Polizeirazzien aufgegriffenen Frauen und Mädchen nach ihren schrecklichen Erlebnissen geeignete Hilfen zu vermitteln:

  • Oft beginnt es schon damit, dass Sprachbarrieren überwunden werden müssen, um sich gegenseitig verständlich zu machen.
     
  • Ganz wichtig ist es, die betroffenen Frauen und Mädchen in vertrauensvoller und vor allem sicherer Umgebung unterzubringen, um sie vor einem möglichen Zugriff durch Menschenhändlerringe zu schützen.
     
  • Nicht zuletzt bedarf es häufig unzähliger Beratungsgespräche, um Klientinnen über rechtliche Auswirkungen und mögliche Handlungsschritte zu informieren, sie zu Behörden, Ärzten oder Gerichten zu begleiten oder sie letztendlich bei der Rückkehr in ihre Heimatländer zu unterstützen.
     

Liebe Mitarbeiterinnen von Nadeschda,

auch wenn meine Aufzählung nicht alle Facetten Ihres täglichen Handels widerspiegelt, so verdeutlicht sie doch eindrucksvoll, mit welcher Intensität Sie häufig die Ihnen anvertrauten Klientinnen begleiten und betreuen - dies gilt natürlich in besonderem Maße für die Frauen, die der Polizei und Justiz in oft mehrjährigen Ermittlungs- und Strafverfahren als Opferzeuginnen zur Verfügung stehen.

Landesförderung

Auch der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen liegen das Wohlergehen und die Sicherheit dieser hilflosen Menschen sehr am Herzen. Deshalb stellt das nordrhein-westfälische Frauenministerium bereits seit vielen Jahren den Fachberatungsstellen Landesmittel zum Schutz und zur Betreuung von Menschenhandelsopfern zur Verfügung.

Dieser Fördertopf lässt sich praktisch in 3 Teile aufgliedern:

  • Der größte Teil dient der Unterstützung der Einrichtungen bei der Finanzierung ihres Fachpersonals.
     
  • Daneben stehen Honorarmittel für Rechtsberatung, Dolmetscherdienste und Honorarkräfte zur Verfügung.
     
  • Mit dem dritten Teil wird die geschützte Unterbringung von Menschenhandelsopfern finanziert.
     

Die Förderung erfolgt auf hohem Niveau: Mit mehr als 900.000 Euro jährlich ist NRW in diesem Bereich absoluter Spitzenreiter in ganz Deutschland.

Schlussbemerkungen

Lassen Sie mich zum Abschluss meiner Rede den Blick noch einmal in die Zukunft richten und ein letztes Mal an das Motto Ihrer heutigen Festveranstaltung anknüpfen:

Liebe Frau Pastorin Birgit Reiche,

in einem Interview, das Sie kürzlich anlässlich des heutigen Jubiläums gegeben haben, konnte ich bezüglich Ihrer Wünsche für die nächsten 10 Jahre Ihrer Beratungstätigkeit bei Nadeschda Folgendes nachlesen:

Demnach ist es Ihr größtes Anliegen, dass es in 10 Jahren keinen Menschenhandel mehr gibt, keine Fachberatungsstellen mehr benötigt werden und Ihre Mitarbeiterinnen mit Freude in anderen Bereichen ihre qualifizierte Arbeit verrichten können.

Liebe Frau Pastorin, diesen Wünschen kann ich mich nur uneingeschränkt und aus vollem Herzen anschließen!

Doch ist eine solche Entwicklung, wie Sie in Ihrem Interview weiter ausführen, leider ziemlich unwahrscheinlich. Auch diese Einschätzung teile ich - wenn auch mit großem Bedauern - voll und ganz.

Deshalb möchte ich Sie, liebe Mitarbeiterinnen und Vereinsfrauen, ermutigen, sich weiterhin voller Tatendrang den besonderen Herausforderungen Ihres täglichen Schaffens zu stellen und hierbei Ihr heutiges Motto nie aus den Augen zu verlieren.

Ich bin mir sicher, dass die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen Sie auch weiterhin im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützen wird.

Für Ihre zukünftige Arbeit wünsche ich Ihnen viel Erfolg und alles Gute und der heutigen Festveranstaltung, an ich leider aus terminlichen Gründen nicht länger teilnehmen kann, wünsche ich einen guten Verlauf mit vielen gemeinsamen Erinnerungen und hoffnungsvollen Planungen für die Zukunft.

Vielen Dank für ihre Aufmerksamkeit.
 

Landesverband der Evangelischen Frauenhilfe in Westfalen e.V. Feldmühlenweg 19 59494 Soest
Tel.: 02921 371-0 Fax: 02921 4026 e-Mail: info@frauenhilfe-westfalen.de